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Gipfel des Sopran-Belcanto
„Norma“ in München · Von Gerhard Rohde
München leuchtete zwar nicht, aber es fieberte. Ein großer
Opernabend kündigte sich an: die vorerst letzte Primadonna
unserer bescheiden gewordenen Belcanto-Tage bestieg den letzten
Achttausender der Sangeskunst – Vincenzo Bellinis Druidenpriesterin
Norma, deren Name dem Werk zugleich den Titel gab. Zweihundertmal
hat Edita Gruberová in ihrer scheinbar zeit-und endlosen
Karriere die Komödiantin Zerbinetta in der „Ariadne auf
Naxos“ von Richard Strauss gesungen – vor einigen Wochen
noch einmal in Wien, es war wieder grandios. Aber Norma ist keine
lustige, sondern eine tragische Person. Die nimmt man nicht so leicht
beim ersten Anstieg. Edita Gruberová verschob die Begegnung
mit der Partie deshalb wohlweislich auf die eigene Zeit der Reife.
Drei konzertante „Zwischenlager“ (ein Begriff aus der
Bergsteigerei) dienten als Probeläufe. Jetzt also die erste
szenische Realisierung, der sich die Sängerin anvertraute.
Der Rahmen schien zu stimmen: Das festlich prangende Münchner
Nationaltheater, ein erlesenes Publikum, das traditionsreiche Orchester
der Bayerischen Staatsoper, ein wohlbeleumdeter Regisseur, der zugleich
als Bühnenbildner fungierte – Jürgen Rose, und der
eigene Ehemann als Dirigent – Friedrich Haider: Was könnte
da noch fehlen? Vielleicht die Einsicht, dass die Addition von Namen
und Institutionen nicht automatisch eine Gipfelaussicht garantiert.
Jürgen Rose kann hochästhetische Bühnenräume
erdenken, doch die doppelte Etagenbühne hier für „Norma“
– oben die Kultstätte mit großem Gong und flackerndem
Feuerkessel, unten die Wohnkatakombe Normas und ihrer Kinder –
wirkt mit ihrem umständlichen hoch- und wieder herunterfahren
modernistisch-düster. Rose wollte natürlich keine romantisch-magische
Szenerie als Umfeld für die Priesterin und deren Liebesnöte.
Ein bisschen Gegenwart muss sein, und so assoziiert Rose für
seine Inszenierung die aktuellen Nahostkonflikte. Die freiheitsdurstigen
Gallier, die das römische Joch abschütteln möchten,
sehen mit ihren dunklen Gesichtsmasken aus wie Palästinenser
oder wie Susanne Osthoff im Fernsehen. Der schneidige römische
Offizier namens Pollione ist natürlich amerikanischer Besatzer
und fuchtelt mit einer Maschinenpistole herum. Es ist seltsam, dass
viele Regisseure es einfach nicht schaffen, die verbrauchten Requisiten
wie schwarze Aktenkoffer, große Schlapphüte und knöchellange
Trenchcoats im Fundus zu belassen und statt dessen erst einmal möglichst
genau die Figuren zu zeichnen, damit man erkennt, was die dramatis
personae im Innern bewegt. Was Jürgen Rose mit seinen Protagonisten
erreicht, gehört in die Abteilung „altes Operntheater“:
leere, routinierte Gesten, schmerzliches Grimassieren, Herumstehen.
Die Aufführung wirkt auf eine seltsame Art und Weise leblos.
Was nicht zuletzt auch daran liegt, dass Friedrich Haider mit dem
Bayerischen Staatsorchester über eine oft formelhafte, monotone
und monochrome Begleitung nicht hinaus gelangt. Etwas raffinierter
in den formalen Strukturen, den Verknüpfungen von Solostimmen
und Chorein-sätzen, der Kontrastierung der Stimmführungen
ist Bellinins „Norma“-Partitur denn doch. Dass sich
der von Andrés Maspéro mit gewohnter Sorgfalt und
Klangprofilierung einstudierte Chor auf der Szene wie ein schwerfälliger
Haufen bewegt, gehört auch zu den Defiziten der Regie.
So wird schnell deutlich, dass an diesem Abend alles auf die Diva
zuläuft. Edita Gruberová weiß, wie sie Bellinis
Vokalkunst zum Klingen bringt. Das Casta Diva zeichnet ein zarter
Weiheklang aus, Schmerz, Raserei, Gefasstheit zum Tod – das
alles wird von der Sängerin sensibel erfühlt und in fein
nuancierte Belcanto-Expression überführt. Am Ende gewinnt
Gruberová auch im Spiel an Eindringlichkeit. Aber was hätte
aus dieser Norma zusätzlich an Figurengröße herauswachsen
können, wenn sich aus der Korrespondenz mit adäquaten
Partnern in Regie und Musik der romantisch-magische Furor eingestellt
hätte, mit dem einst die Callas Bellinis Priesterin zu neuem
Bühnenleben erweckte.
Etwas von diesem Gefühlsfuror brachte Sonia Ganassi als Adalgisa
ins Gesangsspiel: In den Duetten rückte sie zur ebenbürtigen
Partnerin der „Diva“ auf. Zoran Todorovich singt den
Pollione etwas zu robust und laut, Roberto Scandiuzzi als Normas
Vater Oroveso beschwört mit dröhnendem Ton die Erinnerung
an den tot geglaubten Stehbass in Großvaters Operntheater.
Wie sagt Goethes Mephisto am Ende von Faust I? Ein großer
Aufwand, schmählich ist vertan.
Gerhard Rohde
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