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Editorial

„... Ho! He! Je! Ha! Steuermann, her!“

Pandemie und Klimawandel – das war bereits Thema des letzten Editorials - haben die Gemeinsamkeit, dass beide unumstößliche Realität sind, an der sich nichts ändert, wenn wir sie ignorieren. Und beide sind Umstände, die alle politischen Entscheidungen beeinflussen müssen.

Gerrit Wedel. Foto: Charlotte Oswald

Gerrit Wedel. Foto: Charlotte Oswald

Das Thema dieses vorweihnachtlichen Editorials sollte eigentlich nicht mehr die Pandemie sein, doch diese Hoffnung hat sich infolge der aktuellen Entwicklung zerschlagen - uns überrollt die vierte Welle mit größerer Wucht als alle bisherigen.

Die Zahl von 100.000 Toten ist zwischenzeitlich deutlich überschritten, das bedeutet in 20 Monaten Pandemie durchschnittlich je über 5.000 Tote. Infektionszahlen mit Inzidenzen von schon über 2.000 mit steigender Tendenz, vor allem bei Ungeimpften, zahlreiche Impfdurchbrüche an allen Orten auch bei Geimpften trotz umfassender Hygienekonzepte und Testmonitorings. Verlegungen von Intensivpatienten z.T. bereits ins Ausland. Staaten kündigen Grenzkontrollen an. Die Virusvarianten klopfen an wie aktuell aus Südafrika. Weitere Lockdowns sind nicht mehr auszuschließen oder bereits realisiert wie z.B. in Sachsen - die Tarifpartner sind dazu aufgefordert, wieder Möglichkeiten zur Einführung von Kurzarbeit in Kraft zu setzen.

Und das alles ist nur eine Momentaufnahme, vieles von dem, was ich beschreibe, ist in der nächsten Woche möglicherweise schon wieder anders zu bewerten, wahrscheinlich dramatischer, bedrohlicher…

Man ist des Ansteckungsrisikos und der dauernden Risikoabwägung bei Begegnungen überdrüssig, mürbe von der Sorge um die besonders gefährdeten Menschen im Umfeld, viele sind erschöpft als Eltern von Kindern, die zu jung für die Impfung und Spielball von Kita- oder Schulschließungen sind. Viele hatten Verluste zu beklagen, zu trauern um Mitmenschen, zu trauern um den Verlust der früheren Lebensrealität. Viele sind ganz unmittelbar betroffen durch eine eigene Erkrankung, durch wirtschaftliche Unsicherheit, durch den Mangel an Planbarkeit. Mangel an Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit - im Privaten wie im Politischen. Wie stellt sich die Politik dazu, warum wurden nicht die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen getroffen trotz entsprechender vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse, weite Teile des gesellschaftlichen Lebens könnten womöglich mit deutlich geringeren Einschränkungen weiter arbeiten.

Im Sinne des Gelassenheitsgebets des Theologen und Philosophen Reinhold Niebuhr „Gib mir die Gelassenheit, Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“ versuche ich, die Gefahr durch das Virus als das zu akzeptieren, was es ist, und meinen Beitrag dazu zu leisten, es nicht unnötig zu verbreiten. Die Pandemie ist ein Fakt, daran ist nichts zu ändern. Ändern kann und muss sich jedoch der politische Umgang damit, denn der ist katastrophal. Daran wollen wir rütteln, laut sein, und Verbesserung fordern.

„Notstand“ ist ein historisch und gesellschaftlich sehr aufgeladener Begriff, aber tatsächlich trifft das zu: Klima-Notstand, Pandemie-Notstand - jedes Gesetz, jede Maßnahme darf diese Umstände nicht verschlimmern sondern muss zu ihrer Besserung beitragen und sich an diesem Maßstab messen lassen.

Das ist drastisch - aber es bedeutet auch eine Klarheit, was den politischen Kompass betrifft. Leider scheinen wir bisher weitgehend ohne Kompass unterwegs zu sein oder gleich ganz festzustecken. Eben das erinnert an den fliegenden Holländer: Hat da jemand den Steuermann abberufen?

Angela Merkel war während ihrer langen Kanzlerschaft nicht unbedingt die Garantin eines Kurses, der frei von Schlingern war. Dennoch hat sie eine gewisse Verlässlichkeit geboten, die uns dieses Jahr ganz abhanden gekommen ist. Ein Bundestagswahlkampf mitten in der Pandemie – kein ideales Timing. Zudem haben 2021 einige Landtagswahlen stattgefunden, nämlich in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Auch Thüringen hatte ursprünglich für September Neuwahlen geplant nach dem Debakel im Februar 2020 als FDP und CDU ihre „Brandmauer nach rechts“ weniger wichtig fanden, als Bodo Ramelow zu verhindern – da war jedes Mittel recht, auch die Stimmen der AfD. A propos AfD, in den Landesteilen, wo die AfD besonders hohe Stimmenanteile errungen hat, haben wir zur Zeit die höchsten Inzidenz-Werte und besonders gravierende Entwicklungen des Infektionsgeschehens - Ein weiteres Zeichen für den Mangel an verantwortlichem Handeln im Sinne der Gemeinschaft?

Hoffen wir darauf, dass sich das mit der Ampelkoalition bald ändert und der Mut zu verantwortungsvollem Handeln die Überhand gewinnt, auch wenn es gilt, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen gegen populistische Stimmungsmache. Hoffen wir auf den Steuermann. Und hoffen wir auf die Vernunft der Erkenntnis von allen, die durch Impfen zu einem verantwortungsvollen Miteinander der Gesellschaft beitragen.

Gerrit Wedel

 

 

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