Riccardo Chailly, ein Vollblutmusiker, ist ein Dirigent, der die Tradition achtet und doch das Neue sucht. Obwohl auch die Mailänder Scala und große amerikanische Orchester bei ihm angeklopft haben, hat er sich für Leipzig entschieden, weil ihn das seit Jahrhunderten in Sachsen gepflegte Musikleben fasziniert und er Johann Sebastian Bach schon seit seiner Kindheit verehrt. Und natürlich schwärmt er von dem warmen, dunklen Klang des Orchesters und macht es sich zur Aufgabe, diesen zu erhalten und zu fördern. Die Wurzeln für den auch „altdeutsch“ genannten Klang sieht Chailly in dem Wissen um die Tradition, einer tiefen Konzentration beim Musizieren sowie dem ausgeprägten Zusammengehörigkeitsgefühl des Klangkörpers. Tradition und Moderne, Bewahren und Erneuern, das sind die Pfeiler, auf die er die musikalische Zukunft Leipzigs aufbauen will. Chailly vereint Tradition mit Moderne, nicht nur im musikalischen Sinn, sondern auch in seiner Persönlichkeit. Vom Wesen her ein Weltbürger, kann er nun in Leipzig all seine internationalen Erfahrungen einbringen und das Gewandhausorchester ins 21. Jahrhundert führen, so wie Arthur Nickisch das Orchester ins 20. Jahrhundert geführt hat. Von Herbert Blomstedt übernimmt Chailly ein Weltklasseorchester, das technisch perfekt ist. Mit seinem musikalischen Charisma und seiner Überzeugenskraft, gepaart mit Feuer und Temperament, wird er das Orchester zu neuen künstlerischen Höhen führen. Hier scheint sich eine Partnerschaft anzubahnen, die Maßstäbe setzen wird, was Orchesterkultur und musikalische Intensität angeht. Mit Henri Maier, dem Intendanten der Oper, gibt es eine sehr harmonische Zusammenarbeit. Das ist modernes Europa: ein Italiener und ein Franzose als Bewahrer der deutschen Klassik in Leipzig. Und die Stadt dankt, Standing Ovations nach jeder Vorstellung des „Maskenball“. Chaillys Dirigat ist beeindruckend, hier stimmt einfach alles, die analytische Struktur, die Klarheit der Phrasierung und die Temporelationen. Dazu kommt eine gehörige Portion Feuer und Drama, so macht Oper Spaß. Drei Schwerpunkte bilden Riccardo Chaillys Programm für Leipzig: die romantische Klassik, die moderne Klassik und die zeitgenössische Musik. Die Reihe „Entdecker Konzerte“ wird der Maestro selbst moderieren. Eine Opernproduktion pro Jahr ist geplant, Mittelpunkt wird natürlich die italienische Oper sein, aber auch Richard Wagner soll in seiner Geburtsstadt Leipzig wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Schon denkt man an das Jahr 2013, der 200. Geburtstag Wagners naht und ein „Ring“ wäre da schon angebracht. Der Intendant der Oper 1693 hob sich zum ersten Mal der Vorhang im barocken Opernhaus am Brühl, die Leipziger Oper gehört somit zu den ältesten Musiktheatern Europas. Der Franzose Henri Maier übernahm mit der Spielzeit 2000/2001 die Intendanz am Augustusplatz. Sehr erfolgreich leitete er schon Häuser in Straßburg, Paris und Montpellier und doch suchte er eine neue Herausforderung und bewarb sich in Leipzig. Sofort fühlte er sich zu Hause in der Stadt und sein Konzept für Leipzig scheint aufzugehen. Die Auslastung ist in Maiers Amtszeit von 62 auf 69 Prozent gestiegen, was beachtlich ist für ein Haus mit mehr als 1.400 Sitzplätzen und einer Einwohnerzahl von circa 500.000. Trotz entsprechend steigenden Einnahmen und zunehmenden Abonnentenzahlen schlägt die hohe Verschuldung der Stadt Leipzig auch auf die Finanzierung ihrer Kultureigenbetriebe durch. Die Ballettschule musste bereits geschlossen werden, die Verhandlungen über Haustarifverträge, die allen Beschäftigten einen fünfprozentigen, den Gewandhausmusikern einen zweieinhalbprozentigen Gehaltsverzicht pro anno auferlegen, stehen vor dem Abschluss, und die Finanz- und Kulturdezernate brüten über Konzepten zur Beantwortung der ihnen vom Stadtrat aufgegebenen, der Quadratur des Kreises ähnelnden Frage, wie alles zu erhalten und zu verbessern, gleichzeitig aber zu verbilligen sei. Zurzeit steht die nach Wolfgang Tiefensees Wechsel ins Bundeskabinett fällige Neuwahl des Oberbürgermeisters an. Sie zwingt die Parteien und ihre meist selbsternannten Kulturpolitiker, sich bei der öffentlichen Erörterung von Grausamkeiten etwas zurückzuhalten: Haustarifverträge mit höheren Vergütungseinschnitten? Personalabbau? Rechtsformänderungen? Zusammenlegung aller Verwaltungen und Werkstätten? Schließung der Musikalischen Komödie? Zusammenlegung von MuKo und Schauspiel in der Spielstätte der Musikalischen Komödie in der Dreilindenstraße? Denn es liegen auf der Immobilie des Schauspielhauses Restitutionsansprüche…
Dennoch herrscht in Leipzig Aufbruchsstimmung. Das größte Anliegen des Intendanten ist es, dem Publikum musikalisch immer Topqualität anzubieten und Maier erklärt im Hinblick auf das Wagner-Jahr 2013: „Wenn wir einen Ring nicht mit Weltklassesängern besetzen können, dann brauchen wir damit gar nicht anzufangen.“ Ingesamt werden jährlich ungefähr 350 Vorstellungen gemeistert. Und natürlich darf auch das Ballett nicht vergessen werden, das mit dem Kanadier Paul Chalmer nun einen Nachfolger für den im vergangenen Jahr verstorbenen Uwe Scholz ernannt hat. Die 45 Tänzer bilden eine der besten Ballett-Compagnien in Deutschland. Treues Publikum Henri Maier will sich beim Publikum nicht anbiedern, sondern aufregendes Musiktheater machen. Alle Facetten sollen vertreten sein, von Barock bis zu zeitgenössischen Werken, denn nur so ist lebendiges Theater möglich. Die Barockoper ist ein festes Standbein der Oper, Koproduktionen mit dem Bachfest sind schon lange Tradition. Ungefähr 15 Opern sind jährlich im Spielplan zu finden, davon sind in dieser Spielzeit 5 Premieren, daneben gibt es noch 20 Operetten im Repertoire der Musikalischen Komödie. Momentan kann man noch mit der finanziellen Hilfe von Sponsoren wie der Stadtsparkasse und von Fördervereinen sehr zufrieden sein. Die notwendige Sanierung des 1960 neu eröffneten Hauses ist in Abschnitten für die nächsten zwölf Jahre geplant, dies bedeutet finanziell und planungstechnisch eine ungeheure Anstrengung. Leicht nervös ist man auch, wenn man daran denkt, dass Riccardo Chailly nun jedes Jahr auch eine Produktion an der Mailänder Scala dirigieren wird, er könnte sich immer noch für dieses Haus entscheiden. Doch wie überall in Europa wird auch in Leipzig die Zukunft nur mit enorm viel Engagement, Kreativität und künstlerischem Verantwortungsbewusstsein zu meistern sein. Gestützt von einem treuen Publikum kann man vorerst einmal aufatmen, doch benötigt das Haus unbedingt mehr Besucher, denn nur so sind langfristig die Auslastungszahlen zu steigern. Momentan hat man am Augustusplatz mit seinen Führungsteams sehr gute Karten, um alle Probleme meistern zu können. Midou Grossmann |
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