Mit der Bühnenadaption des „War Requiems“ rundet sich in Gelsenkirchen der Zyklus mit Werken von Benjamin Britten, der unter dem Motto „Trilogie der Außenseiter“ steht und der Regisseurin Elisabeth Stöppler anvertraut war. In Ermangelung einer konkreten Handlung musste Stöppler mit ihrem Team selbst zur Autorin werden und zu den reflektierenden Texten ein Bühnengeschehen konzipieren. Stöppler setzte dabei auf das dialogische Prinzip, auf dem Britten sein Werk inhaltlich und formal aufgebaut hat: Der Chor, der die lateinischen Requiem-Texte singt, wird von einem groß besetzten Orches-ter begleitet. Die von einem Tenor und einem Bariton gesungenen Gedichtvertonungen, die den liturgischen Ablauf unterbrechen, werden dagegen von einem zwölfköpfigen Kammerensemble begleitet. In Gelsenkirchen wird dieses dialogische Prinzip szenisch aufgenommen und als konfrontierende Auseinandersetzung zwischen religiöser Apokalypse-Beschwörung und persönlicher Reflexion gedeutet. Das Kammerorchester sitzt auf der Bühne seitlich und halb versenkt. Aus den Gesangssolisten werden konkrete Figuren mit teils wechselnden Rollen, während der Chor die Gesellschaft repräsentiert. Zu Beginn ist eine alltägliche Wohnzimmerszene zu sehen:
Vater, Mutter und zwei Kinder sitzen vor dem Fernseher. Es läuft
eine Kriegsreportage, man hört Schüsse und Granatendonner.
Der virtuelle Gefechtslärm schwillt an und plötzlich
kracht durch den Schrank ein ganz realer Soldat ins Wohnzimmer
der Familie, bricht zusammen und stirbt. Die Nachbarschaft läuft
zusammen, dann erst setzt die Musik ein. Es sind hier nicht die Solisten, um die sich alles dreht, es ist
vielmehr der Chor, der auch musikalisch die Hauptlast des Abends
trägt. Hervorragend einstudiert, präzise und mit mustergültig
homogenem Gesamtklang beeindruckt das riesige Ensemble aus Haus-,
Extra- und Kinderchor auch szenisch mit hoher Präsenz. Bereits
bei „Peter Grimes“, ihrer ersten Arbeit in Gelsenkirchen
war Elisabeth Brittens „War Requiem“ ist vom Duktus ganz reflektierendes Oratorium, wenn auch mit dramatischen Ausbrüchen. Dass es in Gelsenkirchen dennoch zum berührenden Musiktheater wird, verdankt sich – neben den außerordentlichen Leistungen der Solisten Petra Schmidt, William Saetre und Björn Waag unter Rasmus Baumanns souveräner Leitung – vor allem Stöpplers unglaublich detailreicher, spannungsvoller, viele kleine Geschichten erzählender Chorregie, der es gelingt, den Appellcharakter des Werks in sprechende Bilder zu übersetzen. „Beim „War Requiem“ hat der Chor eine ganz, ganz große Rolle, weil er eigentlich ‚wir‘ meint, der Chor ist eigentlich die Gesellschaft, die im Publikum sitzt, und der Chor ist natürlich auch derjenige, der durch die Hölle geht. Der Chor meint jeden Einzelnen, also uns alle.“ Regine Müller |
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