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Portrait

Meine Güte, ist das hart hier!

Zentrum Hellerau und sein künstlerischer Leiter · Von Martin Morgenstern

Eigentlich verbietet es sich, nach zwei Jahren noch von „dem Neuen“ zu reden. Aber so wird der 1949 in Rostock geborene Dieter Jaenicke, seit April 2009 Künstlerischer Leiter des in der kleinen Gartenstadt Hellerau beheimateten „Europäischen Zentrums der Künste Dresden“, von den Landeshauptstädtern eben noch immer wahrgenommen. Wohnte und wirkte er doch in den letzten 25 Jahren in Rio de Janeiro, New York, Hamburg und Dänemark. Und wurde dann von einer städtischen Findungskommission gebeten, das frisch renovierte Festspielhaus des Reformarchitekten Heinrich Tessenow ganzjährig mit Leben zu erfüllen.

Inzwischen hat sich viel verändert auf dem Grünen Hügel Dresdens. Vom Ursprungsgedanken des Hauses ausgehend – mit Blick auf den damaligen Auftraggeber, den Schweizer Musikpädagogen Émile Jaques-Dalcroze, dessen „Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus“ das neue Gebäude 1911 bis 1914 beherbergte, – hat Jaenicke vor allem den Tanz als künstlerischen Schwerpunkt in Hellerau re-etabliert. So fällt heute kein Gelegenheitsbesucher mehr in Ohnmacht, wenn Jaenicke ein ganzes Wochenende dem „Entblößten Körper“ widmet und unter diesem Titel etwa Dave St-Pierre „Un Peu de Tendresse“ einfordert, auf dass die Schwänze seiner Tänzer lustig schlenkern. Einfach völlig undenkbar gewesen wäre eine solche Aufführung unter dem gesetzten ehemaligen Intendanten des damaligen „Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik“ (man beachte den Unterschied in der Benennung), Udo Zimmermann.

Keine Hardcore-Neue Musik

 
„Der Neue“: Dieter Jaenicke. Foto: Michael Ernst
 

„Der Neue“: Dieter Jaenicke. Foto: Michael Ernst

 

Jaenicke ging mit diversen thematischen, aber auch stilistischen Öffnungen, mit seiner unkonventionellen und immer genreübergreifenden Herangehensweise kein kleines Risiko ein, das sowieso meist schüttere Publikum gänzlich zu verlieren. „Ich bin – das ist inzwischen bekannt – keiner, der auf die Hardcore-Variante zeitgenössischer Musik abonniert ist“: Diese Worte darf man als Umarmung für sehr vieles verstehen, was leidenschaftlichen Donaueschingen-Jüngern missfiel. Aber das Wagnis hat sich gelohnt: 2010 wurden über 11.000 Eintrittskarten verkauft, das entspricht übers Jahr einer Auslastung von 63 Prozent. In den letzten Monaten, so rechnet es Jaenicke vor, erreichte das Haus gar eine Auslastung von 85 Prozent. Und das Team macht den wieder gewachsenen Zuspruch auch an scheinbar unwichtigen Dingen fest: dass zum Beispiel die Aftershow-Parties funktionieren, dass die Besucher nach den Vorstellungen im Haus bleiben, vielleicht noch etwas essen. Denn das war nicht immer so. Leer gähnten die Säle und Hallen des Riesenhauses die meiste Zeit unter Zimmermann, und Jaenicke gesteht: Es habe Momente gegeben, da dachte er: „Meine Güte, ist das hart hier!“ Sein Anfangsprogramm wäre in jeder Halbmillionenstadt der Welt ausverkauft gewesen. In Dresden muss-te „der Neue“ eben erst einmal unglaublich ackern, um überhaupt in der Stadt wahrgenommen zu werden. Sein Konzept, sagt Dieter Jaenicke, funktioniere mit dem Vertrauen, das das Publikum inzwischen in seine Handschrift hat. „Normalerweise macht der keinen Unsinn... das wird schon funktionieren. Gehen wir mal hin.“

Mit der künstlerischen Mischung, einerseits bekannte Tanzcompagnien wie Constanza Macras oder La La La Human Steps zu holen und andererseits auch der lokalen Szene Raum und Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, hat das Zentrum der Künste inzwischen das mit Abstand jüngste Publikum aller Dresdner Hochkulturhäuser. Seit kurzem ist es zudem auch Teil des European Dancehouse Network, mit Partnern wie Mercat de les Flors in Barcelona oder dem Centre National de la Danse Paris. Die Idee dahinter ist, Möglichkeiten für junge Choreografen zu schaffen, Residencies einzurichten und Produktionszuschüsse anzubieten.

Oper und Theater

Daneben wird auch die unter Zimmermann sorgsam gepflegte Opernlinie weiterverfolgt. Constanza Macras mit „Oedipus Rex“ und „Tod und Mädchen“ liefen hier erfolgreich, und auch das MDR Sinfonieorchester oder die Dresdner Philharmonie machen in Hellerau Projekte, die Philharmonie hat 2013/14 sogar eine drei- bis vierwöchige Residenz.

 
„Onkel Wanja“ in der Regie von Thorsten Lensing. Foto: David Baltzer
 

„Onkel Wanja“ in der Regie von Thorsten Lensing. Foto: David Baltzer

 

Was dagegen eine schon länger geplante Theaterlinie angeht, ist das Leitungsteam noch in einem Findungsprozess. „Ich denke, unser Ort wird im Bereich sehr experimentellen internationalen Theaters sein“, umreißt Jaenicke das Vorhaben. „Eigenwillige Köpfe will ich holen wie den Regisseur Thorsten Lensing; der produziert mit einer Sturheit, die nicht staatstheaterkompatibel ist. Daneben wird es viel Kontinuität geben: Constanza Macras, die Dresdner Sinfoniker, das ensemble courage...“

Um eine Zwischenbilanz ist Jaenicke nicht verlegen. „Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen, aber der Erfolg stellt sich langsam ein. Auch international werden wir mittlerweile deutlich wahrgenommen.“ Zumal die ersten zwölf Appartements für Künstler-Residenzen im nächsten Jahr übergeben werden können. Und, so Jaenicke, „was schön und ganz anders ist“ als am Anfang seines Dienstes in Hellerau: Wenn er jemanden durchs Haus führe, könne er mittlerweile sagen, so, hier probt gerade jemand, und da drüben ist eine Installation... „Das ist, was ich möchte: dass hier unterschiedliche Künstler arbeiten, sich austauschen. Ich stelle mir vor, dass das Gelände auch tagsüber lebendig ist. Wenn die Apparte ments und Probemöglichkeiten fertig sind, dann können wir hier Einmaliges anbieten, was Villa Massimo & Co. nicht bieten können: Die Künstler leben hier, arbeiten hier und zeigen hier ihre Projekte! Da würde das Haus seiner ursprünglichen Idee sehr entgegen gehen und das auf einer zeitgemäßen Ebene umsetzen. Es geht darum, den Ursprungsgedanken von Hellerau zu verwirklichen!“

 
Diplomarbeiten des Studienganges Tanz-der Palucca Hochschule für Tanz Dresden, Absolventenklasse 2010. Foto: Costin Radu
 

Diplomarbeiten des Studienganges Tanz-der Palucca Hochschule für Tanz Dresden, Absolventenklasse 2010. Foto: Costin Radu

 

Dass Dresden kleiner ist als Jaenickes bisherige Wirkungsstätten, ist klar. Auf der anderen Seite, so der Chef des Hauses, ist er froh, wenn er bei seinen vielen Reisen ein ruhiges Wochenende einfach nur mal in seiner Loschwitzer Wohnung verbringen kann. Auch wenn er sonst findet, dass Dresden die zeitgenössische urbane Aufregung ein bisschen fehlt. Die Stadt sei einfach zu gediegen! Aber das Hellerauer Team bemüht sich ja nach Kräften, seinen Teil von der Peripherie aus zu leisten. Der „suburbane Rotz“ – er gehört laut Jaenicke zu dieser Stadt. Und da tut es wirklich gut, immer mal ein paar augenzwinkernde Provokatiönchen zu ertragen, ob es nun ein öffentliches „Sleep-in“ mit dem Künstlerischen Leiter ist (wie kurz nach seiner Berufung Heike Schmidts „Bed & Breakfast“-Performance im Großen Tessenow-Saal) oder ein rauschendes „Symposion“, bei dem sich ein gutes Dutzend fantastischer Weine mit ebenso vielen Kostproben zeitgenössischer Musik aller Couleur abwechselte, bis die Teilnehmer völlig betütelt in bereitstehende Luxuskarossen aus Dresdner Produktion plumpsten... Immer spürt man die große Lust des visionären Kunstliebhabers Dieter Jaenicke am Ausprobieren, am Neuentdecken. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für die nächsten hundert Jahre des Hellerauer Hauses.

Martin Morgenstern

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