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Berichte

Ohne teutonische Weihe

„Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Oper Leipzig

Zum ersten Mal (nach Wieland Wagner, der aber so konkret nicht war) hat ein Regisseur den Mut gehabt, Wagners Beziehung zum antiken Theater zu zeigen, indem er die Handlung in einem Amphitheater spielen lässt. Wagner hatte ja bekannt: „Wir können bei einigem Nachdenken in unserer Kunst keinen Schritt tun, ohne auf den Zusammenhang derselben mit der Kunst der Griechen zu treffen.“ In den „Meistersingern“ ließ sich Wagner weniger von der derben Dramatik des Nürnbergers Hans Sachs als von der Sängerwettstreits-Komödie „Die Frösche“ des Aristophanes inspirieren. Das Ergebnis ist eine beispiellose Oper, in der der Gegensatz von alter und neuer Musik, (verknöcherter) Tradition und Avantgarde, um nicht zu sagen „Zukunftsmusik“ ausgetragen wird, aber auch der Zusammenhang von (Meister-)Kunst contra Nationalpolitik. Wobei Sachs in seiner so oft falsch verstandenen Schlussansprache für deutsche bürgerliche Kunst als Utopie einer demokratischen Kultur plädiert, jenseits aller Politik. Regisseur David Pountney hat das verstanden und hat es aus britisch ironischem Blickwinkel, fern aller deutschen historischen Traumata, in Szene gesetzt.

Foto: Kirsten Nijhof

Foto: Kirsten Nijhof

Ins Halbrund eines grauen antiken Amphitheaters hat Pountney mit seinem Bühnenbildner Leslie Travers ein historisches Miniatur-Nürnberg hineingestellt, ein variables Arrangement von Holzmodellbauten, die begehbar sind, auseinandernehmbar und vielfältig variierbar. Nach der Prügelszene sieht man zu Beginn des dritten Aktes einen Modellbausatz kriegszerstörter Nürnberger Häuser auf einer Altnürnberger Sachsstube. Auf der Festwiese steht ein Holz-Modell des Deutschen Reichstags. So ganz hat Pountney also Deutsche Politik und Zweiten Weltkrieg nicht außen vor gelassen. Auch der Nachtwächter mit Krücke gleicht eher einem Kriegsinvaliden als einem Altnürnberger Faktotum. Aber man sieht keine Nazis, Beckmesser wird als Schulmeister dargestellt, nicht als antisemitische Karikatur eines Juden. Pountney spielt in seiner so intelligenten wie verantwortungsvollen Inszenierung mit historischen und modernen Kostümen, lässt Massen paradieren und tanzen, auch mal in weißen, mal in roten Overalls. Stolzing tritt in weißer Jeans mit roten Sneakers und dunklem Künstlermantel auf, ein Mensch von heute, die Meister durchweg in Altnürnberger Tracht. Auf der Festwiese keine Folklore, keine Deutschtümelei. Das Dirigat Ulf Schirmers entspricht dem Regieansatz Pountneys, er zelebriert zwar gemeinsam mit einem grandios aufspielenden Gewandhausorchester ein Fest, doch es war ein Fest rhythmisch-pointierter, dramatisch wie lyrisch klangprächtiger, aber doch transparent polyphoner Strukturen. Er dirigiert unpathetisch, ohne falsche (teutonische) Weihe, kraftvoll jugendlich, flüssig, mit straffen Tempi und schönen orchestralen Details und doch wie aus einem (symphonischen) Guss. Eine Extraklasse für sich ist der Chor der Oper Leipzig samt Zusatzchor (Einstudierung Thomas Eitler-de Lint).

Leider gab es in dem großen Ensemble Licht und Schatten. Großartig der britische Wagnerbariton James Rutherford als Hans Sachs, ein Paradebeispiel absolut wortverständlichen, klug phrasierten und (auch in der Höhe) stimmintakten, natürlichen Singens. Auch Magnus Vigilius als Walther von Stolzing bestach mit jugendlich strahlendem Tenor. Mathias Hausmann als Beckmesser fiel wegen Stimmbanderkrankung aus. Er rettete den Abend durch sein Spiel, während aus der Gasse Ralf Lukas sang. Der David von Matthias Stier war ungewöhnlich stark, baritonal und viril besetzt. Elisabet Strid sang die Eva recht robust, zuweilen keifend und flackernd. Qualitativ sehr unterschiedlich waren die Meister besetzt. An Wortverständlichkeit und Artikulation ließen einige zu wünschen übrig. Trotz sängerischer Abstriche eine Aufführung, die man gesehen haben sollte!

Dieter David Scholz

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