Der Rahmen schien zu stimmen: Das festlich prangende Münchner Nationaltheater, ein erlesenes Publikum, das traditionsreiche Orchester der Bayerischen Staatsoper, ein wohlbeleumdeter Regisseur, der zugleich als Bühnenbildner fungierte – Jürgen Rose, und der eigene Ehemann als Dirigent – Friedrich Haider: Was könnte da noch fehlen? Vielleicht die Einsicht, dass die Addition von Namen und Institutionen nicht automatisch eine Gipfelaussicht garantiert. Jürgen Rose kann hochästhetische Bühnenräume erdenken, doch die doppelte Etagenbühne hier für „Norma“ – oben die Kultstätte mit großem Gong und flackerndem Feuerkessel, unten die Wohnkatakombe Normas und ihrer Kinder – wirkt mit ihrem umständlichen hoch- und wieder herunterfahren modernistisch-düster. Rose wollte natürlich keine romantisch-magische Szenerie als Umfeld für die Priesterin und deren Liebesnöte. Ein bisschen Gegenwart muss sein, und so assoziiert Rose für seine Inszenierung die aktuellen Nahostkonflikte. Die freiheitsdurstigen Gallier, die das römische Joch abschütteln möchten, sehen mit ihren dunklen Gesichtsmasken aus wie Palästinenser oder wie Susanne Osthoff im Fernsehen. Der schneidige römische Offizier namens Pollione ist natürlich amerikanischer Besatzer und fuchtelt mit einer Maschinenpistole herum. Es ist seltsam, dass viele Regisseure es einfach nicht schaffen, die verbrauchten Requisiten wie schwarze Aktenkoffer, große Schlapphüte und knöchellange Trenchcoats im Fundus zu belassen und statt dessen erst einmal möglichst genau die Figuren zu zeichnen, damit man erkennt, was die dramatis personae im Innern bewegt. Was Jürgen Rose mit seinen Protagonisten erreicht, gehört in die Abteilung „altes Operntheater“: leere, routinierte Gesten, schmerzliches Grimassieren, Herumstehen. Die Aufführung wirkt auf eine seltsame Art und Weise leblos. Was nicht zuletzt auch daran liegt, dass Friedrich Haider mit dem Bayerischen Staatsorchester über eine oft formelhafte, monotone und monochrome Begleitung nicht hinaus gelangt. Etwas raffinierter in den formalen Strukturen, den Verknüpfungen von Solostimmen und Chorein-sätzen, der Kontrastierung der Stimmführungen ist Bellinins „Norma“-Partitur denn doch. Dass sich der von Andrés Maspéro mit gewohnter Sorgfalt und Klangprofilierung einstudierte Chor auf der Szene wie ein schwerfälliger Haufen bewegt, gehört auch zu den Defiziten der Regie. So wird schnell deutlich, dass an diesem Abend alles auf die Diva zuläuft. Edita Gruberová weiß, wie sie Bellinis Vokalkunst zum Klingen bringt. Das Casta Diva zeichnet ein zarter Weiheklang aus, Schmerz, Raserei, Gefasstheit zum Tod – das alles wird von der Sängerin sensibel erfühlt und in fein nuancierte Belcanto-Expression überführt. Am Ende gewinnt Gruberová auch im Spiel an Eindringlichkeit. Aber was hätte aus dieser Norma zusätzlich an Figurengröße herauswachsen können, wenn sich aus der Korrespondenz mit adäquaten Partnern in Regie und Musik der romantisch-magische Furor eingestellt hätte, mit dem einst die Callas Bellinis Priesterin zu neuem Bühnenleben erweckte. Etwas von diesem Gefühlsfuror brachte Sonia Ganassi als Adalgisa ins Gesangsspiel: In den Duetten rückte sie zur ebenbürtigen Partnerin der „Diva“ auf. Zoran Todorovich singt den Pollione etwas zu robust und laut, Roberto Scandiuzzi als Normas Vater Oroveso beschwört mit dröhnendem Ton die Erinnerung an den tot geglaubten Stehbass in Großvaters Operntheater. Wie sagt Goethes Mephisto am Ende von Faust I? Ein großer Aufwand, schmählich ist vertan. Gerhard Rohde |
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