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Berichte

Eine Schwester der Violetta

Der Komponist Salvatore Sciarrino wird repertoirefähig · Von Gerhard Rohde

Lange Zeit galt ein Spottwort: Uraufgeführt und dann nie wieder. Zu totem Leben verurteilt im ewigen Theaterfundus. Aber auch Spott kann altern. Die alte Regel stimmt nicht mehr. Sogar in der Oper. Die Musikbühnen buhlen nicht nur um „echte“ Premieren – sprich: Uraufführungen – sie spielen auch „nach“, vor allem, wenn sich bestimmte Werke im allgemeinen Bewusstsein als interessant genug festgesetzt haben. Von diesem veränderten Bewusstsein profitieren nicht nur die Komponisten und deren Verlage (wegen der Tantiemen), sondern auch die „Kunst“ selbst: Man erfährt, wie es, in diesem Fall, mit der Kunstform „Oper“ in Zukunft weitergehen könnte. Nicht nur immer wieder „Rigoletto“ oder „Ring des Nibelungen“, bestenfalls neu dekoriert von matten Regisseursphantasien. Oder Verdis „La Traviata“.

 
Anna Radziejewska, Thomas Lichtenecker. Foto: Theater Mannheim
 

Anna Radziejewska, Thomas Lichtenecker. Foto: Theater Mannheim

 

Jetzt konnte man in wenigen Tagen an drei Musiktheatern drei Werken eines einzigen Komponisten begegnen: am Staatstheater Mainz inszenierte Tatjana Gürbaca Salvatore Sciarrinos „Macbeth“, im Bockenheimer Depot der Oper Frankfurt stellte der Regisseur Christian Pade seine szenische Version von Sciarrinos viel gespielter Kammer-oper „Luci mie traditrici“ vor. Und am Nationaltheater Mannheim gab es sogar eine Sciarrino-Uraufführung, womit die Repertoire-Tauglichkeit dieses Komponisten wohl endgültig als gesichert gelten dürfte.

Superflumina“ lautet der Titel von Sciarrinos neuem Bühnenwerk, und der Komponist erklärt auch bereitwillig dessen Herkunft: „Super flumina Babylonis illic sedimus et flevimus“ heißt es am Anfang des 137. Psalms, was übersetzt „an den Wassern Babylons saßen wir und weinten“ bedeutet. Sciarrino projiziert die Bibel in unsere Gegenwart, und die Wasser Babylons verwandeln sich in einen großen Bahnhof. Dort sehen wir eine einsame Frau, eine Obdachlose mit ihren zusammengesammelten Habseligkeiten. Menschen eilen hin und her, stolpern über die Frau, stoßen sie, schimpfen. Die fließenden Bilder gerinnen zur Chiffre: die Frau als Abbild unserer Einsamkeit und, schlimmer noch, unserer Verlassenheit. Sciarrinos Musik mit ihren fallenden Seufzern, den „komponierten“ Atemgeräuschen, ihren vor Spannung vibrierenden Pausen, Synkopierungen und nervösen Akzentuierungen verwandelt gleichsam Verdis „La Traviata“-Aussparungen in eine moderne Klangstruktur, in der auch ein schmerzender Klagelaut immer wieder ergreifend durchbricht. Sciarrinos „Obdachlose“ als eine Schwester von Verdis „Violetta Valéry“ – faszinierend, wie hier Menschenschicksale aus scheinbar weit auseinander liegenden Zeiten in unsere psychische Nähe gerückt werden.

Diese spürbare Bedrängung, ja Erschütterung unseres doch so unerschütterlichen Selbstbewusstseins wurde in der Mannheimer Aufführung noch intensiviert durch die überlegene Gestaltungskraft der Sopranistin Anna Radziejewska. Eine grandiose Studie der Verlorenheit, die eindringlich zeigte, wie ein Mensch durch äußeren exis-tentiellen Druck langsam seelisch zerstört wird bis hin zur Auflösung seiner Identität.
Sciarrinos Fähigkeit, mit seiner Musik gleichsam ins Innere seiner Figuren vorzustoßen, sie schmerzhaft zu durchleuchten, ihre wahren psychischen Dispositionen aufzuzeigen, hat in „Superflumina“ noch einmal eine gesteigerte Sublimierung und kompositorische Dringlichkeit erreicht. Nicht zuletzt auch durch eine überzeugende szenische, vokale und orchestrale Darstellung, die dem Leis-
tungsstandard der Mannheimer Oper das beste Zeugnis ausstellt (Dirigent: Tito Ceccherini, Inszenierung: Andrea Schwalbach).

Die Sciarrino-Trilogie an den drei genannten Opernhäusern demonstrierte insgesamt sowohl den singulären Rang des Komponisten in der Neuen Musik als auch die eindrucksvolle Leistungsfähigkeit unserer Musikbühnen. In der Frankfurter Aufführung von „Luci mie traditrici“ gelang es dem Regisseur Christian Pade, in der vordergründig kriminalistischen Eifersuchtstragödie die quasi solipsistische Perspektive der Figuren aufzudecken. Sciarrinos Musik weist mit ihrer insistierenden Energie unentwegt auf diese psychischen Dispositionen der Figuren hin. Nina Tarandek und Christian Miedl exekutieren das anspielungsreiche Versteck- und Entlarvungsspiel mit fast choreographisch abgezirkelter Genauigkeit. Das Frankfurter Opernorchester unter Erik Nielsen agierte so überlegen und sicher, als wollte es den modernen Spezialensembles den Rang ablaufen. Da hat sich in den Operntheatern in den letzten Jahren erstaunlich viel zum Positiven verändert.

Gerhard Rohde

 

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