Eine Operetten-Tanzcompagnie oder gar eine Streichung des Tanzensembles, wie sie die Schwarzmaler vorhersehen wollten im Vorgeplänkel des Intendantenwechsels von Klaus Schultz zu Ulrich Peters – einem erklärtermaßen auf Auslastung programmierenden Theaterchef – , davon kann wirklich nicht die Rede sein. Paars Tänzer waren nicht einmal in der am 12. Januar zur Premiere gekommenen Phil-Glass-Oper „Die Schöne und das Biest“ eingesetzt, obwohl Regisseurin Rosamund Gilmore, ehemals Chefin des Laokoon Tanztheaters, extrem viel (und übrigens gekonnt in die Oper integriert) tanzen ließ, aber eben durch eigens für diesen Glass engagiertes Personal. Und Paar weiter mit konkreten Zahlen: „Ich habe 20 Tänzerstellen, also nicht weniger als mein Vorgänger Philip Taylor, besetze aber nicht alle. Mit dem freien Geld kann ich jonglieren, mir gewisse Choreografen leisten, zum Beispiel jetzt im Februar einen William Forsythe.“ Solche Vorhaben sehen nicht nach anpasserischer Dienstleistung aus, eher nach kluger Langzeitplanung. Überdies bewies sein Ensemble, dass es tanztechnisch dem zu Recht gerühmten Vorgänger-Ensemble in nichts nachsteht. Was aber, das sei hier mal ganz nüchtern gesagt, weder Verdienst des einen noch des anderen Tanzchefs ist. Heute sind Tänzer, vor allem in den modernen und zeitgenössischen Stilen, so hervorragend ausgebildet, dass die Ensemble-Leiter nur zuzugreifen brauchen. Harte Schule in der ProvinzWie auch immer, Paars beachtlicher hochprofessioneller Start überraschte manchen in der Münchner Tanzszene. Hat er doch „nur“ Tanzdirektionen in Kassel und Braunschweig vorzuweisen – aus Münchner Sicht eher Provinz. Aber die so genannte Provinz ist, wie man weiß, eine harte und sehr gute Schule. Bei Bernd Schindowski, bei dem er fünf Jahre tanzt, bekommt er auch gleich die Chance, für das Ensemble zu choreografieren, Profi-Erfahrungen, die ihm nach einem einjährigen Ausflug nach Brasilien sofort wieder Choreografie-Aufträge in Detmold und Nordhausen verschaffen. Ganz schön viele Wechsel? Paar zählt nach, grinst: „Ja, ich bin 16 mal umgezogen.“ Das ist ihm bei seiner Energie wohl nicht schwer gefallen.
Eigentlich hätten ihn seine Eltern, beide musizieren zu Hause, eher in einer Pianisten-Karriere gesehen. Bereits mit fünf bekommt er Klavierunterricht. Aber das Stillsitzen fällt dem quecksilbrigen Jungen schwer. Als er mit sechs im Staatstheater Kassel sein erstes Ballett sieht, „Schneewittchen“, mit Deutschlands damaligem Star-Ballerino Heinz Bosl (1946–75) als Gast, fängt er Feuer. „Meine Mutter erzählte mir, ich sei in der Pause permanent durchs Foyer gesprungen“, erzählt Paar mit Lausbubenlachen. Gesittet strenge FormSein lebhaftes, zupackendes Temperament drückt sich auch unmittelbar in seiner choreografischen Dynamik aus. Sein erdhaft-rustikaler, skurriler Bewegungsduktus ist sichtbar vom schwedischen Meister Mats Ek beeinflusst. Auffallend dabei, dass er vielfältig spannend phrasiert: einerseits im Dialog mit der Musik, für die er dank früher Schulung ein feines Gehör entwickelt hat; zugleich aber ganz pointiert aus dem Impuls heraus, etwas zu erzählen, den Zuschauer an Gefühl und Verstand zu packen: „Es gibt Choreografen, auch gerade jetzt Marco Goecke, der hier für uns choreografiert, die haben ihren Stil. Wenn man eine Arbeit von ihm sieht, weiß man: Das ist ein Goecke. Ich gehe aus vom literarischen Hintergrund oder dem Stück, das ich gerade mache. Dementsprechend wähle ich den Stil oder die Körperform, um das auszudrücken, was ich ausdrücken möchte.“
Genet, den kriminellen Vagabunden, Fremdenlegionär, Advokaten der Ausschweifung und dann vielschichtig schreibenden Dichter, als Gegenstand von Tanztheater hätte man allerdings eher einem Alt-Tanzrevoluzzer wie Hans Kresnik zugeordnet. Der ebenfalls lustvoll provozierende britische Performer Lindsay Kemp inszenierte 1971 eine sexorgiastische, bluttriefende Pantomime zu Genets erstem Roman „Notre-Dame-des- Fleurs“ (1948), die in den 80er-Jahren auch hierzulande gastierte. Auf den selben – nach seiner schwulen Hauptfigur betitelten – Roman nimmt (neben „Querelle de Brest“) auch Henning Paar Bezug. Eine Transvestiten-Schockperformance à la Kemp allerdings kann Paar sich im bürgerlich-lauschigen Gärtnerplatztheater nicht gestatten. Er findet stattdessen zu einer gesittet-strengen Form, die Genets Obszönitäten behutsam abstrahiert, auch die lyrische Seite aufleuchten lässt. Zu einer in sich geschlossenen Form, nicht zuletzt dank einer geschickten Musikdramaturgie: atmosphärisch bedrückende Soundcollagen und Bach, Kagel, Satie sowie weitere jüngere Komponisten, gespielt von einem Live-Akkordeon – Frankreich ist da gleich ganz nah. Für die Innenwelt Genets steht Kammermusikalisches von Piano und Flöte. Das Stück beginnt in der Besserungsanstalt Mettray, wo der uneheliche Genet aufwächst. Die Bühne dafür hat Paar mit entworfen: eine düstere Stätte mit vielen sich später zu Knast und Rotlichtviertel verschiebenden Türkästen. Hier schon kann er sehr gut Motive aus Genets Romanen und seiner Vita überblenden: die Einsamkeit des auf sich selbst zurückgeworfenen Kindes, die nächtlichen Liebesbedürfnisse im Großraum-Schlafsaal, die Machtkämpfe innerhalb der Gruppe und die knebelnde Überwachung durch die Heimwärter. Bei Paar ist das ein schwarzes Schatten-Trio, das mit surreal bedrohlich verlängerten Armen die insgesamt expressionistisch wirkende Anstaltsatmosphäre noch betont. Im Kontrast dazu ist die „Verführung zur Homosexualität“ aus dem „Notre-Dame“-Roman licht und lyrisch gehalten. Es ist, ganz nebenbei, mit die schönste und (von Loni Landon, David Russo, Sebastian Nichita) sehr anrührend getanzte Szene. Bereicherung für die StadtKontraste, Abwechslung, Spannungsbögen zu schaffen, nach literarischen Materialien und Vorlagen Tanz-Szenen zu „bauen“, da-rin hat Paar langjährige Übung. Im Juni wird man sein überarbeitetes „Romeo und Julia“ sehen können: „Die Klassiker, die ich bringen werde, gibt es vom Titel her sicher teilweise auch im Staatsballett, aber es werden andere Interpretationen sein. Ein Vergleich kann interessant werden und die Stadt nur bereichern. Für das intime schauspielerisch-gestische Tanztheater ist die Bühne im Nationaltheater fast zu groß. Das ist die Chance des Gärtnerplatztheaters: auf dieser relativ kleinen Bühne ganz spannendes menschenbezogenes Tanztheater zu machen. Das ist es, wo ich hin will.“ Malve Gradinger |
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