Als im August 2005 Paul Chalmer die Scholz-Nachfolge antrat, entschied er allerdings, neben großen Klassikereinstudierungen und Neuaufträgen für das Ensemble auch das künstlerische Erbe seines international geschätzten Vorgängers auf der Bühne präsent zu halten. Ausgehend von einer ersten Gala mit dem Titel „Für Uwe Scholz“ im Juni 2005 verankerte er ab dem folgenden Jahr jeweils einen Premieren-abend mit Scholz-Werken fest im Repertoire. Die so entstandene Tradition ermöglicht es den Tänzern, aufs Engste mit dem Oeuvre des verstorbenen Meisters verbunden zu bleiben. Am 13. Januar konnte Chalmer mit „Für Uwe Scholz 2008“ in der Oper Leipzig nun bereits die vierte – und vielleicht konzentrierteste – Ausgabe eines Ballettabends zu Ehren des Choreografen präsentieren. Der Fokus war dabei ganz auf den russischen Komponisten Sergej Rachmaninow gerichtet. Die Wiedereinstudierung zeigte, mit welcher Sensibilität Scholz zum einen Rachmaninows virtuose Tonschöpfungen zu analysieren und zum andern darin aufgespürte Spielideen und Bildlandschaften in die Sprache des Balletts und der getanzten Geometrie zu übersetzen wusste. Sein Ansatz war dabei sowohl in der Suite für zwei Klaviere Nr. 2 op. 17 als auch beim Klavierkonzert Nr. 3 d-moll op. 30 gleich: Schnelligkeit, Leichtigkeit und Präzision, gekoppelt mit ein wenig Witz (z. B. zwei Männer in der Suite, die sich solistisch beweisen, dabei aber dem Kollegen beflissen-höflich den Vortritt lassen wollen) sowie ungewöhnliche Figuren und viel formvollendete Elegie. Hier sei die Erste Solistin Maiko Oishi hervorgehoben, die – unter anderem fabelhaft gepartnert von Jean-Sébastien Colau – Scholz’ eleganten, bisweilen pointierten Stil in jeder Faser ihres biegsamen Körpers verinnerlicht zu haben scheint. So kraftvoll und scheinbar mühelos, wie sie ihren grazilen Körper im Griff hat, ist sie der Eyecatcher, der Anfang und Ende dieses sehenswerten Ballettabends mit verhaltener Munterkeit und Bewegungstemperament verknüpft. Beide Werke leben von Emotionen, die sich aus der Situation ergeben und in wirbelnder Technik zwischen Soli, Duetten und fulminanten Trios aufgehen, von Stimmungen, die ihren Nährboden in immer wieder neuen Gruppenformationen, musikgestützten Reprisen, dezenten Lichtwechseln und wohlgesetzten Akzenten finden. Und davon, dass bei aller brodelnden Dynamik sowohl der Solisten wie des ganzen Corps sich Wogen der Unruhe im choreografisch wohldurchdachten Spannungsbogen zu einer Harmonie fügen, die das Fehlen jeglicher Gefühlskonflikte oder narrativer Elemente vergessen lässt. Gerade hierfür aber steht das Pas de deux „Sonate“ zum dritten Satz aus Rachmaninows Sonate für Violoncello und Klavier c-moll op. 19. Zelebriert wird der Weg eines Paares, das in der Bühnenmitte aus dem vorgegeben Lichtflur ausbricht und sich erregter Momente besinnt. Die Frau zuckt kraftvoll mit den Ellbogen und fällt ihrem Partner, den Handrücken gedankenversonnen zur Stirn führend, mit einer sentimentalen Weichheit im Rücken in die Arme, wie man sie sonst den ganzen Abend über nicht zu sehen bekommt. Befindlichkeiten der Seele und des Herzens geben hier den Ton an, ohne dass sie in allzu komplizierten Hebungen verloren zu gehen drohen. Vom Orchestergraben aus begleitete das Gewandhausorchester (Leitung: Ivan Anguélov) gemeinsam mit den Solisten Wolfgang Manz und Julia Goldstein-Manz am Klavier sowie Veronika Wilhelm am Violoncello die Tänzer nach bester Leipziger Manier – also fast schon vorbildhaft. Es vereinigten sich konzertgleicher Hörgenuss mit Scholz’ impulsiv-originellen Bewegungsfindungen zu einem nachhaltigen Gesamteindruck. Trotz eines eher geringen Abwechslungsreichtums reagierte das Publikum beglückt. Und nicht zu vergessen: Der Abend stellte eine schöne Herausforderung für die erst nach Scholz’ Ableben engagierten jüngeren Compagniemitglieder dar. Vesna Mlakar |
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