Im zehnten Jahr der Festspiele trägt nun Taubes Nachfolger Guy Montavon die künstlerische Verantwortung. Mit Richard Strauss‘ Einakter „Friedenstag“ präsentiert er eine ausgesprochene Rarität; im kommenden Jahr folgt dann mit Leoncavallos „Pagliacci“ wieder ein Werk aus dem populären Repertoire. Die diesjährige Strauss-Oper aus dem Jahr 1938 durfte man mit Spannung erwarten, denn natürlich wird hier die heikle Frage nach dem Verhältnis des Komponisten zum NS-Regime berührt. Ist das Werk wirklich ein Ausdruck von Friedenssehnsucht, wie zahlreiche Gastbeiträge im Programmbuch vor dem Hintergrund der jüngsten Kriege in Afghanistan und Irak selbstverständlich annehmen? Die Handlung spielt in der Zitadelle einer belagerten Stadt im letzten Jahr des 30-jährigen Krieges. Der Kommandant will gemäß kaiserlicher Anordnung die Festung um jeden Preis halten, die ausgehungerte Bevölkerung fordert die Übergabe der Stadt, die Besatzung ergibt sich in ihr Schicksal. In dieser Situation entschließt sich der Kommandant zur Sprengung der Zitadelle; einige seiner Getreuen, auch seine Frau, wollen dabei mit ihm in den Tod gehen. Soeben soll die Lunte gezündet werden, da künden Kanonenschüsse und Kirchenglocken von einer unerwarteten Wendung: Die Nachricht vom Abschluss des Westfälischen Friedens hat die Stadt erreicht; die feindlichen Protestanten ziehen mit weißen Fahnen ein, die Bevölkerung jubelt, Erleichterung und Versöhnung kehren ein. Wie ein Deus ex Machina kommt der Frieden über die Handlung. Ein Drama kann man das nicht nennen, eher eine Studie über das Verhalten in aussichtsloser Situation. Heroischer Durchhaltewillen und soldatisches Pflichtethos stehen gegen nackte Not und Versöhnungsbereitschaft – eine durchaus heikle Konstellation, die in Deutschland seit der Endphase des 1. Weltkrieges virulent war und schon das innenpolitische Klima der Weimarer Republik vergiftete. Das Libretto für Strauss schrieb zwar der Wiener Theaterhistoriker Joseph Gregor, aber wie stark dabei der bei den Nationalsozialisten unerwünschte Stefan Zweig im Hintergrund mitwirkte, dokumentiert deutlich das von Arne Langer zusammengestellte Material im Programmheft. „Ich möchte,“ schrieb Zweig zu seinem Entwurf, „drei Elemente darin zusammenfassen: das Tragische, das Heroische und das Humane, ausklingend in jenem Hymnus an die Versöhnung der Völker, an die Gnade des schaffenden Aufbaus; nur möchte ich Kaiser, Könige ganz aus dem Spiel lassen und es ins Anonyme stellen.“ Guy Montavons Inszenierung ist in der räumlichen Anordnung nicht immer konsequent, der Eindruck des Engen, Eingeschlossenen verliert sich dadurch schnell. Dennoch ist sie optisch reizvoll, deutlich in der Personenführung und wirkungsvoll in der Ausnutzung des Raumes unter der Zuschauertribüne; von dort nämlich erklingen die Hunger-Rufe der von Andreas Ketelhut vorzüglich einstudierten Chöre (außer dem Erfurter Opernchor drei weitere Sängerensembles). Die Klangbalance überzeugt, die Lichtregie aber müsste die räumliche Orientierung des Zuschauers stärker unterstützen. In der Rolle des Kommandanten hinterlässt Juan Carlos Mera-Euler mit einem trag- und nuancierungsfähigen Bariton einen guten Eindruck; unglaubwürdig wirkt hier die wenig soldatische, allzu zappelige Körpersprache. Kelly God singt Maria, die Frau des Kommandanten; ihr kräftiger Sopran wird freilich in der Höhe etwas zu scharf, das Vibrato zu stark. Sämtliche weitere Rollen sind klar ausdifferenziert und respektabel bis hervorragend besetzt; besonders hervorzuheben sind hier Florian Plock als Wachtmeister und Thomas Stückemann als Schütze. Unter Leitung von GMD Walter E. Gugerbauer entfaltet das Philharmonische Orchester Erfurt den besonderen Reiz dieser ungewöhnlichen Strauss’schen Partitur ausgezeichnet. Ganz düster, mit einem tritonusreichen Schicksalsmotiv, beginnt die Oper. Blühende Melodik in Wagnerscher Tradition begleitet die Partie der Maria und bereitet den Wendepunkt vor. Den Kanonenschüssen, auf dem Gelände der benachbarten Zitadelle Petersberg als Feuerwerk realisiert, folgt ein aus dem Orchester anwachsendes Glockengeläute. Hier hinein mischen sich die Stimmen der Sänger, dann steuert die Musik langsam auf eine eindrucksvolle Apotheose zu, die durch den Fackeln tragenden Chor auf den Domstufen auch optisch zu einem grandiosen Erlebnis wird. Und da bemerkt man einen entscheidenden Kontrast: Während sich die Figuren Richard Wagners im Angesicht von Tod und Untergang derart ekstatisch aussingen, feiert Strauss hier hymnisch – über allen Durchhalte- und Kampfeswillen und auch alle NS-Ideologie hinweg – den Frieden. Montavons Inszenierung setzt hier historisch richtig ein Fragezeichen: Während alle die Waffen gesenkt oder niedergelegt haben, verweigert der Kommandant als einziger die entscheidende versöhnliche Geste.
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