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Berichte

Keine Deutschtümelei

„Das Schloss Dürande“ am Meininger Staatstheater

Die erhoffte Sensation war da, aber mit schroffen Brüchen: Erstmals seit 1945 gab es eine szenische Produktion der Oper „Das Schloss Dürande“ von Othmar Schoeck (1886-1957). Dieses explodierte bei der Uraufführung auf der Bühne der Berliner Staatsoper Unter den Linden am 1. April 1943, zeitgleich mit den ersten realen Bombardements der Alliierten. Das Textbuch Hermann Burtes, der Joseph von Eichendorffs 1835/1836 entstandene Erzählung in eine für die NS-Ideologie passgenaue Versform schmiedete, wurde nach 1945 als unüberwindbare Hypothek betrachtet. Im Zuge seiner Bemühungen um Othmar Schoeck hat Mario Venzago, der bereits dessen „Penthesilea“ kritisch sichtete, „Das Schloss Dürande“ für die textliche Neubearbeitung behutsam adaptiert. Francesco Micieli ersetzte etwa 60 Prozent von Burtes Originallibretto durch Auszüge aus Eichendorffs Prosa und Gedichten. Für dieses Projekt leistete eine Arbeitsgruppe an der Hochschule für Kunst Bern unter Leitung von Thomas Gartmann wissenschaftliche Vorarbeiten.

Intendant Ansgar Haag konzentriert sich in seiner Personenführung auf geradliniges Erzählen. Bernd Dieter Müller und Annette Zepperitz bauten einen in sich verzogenen Einheitsraum mit geraden Wänden und Stilmerkmalen, die wie Kassetten im Mauerwerk auf nationalsozialistische „Illusionen in Stein“ verweisen: Projektionen und sparsame Zeichen stehen für Waldromantik und Waldkloster: Der überprotektive Jäger Renald will die Liebe seiner Schwester Gabriele zu seinem Dienstherren Graf Armand von Dürande verhindern. Sie bleibt dem Geliebten nah, ohne sich diesem zu erkennen zu geben oder ihn mit Forderungen zu bedrängen. Renald schließt sich in Paris Anhängern der Französischen Revolution an. Armand, der Gabriele erst am Schluss wiedererkennt, fällt mit ihr unter den Schüssen Renalds, der das Pulverlager auf Schloss Dürande entzündet und dieses in die Luft jagt: Aufstand der populistischen Massen gegen die dekadenten Eliten.

Matthias Grätzel als der Alte Graf und Herrenchor des Meininger Staatstheaters.  Foto: Sebastian Stolz, filmwild.de

Matthias Grätzel als der Alte Graf und Herrenchor des Meininger Staatstheaters. Foto: Sebastian Stolz, filmwild.de

„Das Schloss Dürande“ ist eine große Choroper, gipfelnd in einer opulenten Szene, in der sich Nonnen und Jäger im Rebenrausch vereinen – und in der Neubearbeitung ist der Tod nicht fern. Allerdings wirkt Schoeck in den Chorpassagen weitaus weniger fortschrittlich als in der Behandlung der Solostimmen. Mit dem umfangreichen Extrachor steigert sich in Meiningen zwar die Klangpracht, wird aber der Unterschied zwischen auftrumpfendem Kollektiv und kammermusikalisch-filigraner Orchestration noch deutlicher. Philippe Bach hat am Pult für den von ihm aufgelichtet und mit kundiger Hand geleiteten Abend die besten Voraussetzungen. Vom Chor mit Extrachor (André Weiss) und der Meininger Hofkapelle wird hervorragend musiziert, dazu mit sensibler Transparenz bei den vielen Horn-, Violin- und allen anderen Soli. Die Meininger Produktion unterläuft erfolgreich Assoziationen an Deutschtümelei auch mit einer internationalen Besetzung der drei Hauptpartien. Durch ihre Erscheinung und ihr italienisch-lyrisches Timbre ist Mine Yücel alles andere als ein deutsches Mädel. Shin Taniguchi offenbart sich als sängerdarstellerisches Bariton-Wunder in der zwiespältigen Rolle des Rächers. Odrej Šaling singt als Armand betörend. Eine kluge Entscheidung war, der mit gebrochenem Arm die Premiere glänzend meisternden Sonja Freitag die Partie der Gräfin Morvaille anzuvertrauen.

Vorsicht ist bei „Das Schloss Dürande“ allerdings auch nach der Bearbeitung geboten: Fragwürdig scheint die Neupositionierung eines von Schoecks Hauptwerken, das nur durch kräftige Veränderungen für die Bühne zu retten ist. Kanten stecken dabei nicht nur in der Adaption Schoecks, sondern auch in der Quelle Eichendorffs. Man kann die braune Decke auf Schoecks „Schloss Dürande“ nicht derart unkompliziert durch eine weiße Unschuldsweste ersetzen, wie das die Bearbeiter dieser Neufassung suggerieren. Also wäre zu begrüßen, wenn die Diskussion über bipolare beziehungsweise als bipolar rezipierte Werke nach den Erfahrungen aus dieser halben Uraufführung erst recht in Gang käme. Warum nicht bei einer Fachtagung in Meiningen?

Roland Dippel

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