Besonders stolz ist Frau Sleeman auf die Zusammensetzung ihres Chores „als eine Einheit von 12 Nationalitäten“. Da kann für die originalsprachigen Opernaufführungen des Hauses stets ein Muttersprachler aus Chor oder Ensemble für das gemeinsame Phonetikstudium am Anfang der Probenarbeiten gewonnen werden. „Aus dieser authentischen Begegnung mit der fremden Sprache entspringt eine ganz besondere Probenenergie“, berichtet Frau Sleeman – selbst hervorragende Kennerin des Französischen und Italienischen. Auf die Frage, wie sie aus den so verschiedenen Künstlercharakteren eines Chores schließlich die homogene Chorsängereinheit auf der Bühne gewinne, verweist sie auf eine „Chorgruppendynamik, die Konflikte trägt und die einzelnen Chormitglieder auch in Krisensituationen auffängt.“ Das können VdO-Ortsdelegierte Vera Freese und ihr Chorvorstandskollege Krzysztof Gornowicz bestätigen. Hier ist der Chor ein Freundschaftskreis, der auch schon einmal eine private Chorwanderung unternimmt und mit dem gemeinsamen Singen von Volksliedern in der Muttersprache der Mitglieder beschließt. Flexibles ArbeitenIm Betriebsalltag geht es freilich nicht nur so romantisch zu: „Die kleine Gruppe muss viel und sehr flexibel arbeiten. Alle singen alles von der Moderne bis zum Musical“, erläutert Vera Freese und fügt hinzu: „Der musikalischen Vielfalt entsprechen grundverschiedene Formen des Agierens auf der Bühne.“ Neben Oberspielleiter Gregor Horres arbeitet der Chor mit zahlreichen Gastregisseuren von sehr unterschiedlicher künstlerischer Provenienz zusammen wie Andrey Woron, Aaron Stiehl und Werner Schroeter. Zu Barbara Beyers berühmt-berüchtigter Othello-Inszenierung der Spielzeit 2001/2002 stellt Krzysztof Gornowicz klar: „Anderssein ist ihr gutes Recht. Wir haben das Glück, dass wir so verschiedene Regisseure haben.“ Ungemach droht dem Musiktheater nach Meinung des studierten Germanisten aus ganz anderer Richtung: „Mit ihrer Wiederholung des Immergleichen desensibilisieren die Massenmedien den Geschmack und die Empfänglichkeit des Publikums für das Besondere und das Andere. Hier hat es das Stadttheater als Nische, als Ort für das, was die Massenmedien nicht mehr wahrnehmen, immer schwerer, steht aber zugleich in der Verantwortung.“ Für das lebendige Chorwesen in Bielefeld und seine breite Fundierung in der Bevölkerung stehen der Chor des Musikvereins der Stadt unter der Leitung von Wolfgang Helbich und der Oratorienchor unter der Leitung von Hartmut Sturm. Beide renommierten Chöre musizieren in festen Programmen mit den 67 Musikern des Philharmonischen Orchesters. Und die „professionellen Laien“ des Vokalensembles der Neustädter Marienkirche werden Ballettdirektor Philip Lansdale zur Seite stehen, wenn er im Hohen Chor des Gotteshauses in dieser Spielzeit Händels „Messiah“ choreographiert. Vielseitiger Bühnentanz
Mit Ballettdirektor Philip Lansdale und seiner Truppe hat in Bielefeld vor fünf Jahren ein Tanzstil Einzug gehalten, der sich eines großen Publikumszuspruchs erfreut. Lansdale, der aus der Londoner Royal Ballet School als Schüler unter anderem Ninette de Valois’ hervorgegangen ist, öffnet in seinen Choreografien das Bewegungsvokabular des klassischen Tanzes zeitgemäßen Ausdrucksformen. Seine besondere Gunst gilt dem Handlungsballett. Delibes’ romantischen Ballettklassiker „Coppélia“ verlegt Lansdale in seiner spritzig-humorvollen Version in das Umfeld einer Jugendgang aus Marzahn mit dem verblüffenden Effekt, dass dadurch keineswegs die Musik verfremdet wird, sondern umgekehrt die jungen Menschen aus den Soziologenklischees heraustreten und in ihren seelischen Profilen erkennbar werden. Ravels selten aufgeführte Ballettoper „L’enfant et les sortilèges“ präsentieren die Tänzer als Capriccio über die Nöte und Ängste einer mit der Erwachsenenwelt konfrontierten Kinderseele. Dass Lansdale und seine Truppe überdies die Sprache der Abstraktion beherrschen, stellt die Compagnie am gleichen Abend mit einer die Handlungselemente zugunsten des reinen Tanzes zurücknehmenden, auf ein chorisches Geschehen konzentrierten Fassung von „Le sacre du printemps“ unter Beweis. Ballett und Musiktheater accompagnieren auf eine für die Stadttheater-Infrastruktur traditionelle Weise gegenseitig ihre Produktionen und widerlegen, indem die Tänzer die Opernaufführungen um zusätzliche Sinnebenen bereichern und das Orchester die Ballettabende zu einem vollendeten Live-Erlebnis werden lässt, die häufig geäußerte Meinung, dass die enge Kooperation zwischen den beiden Sparten heute obsolet sei. UmbauspielzeitenSollte jemals wieder die Aufstockung des künstlerischen Personals auf die kulturpolitische Tagesordnung gelangen, Lansdales Compagnie von gegenwärtig nur 10 Tänzern wäre ganz sicher ein lohnendes Handlungsfeld. Aktuell steht dem Drei-Sparten-Haus mit seinen 320 Mitarbeitern ein fast vollständig von der Stadt finanzierter 20 Millionen Euro-Jahresetat zur Verfügung. Ab der Spielzeit 2004/2005 müssen sich die Theaterleute und ihr Publikum mit zwei Umbauspielzeiten arrangieren, damit die schlechten Hör- und Sichtverhältnisse im Stadttheater verbessert und betriebsgerechte Funktionsräume gebaut werden können. Für die Sanierung wurde die Theaterstiftung als Bauherrin ins Leben gerufen, die auf einer durch die Stadt, die Stadtwerke und die Sparkasse zusammengetragenen Kapitalbasis von 15 Millionen Euro noch Sponsoren sucht, um die insgesamt 23 Millionen Euro kostende Sanierung zu finanzieren.
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|