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Berichte

Gewaltige Wucht

Ernst Kreneks „Karl V.“ an der Bayerischen Staatsoper

Waten in der Geschichte: Die Münchner Staatsoper triumphiert. Der Beginn ist grandios: Aus der riesigen Projektion von Tizians „jüngstem Gericht“ löst sich zu Karls Abdankungsmonolog plötzlich eine lebende Gestalt und beginnt zu klettern, geradewegs Tizians Himmel empor… Doch bald zerfällt das Bild, übrig bleibt ein unzusammenhängendes Mosaik rechteckiger Einzelteile.

Die Lebensbeichte, die Karl V. in Ernst Kreneks 1933 vollendeter Oper gegenüber dem jungen Mönch Juan de Regla in San Yuste ablegt, ist ein ebensolches Mosaik. Die bruchstückhaften Erinnerungen an bedeutsame Stationen, das von Juan eingeforderte Reflektieren getroffener Entscheidungen, der in der Rückschau wieder durchlebte Zweifel und Schmerz – all das muss sich in Kreneks gewagter, Episches und Opernhaftes unter einen Bogen zwingender Konzeption nicht runden. Brüche dürfen offen zutage treten, die gestellten Fragen sind wichtiger als mögliche Antworten.

Bo Skovhus als Karl V., Kevin Conners als Pizarro, Chor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl

Bo Skovhus als Karl V., Kevin Conners als Pizarro, Chor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl

Regisseur Carlus Padrissa hat zusammen mit seiner Ausstatterin Lita Cabellut einmal mehr starke Bilder, technisch extrem gut gemachte Videoprojektionen, ein mit Spiegelwänden facettenreich funkelndes Bühnenbild und seine gewohnt körperpräsente Fura dels Baus aufgeboten, um des in seinen zeitgeschichtlichen Implikationen extrem komplexen Stücks Herr zu werden. Spektakulär seilen sich die Akrobaten von einem Weltenrad ab, von dem aus dann auch gleich ein Großteil der Bühne unter Wasser gesetzt wird. Durch diesen See der Erinnerung waten fortan jene historischen Figuren, die Karl (im Trockenen) imaginiert: die wahnsinnige Mutter, die ihm den wurmstichigen Apfel überreicht; Luther, der mit seiner Lehre Karls Vision eines durch den Glauben geeinten Europas gefährdet, der französische König Franz I., dem er um des Friedens willen seine Schwester zur Frau gibt.

Wie aus den herabhängenden Seilen Franz’ Gefängnis entsteht, in dem der eitle Geck auf einem Berg aus Körpern ausharrt, das entfaltet schon eine gewaltige Wucht. In der hier gespielten, gekürzten Fassung ist ein Strich Kreneks im ersten Teil wieder aufgemacht: Den Auftritt des Conquistadoren Pizarro nutzt Padrissa, um seine Tänzer nach südamerikanischem Gold suchend durchs Parkett klettern zu lassen.
Das sind immer wieder eindrückliche Auftritte, doch wenn Padrissa zur Personenführung Karls nicht mehr einfällt, als diesen in den Rückblenden aufrecht und in der Rahmenhandlung vorne an der Rampe altersbedingt gebückt auf und ab gehen zu lassen, schmälert dies die Tragfähigkeit von Kreneks ohnehin problematischer Dramaturgie doch erheblich. Was der überwältigende Sängerdarsteller Bo Skovhus durch seine vokale und körperliche Präsenz spielend wettmacht, gelingt Janus Torp in der Sprechrolle des Juan nicht. Er bleibt ein blasser, von Padrissa allein gelassener Gegenpart. Weiteren, publikumswirksam und ziemlich aufgesetzt ins Lautsprecher-Off verlegten Rollen leiht Mechthild Großmann (Wilhelmine Klemm aus dem Münster-Tatort) ihre Stimme.

Enttäuschend ist auch das, was Padrissa aus dem ingeniösen, den ersten Teil seiner Finalsteigerung entgegenbringenden Auftritt von vier Geistern macht. Geheimnislos drangsalieren die vier Sängerinnen (fantastisch: Mirjam Mesak, Anaïs Mejías, Natalia Kutateladze und Noa Beinart) Karl vorn an der Bühne, der „Geist der Leichtigkeit“ geht ihm an die Wäsche…

Mit der heiklen Entstehungsgeschichte – Kreneks mit der österreichischen Politik der frühen 1930er-Jahre kompatible Stoffwahl und die durch faschistische Intrigen verhinderte Uraufführung an der Wiener Staatsoper – hat Padrissa nichts am Hut. Auch zu der im Vorfeld betonten europäischen Vision Karls, die das Stück mitverhandle, bezieht seine Inszenierung kaum Stellung. Heutige Relevanz beschwört er nur im zweiten Teil etwas bemüht herauf, als die Landsknechte, nun in modernem Gewand, davon singen, dass sie Deutsche, nicht Weltenbürger sein wollen. Am Ende setzen sie, Karls Wahlspruch „Plus ultra – immer weiter“ auf den Lippen, zur Erstürmung des Zuschauerraums an.

Der süffige, brillant mit Oberflächenreizen spielende Zugriff des katalanischen Regieteams, das muss man ihm zugutehalten, hält das Publikum der streckenweise erdrückenden Textfülle zum Trotz bei der Stange. Dies tut mindestens zu gleichen Teilen aber auch die Musik. In der farbig weit aufgefächerten, zwischen kammermusikalischer Durchsichtigkeit und blechbeladenem Ausdruckswillen fein abstufenden Lesart des amerikanischen Dirigenten Erik Nielsen entfaltet Kreneks meisterhaft orchestrierte Partitur ihre ganze Qualität. Wie dieser die Zwölftontechnik für kantable Gesangslinien, prägnante Personencharakterisierungen, scharfe szenische Kontraste und einen einheitsstiftenden musikdramatischen Grundtonfall nutzt, das macht die Oper, bei aller Problematik des Gesamtentwurfs, zu einem zentralen Musiktheaterwerk des 20. Jahrhunderts.

Was die Münchner Staatsoper neben dem souverän-kraftvollen Chor (Stellario Fagone) an Ensemblequalität aufbieten kann, ist immer wieder verblüffend. Diesmal brillierten an der Seite des alles überragenden Protagonisten Skovhus vor allem Gun-Brit Barkmin als Eleonora und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Franz I., was die Leistung von Okka von der Damerau (Juana), Anna Schwanewilms (Isabella) oder Michael Kraus (Luther) nicht schmälern soll.

Am Ende ließen sich alle zu Recht für den durchaus nicht vorhersehbaren Krenek-Triumph feiern, und das Regieteam genoss, teils barfuß, teils in Gummistiefeln, das Bad im Publikumsjubel.

Juan Martin Koch

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