Was passiert, wenn man diese Musik nun wieder vertanzt? Sozusagen aus dem britischen „Tanz-Museum“ wurde ein historisches Beispiel eingeflogen. 1940 hatte das renommierte Londoner Ballet Rambert „Judgement of Paris“ uraufgeführt: eine Parodie des antiken Mythos vom Urteil des Paris, zu der Musik aus der „Dreigroschenoper“ in einer Klavier-Bearbeitung erklang. Die Choreografie damals stammte von Antony Tudor, die Ausstattung von Hugh Laing. Nachdem kürzlich Laings Skizzenbuch wieder aufgefunden wurde, hat Sally Martin mit der Rambert Dance Company dieses Ballett wieder einstudiert. Die Handlung ist recht simpel: An die Stelle der drei antiken Göttinnen treten drei müde Prostituierte, die in einer abgetakelten Kneipe einen alkoholisierten Gast zu bezirzen suchen und ihn, nachdem er eingeschlafen ist, zusammen mit dem Kellner ausrauben; dazu wird Weills Musik auf einem verstimmten Bar-Piano gespielt. Wie die drei Damen ihren Part in einer eigenartigen Mischung von akuter Trunkenheit, altersbedingter Steifheit und verbliebener Rest-Eleganz bewältigen, hat etwas anrührend Komisches; Weills Musik aber, phrasenweise vertrippelt und vertänzelt, kippt dabei eher ins Lächerliche. Deutlich im Kontrast dazu standen die Revue-Nummern der Girl-Trupps, die in Joe Francis’ Stummfilm „La Revue des Revues“ von 1927 zu sehen waren. Leider vermittelt die wieder aufgenommene Vorjahresinszenierung des Anhaltischen Theaters von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ kaum etwas von der Faszination der in der Oper verborgenen Revue-Elemente. Immer wieder spannend ist es, Weill im Kontext zu erleben. Der Pianist Michael Rische als diesjähriger Artist-in-Residence kombinierte auf der Bauhausbühne „Dreigroschenoper“-Bearbeitungen mit Musik von Weills Zeitgenossen Ravel, Milhaud, Schulhoff und (Paul) Dessau. Im Spiegelsaal des Köthener Schlosses führte er hingegen vom dortigen Schutzpatron Johann Sebastian Bach über Schumann zum „Intermezzo“ des 17-jährigen Weill, dann weiter zu dessen späterem Lehrer Busoni und wiederum zu Ravel. Auch die Rambert Dance Company präsentierte weitere Stücke neben „Judgement of Paris“: Zum letzten Satz von Beethovens Mondscheinsonate tanzten Martin Joyce und Angela Towler Joyce’ eigene Choreografie „Divine Influence“, die auf tänzerisch virtuose und inhaltlich durchaus ironische Weise die Wandlung einer Paarbeziehung von der Dominanz des sich heroisch aufspielenden Mannes zu liebevoller Gleichberechtigung nachzeichnet. Enttäuschend, da seltsam beliebig, spannungslos und unpräzise, wirkten daneben Merce Cunninghams „Pond Way“ zur Musik von Brian Eno und Michael Clarks „Swamp“ zur Musik von Bruce Gilbert. Einen originellen Zugriff wagte Gregor Seyf-fert, Chef der seit 2004 am Anhaltischen Theater in Dessau angesiedelten Gregor Seyf-fert Dance Compagnie. Mit „Tango-Palast“ gestaltete er eine Zeitreise in drei Akten, die jeweils mit einer Version der „Tango-Ballade“ aus der Dreigroschenoper begannen und mit Weills französischem Tango „Youkali“ endeten. Im ersten Teil spielte unter der Leitung von Lothar Hensel eine typische Tango-Besetzung (Orquesta tipica) traditionelle und moderne Tango-Musik. Im zweiten Teil übernahm die Anhaltische Philharmonie unter GMD Golo Berg. Im dritten Teil schließlich hörte man aus dem Lautsprecher moderne Electro-Tangos im Klang-Design von Michael Pregler. Dazu gab es auf der Bühne eine spielerische Tango-Komödie mit zwölf schrulligen Persönlichkeiten, die Namen trugen wie Burgunde Walz-Schlüpp, Monte Cobald zu Azur, Blu Lulu oder Neutrinus Zero. Seyffert selbst tanzte die tragikomische Figur des Kellners Gustav, der mit Woody-Allen-Brille und Buster-Keaton-Mimik den Tänzern stets zu Dienst ist und dabei von der Liebe zu einer schönen Unbekannten träumt. Im dritten Akt spielte die Kompanie das Wechselspiel von Faszination und Karikatur dann nicht nur am Tango, sondern auch an der virtuellen Medienwelt durch: In großen Bildschirmen ließ Seyffert die Tänzer sich spiegeln, scheinbar drinnen weitertanzen, verschwinden und wiederhervorkommen – technisch höchst aufwändig und optisch frappierend. Offenheit gegenüber neuen Medien, musikalische und tänzerische Abwechslung, viele junge Leute im Publikum – Weill selbst hätte an dieser Produktion vermutlich großen Spaß gehabt. Andreas Hauff |
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