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Berichte

»Nabucco« bei den Vereinten Nationen

Kirill Serebrennikovs Verdi-Inszenierung in Hamburg

Der Ausruf gellte durch das Theater. „Aufhören!“, brüllte auf der Premiere ein Besucher. Ein anderer schimpfte, dass er die Bilder bestens kenne, und verließ den Saal – die Tür nicht minder laut zuschlagend. Zu diesen Zeitpunkten hatten Hana Alkourbah sowie Abed Harsony an der orientalischen Kurzhalslaute Oud Lieder und Melodien aus ihrer Heimat Syrien gestaltet – als Interpolation zwischen den Akten. Hierzu passend wurden überdies Fotografien des russischen Journalisten Sergey Ponomarev aus dem kriegszerstörten Syrien sowie von der Massenflucht nach Europa eingeblendet.

Während weinende Kinder zu sehen sind oder überfüllte Flüchtlingsboote und blutüberströmte Menschen in Trümmerwüsten, wird in den Liedern der Verlust der geliebten Heimat besungen. Manchen ging das zu weit, aber: Diese lautstarken Einzelstimmen wurden auf der Premiere von frenetischem Beifall überdeckt. Mit diesen Reaktionen hat es die Neuinszenierung von Kirill Serebrennikov der Oper „Nabucco“ von Giuseppe Verdi an der Hamburger Staatsoper geschafft, auch die Wunden unserer Gesellschaften klar aufzuzeigen. Die Flüchtlingsthematik ist und bleibt ein Dauerthema, höchst kontrovers und konfliktgeladen.

Dimitri Platanias als Nabucco und der Chor der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Dimitri Platanias als Nabucco und der Chor der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Für seine Sicht hat der russische Regisseur dies in das Zentrum gerückt. Schon im Vorfeld dieser Premiere gab es viel Medienrummel, denn: Seit Sommer 2017 sitzt Serebrennikov in Russland in Hausarrest. Ihm wird vorgeworfen, Subventionen veruntreut zu haben. Viele Beobachter sehen darin einen Vorwand, um einen Kritiker der Mächtigen mundtot zu machen – zumal der Politik des russischen Präsidenten Vladimir Putin. In den vergangenen anderthalb Jahren ist Serebrennikov zu einer Art Galionsfigur der Freiheit der Kunst avanciert, der Hype um ihn ist groß.Nach Stuttgart und Zürich, wo bereits Opern-Arbeiten des Inhaftierten realisiert wurden, war nun auch Hamburg im „Serebrennikov-Fieber“. Schon Ende Januar hatte das Thalia Theater das Multi-Theaterstück „Who is Happy in Russia?“ gezeigt, ein Gastspiel von Serebrennikovs „Gogol Center“ in Moskau, und jetzt die Neuinszenierung von Verdis „Nabucco“ an der Hamburger Staatsoper. Weil Serebrennikov nicht vor Ort in Hamburg weilen konnte und auch in seiner Kommunikation eingeschränkt ist, wurden – wie zuletzt bei Mozarts „Così fan tutte“ in Zürich – über dessen Anwalt Video-Botschaften auf USB-Sticks ausgetauscht.

In Hamburg haben Co-Regisseur Jewgeni Kulagin sowie Sergio Morabito, der frühere Chefdramaturg der Oper Stuttgart, die Arbeit betreut. Natürlich verkauft sich diese Geschichte gut. Schnell entsteht der Eindruck, dass die Theater auf einen PR-trächtigen Zug aufspringen, um von der medialen Aufmerksamkeit der „Causa Serebrennikov“ zu profitieren. Tatsächlich waren in Hamburg noch vor der Premiere alle Vorstellungen ausverkauft, der Vorverkauf für den Herbst wurde vorzeitig gestartet. Dieser Erfolg kann Misstrauen wecken, aber: Es ging darum, ein vertraglich bereits vereinbartes Projekt zu verwirklichen. Wie schon bei der Zürcher „Così“-Produktion wurde Serebrennikov auch von der Hamburger Staatsoper bereits 2016 eingeladen, also lange vor dessen Verhaftung. Diese erfolgte 2017, inmitten der Endphase zur Inszenierung von Humperdinks „Hänsel und Gretel“ in Stuttgart. Vor allem jedoch ist Serebrennikov nicht korrumpierbar. Er macht kein „Agitationstheater“, um einfach zu provozieren und auf seine „Causa“ propagandistisch aufmerksam zu machen. Dafür nimmt Serebrennikov die Werke und die Welt viel zu ernst, so auch jetzt in Hamburg.

Projektchor und Chor der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Projektchor und Chor der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Sein „Nabucco“ spielt bei den Vereinten Nationen in New York, in Büros und im Sitzungssaal des Sicherheitsrats. Hier wird um eine Weltordnung gestritten, wobei sich die Kontrahenten unversöhnlich gegenüberstehen. Aus Nabucco (Dimitri Platanias) wird nicht nur ein assyrischer Autokrat, der an den syrischen Machthaber Baschar Hafiz al-Assad erinnert; mit seiner Losung „Assyria first“ und der Partei „Einiges Assyrien“ ist er faktisch ein Doppelportrait von Donald Trump und Putin. Sein Gegenpart ist Zaccaria (Alexander Vinogradov).

Er ist nicht nur Chefunterhändler des Gelobten Landes, sondern ein strikter Gegner von Nationalismus und Befürworter von Multilateralismus. Seine engsten Mitarbeiter sind Ismaele (Dovlet Nurgeldiyev) und Anna (Na’ama Schulman). Fenena, die Lieblingstochter Nabuccos (Géraldine Chauvet), bemüht sich um einen Ausgleich, ganz anders Abigaille (Oksana Dyka). Sie trägt die aggressive Politik ihres Vaters Nabucco mit, um selbst an die Macht zu streben. In diesem abgründigen Macht- und Weltspiel dreht sich alles um die Flüchtlingsthematik. Während Zaccaria eine Integration anstrebt, setzt Nabucco auf Abschottung und gewaltvolle Internierung.

Passend zum Flüchtlingsthema werden Ausschnitte von Fernseh-Nachrichten eingeblendet sowie griffige Schlagzeilen. Bei Serebrennikov singt schließlich zusätzlich ein Laienchor aus Flüchtlingen und Emigranten den berühmten Gefangenenchor. „Oh mein Vaterland, so schön und verloren!“, so die Worte. Aus dem Munde dieser Amateursänger wird vollends klar, wie sehr Serebrennikov die originäre Intention Verdis einfängt. Mit seinem „Nabucco“ wollte Verdi keineswegs einfach einen biblischen Stoff vertonen, sondern er verknüpfte das Schicksal der Hebräer mit dem Italien seiner Zeit unter Fremdherrschaft.

Auch deshalb wurde der Gefangenenchor im „Risorgimento“ zu einer geheimen Hymne des italienischen Volkes. Man mag über die teils effektgeladenen, medial überbordenden Mittel streiten, aber: Serebrennikovs „Nabucco“ lässt niemanden kalt. Das eigentliche Problem waren die Leistungen der Solisten sowie des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg, die unter der allzu direkten Leitung von Paolo Carignani manche Verdi-Klischees konservierten – sehr breit und mit reichlich „Um-Pa-Pa“. Im großen Schlussapplaus wurde vom Regie-Team ein noch größeres Spruchband ausgerollt: „Free Kirill“.

Marco Frei

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