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Kulturpolitik

Kulturleben im Land der Fjorde

Über die norwegische Opernlandschaft · Von Steffen Kammler

Während die Opernpremieren von Stockholm, Göteborg oder Kopenhagen immer wieder in den deutschen Opernzeitschriften Beachtung finden, ist Norwegen in den letzten zehn Jahren als Opernland kaum wahrgenommen worden. Lediglich die Osloer Ring-Inszenierung von Mike Ashman unter Heinz Frickes Dirigat und kürzlich der Schlauchboot-Lohengrin von Alfred Kirchner wurden von einigen deutschen Blättern registriert. Außerdem haben deutsche Haushaltsrechner über das Opernprojekt in Bergen geschrieben. Ohne eigenes Ensemble wird dort Oper produziert. Was aus der Not geboren war, wurde zum Beispiel moderner Opernorganisation unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten. Sänger und Instrumentalisten werden für jede der jährlich ein bis zwei Produktionen extra engagiert.

Opern-Enthusiasmus

 
 

IItziar Martinez Galdos und Kjell Magnus Sandve in der „Lustigen Witwe“. Foto: Opernhaus

 

Der Betrieb teurer Musiktheater mit eigenem Chor, Ballett und Orchester ist in dem dünn besiedelten Land kaum zu finanzieren. Dennoch stellen Opernenthusiasten wie in Bergen so auch in anderen Teilen Norwegens Erstaunliches auf die Beine. Da gibt es etwa das Städtchen Kristiansund an der Westküste, in dem unter großer Beteiligung der Einwohner jährlich ein Opernfestival präsentiert wird, mit ein oder zwei szenischen Produktionen, Konzerten und Gästevorstellungen. Höhepunkt ist in jedem Jahr die Opernpremiere, erarbeitet unter reger Beteiligung der Einwohnerschaft. Kostüme werden in der Freizeit geschneidert, ebenso die Bühnenbilder gebaut. Im Chor singen ausschließlich einheimische Sangesfreudige, die sonst ganz anderen Berufen nachgehen. Lediglich eine kleine Administration und 13 Orchestermusiker sind fest angestellt. Auch in Kristiansand ganz im Süden wird Oper gezeigt, allerdings auch hier ohne fest engagierte Sänger. Hier stützt sich das „Opernhaus“ auf ein größeres Stadtorchester. Bergen, Kristiansand und die heimliche Opernhauptstadt Kristiansund sind nur die drei bekanntesten von mindestens 10 bis 15 Städten im ganzen Land, darunter etwa Trondheim und Sandefjord, die in eigener Regie und mit meist sehr bescheidenen Kräften Oper zeigen, oft im Rahmen von Musik- oder Kulturfestivals.

Hauptstadtkultur

Die 4,5 Millionen Einwohner Norwegens verteilen sich auf einer Fläche etwa so groß wie Deutschland. Die Nord-Süd-Ausdehnung des Landes entspricht der Entfernung von Oslo nach Rom. So sind diese Art Eigenproduktionen fast die einzige Möglichkeit für die weit gestreute Bevölkerung, Oper direkt zu erleben. Lediglich in der Region um Oslo ist die Einwohnerdichte größer, hier leben etwa eine Million Menschen. Hier auch steht der Leuchtturm in der kargen Opernlandschaft: die Norwegische Nationaloper, einziges Musiktheater mit festem professionellen Ensemble. Allerdings ist der Leuchtturm im Stadtbild kaum auszumachen. Seit seiner Gründung muss sich das Musiktheater mit einem Provisorium begnügen, dem Saal des Volkstheaters. Mitten in einem Passagenviertel der Innenstadt, eingebaut zwischen Geschäften, ist das Opernfoyer kaum als solches auszumachen. Der Glaseingang könnte als größeres Schaufenster durchgehen. Kein strahlendes Gebäude. Fast versteckt vor den Blicken der Touristen, ist es in keinem Reiseführer erwähnt. Hier ging am 16. Februar 1959 mit d‘Alberts Tiefland die erste Premiere der neu gegründeten Norwegischen Nationaloper über die Bühne. Kirsten Flagstad, die erste Theaterleiterin, hatte einst selbst mit dieser Oper ihre Weltkarriere gestartet. Mit 24 Orchestermusikern, 10 Sängern und 9 Tänzern begann der Aufbau des Opernensembles. Kirsten Flagstad verzichtete zwei Jahre lang auf ihr Gehalt und gab zusätzlich Geld aus der eigenen Tasche, um weitere Musiker engagieren zu können.

Internationale Beachtung

Nach 43 Jahren hat sich die Norwegische Nationaloper zu einer Institution mit beträchtlichen Ausmaßen entwickelt: sie zählt heute 420 fest Angestellte, darunter 20 Gesangssolisten, 42 Chorsänger, 42 Tänzer und ein Orchester mit 72 Stellen. Etliche Opernproduktionen, die international Beachtung gefunden haben, sind in den letzten Jahren entstanden: Willy Deckers „Figaro“ und Herbert Wernickes „Zauberflöte“ und der Verdi/Shakespeare-Zyklus vom Hausregisseur Stein Winge etwa. Das Norwegische Nationalballett ist inzwischen eine internationale Größe und fährt jedes Jahr durch die halbe Welt mit klassischem und modernem Repertoire, mit Tanztheaterproduktionen von vielen der größten Choreografen unserer Zeit.

Reiseoper in Norwegen

Von Anfang an gehörte es zum Auftrag des Osloer Opernhauses, eine nationale Oper zu sein. Das heißt nicht nur, dass der zeitgenössischen norwegischen Oper große Bedeutung beigemessen wird: Mindestens alle zwei Jahre soll eine norwegische Oper auf dem Spielplan stehen (ein schweres Unterfangen, bedenkt man, dass keiner der wenigen großen norwegischen Komponisten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts eine Oper hinterlassen hat). Nationale Verantwortung heißt auch, dass unter dem Begriff Reiseoper regelmäßig Städte im ganzen Land angesteuert werden, um dort, unterstützt von einheimischen Instrumentalisten und Chören, Oper zu zeigen. Oslo stellt Regie, Technik, Ausstattung, Dirigenten und Solisten.

Mängel im Opernalltag

Auf der Osloer Bühne sind in dieser Saison neben „Lohengrin“ unter anderem eine aufrüttelnde Inszenierung der „Karmelitterinnen“ in der Regie von Hilde Andersen und zuletzt eine „Lustige Witwe“, hervorragend choreografiert von dem berühmten Engländer Stuart Hopps, gelaufen. Und das nächste Jahresprogramm verspricht ähnlich interessante Premieren. Opernchef Björn Simensen sieht sein Theater in einer Reihe mit den besten europäischen Opernbühnen, zumindest was die Qualität der Produktionen betrifft.

In der Anzahl der Neuproduktionen und der Vorstellungen allerdings muss man sich mit der Hälfte dessen begnügen, was an großen deutschen Bühnen geboten wird. Das Theater hat einfach nicht genügend Lagerplatz und keine akzeptable Probebühne. Der Opernalltag ist durch diese Mängel geprägt. Mehr als zwei Produktionen können nicht im gleichen Zeitraum laufen. In den letzten zwei Wochen vor einer Premiere, wenn nur auf der Hauptbühne geprobt werden kann, ist es fast unmöglich, überhaupt noch Vorstellungen zu geben. Im Laufe einer Opernsaison kommt man über etwa 80 Vorstellungen, darunter drei bis vier Premieren, nicht hinaus. Alle diese Proleme werden mit einem Schlag gelöst sein, wenn einst verwirklicht ist, was das norwegische Parlament beschlossen hat: der Bau eines neuen Opernhauses bis zum Jahre 2008. Direkt am Osloer Hafen in schönstem Umfeld gelegen soll es zum Mittelpunkt eines ganzen neuen Stadtviertels werden.

Gute Arbeitsbedingungen

Die begrenzte Anzahl an Vorstellungen in Oslo macht natürlich längere Probenphasen möglich, was dem Endresultat (und den Nerven der Mitarbeiter) zugute kommt. Das in deutschen Theatern alltägliche Wie-sollen-wir-das-alles-bloß-bis-zur-Premiere-schaffen ist hier nur selten auszumachen. Selbst für die „Lustige Witwe“, die am 20. April ihre umjubelte Premiere hatte (die 25 Vorstellungen bis Juni sind bereits nahezu ausverkauft), gab es zwei Sitzproben mit Chor und Solisten. Und die geringe Vorstellungszahl lässt Freiräume für Ferien- und Urlaubsregelungen, wie sie an deutschen Theatern undenkbar sind. So stehen etwa dem Chor neben den siebenwöchigen Sommerferien zwei bis drei einzelne Urlaubswochen und sieben freie Wochenenden im Laufe einer Saison zu. Dass sich die Arbeit hier familienfreundlich gestaltet, hängt mit weiteren einfachen Regeln zusammen: Sonntags und feiertags ist grundsätzlich spielfrei (Norweger müssen am Sonntag in die Berge oder ans Wasser), und im Chorsaal wird nur einmal täglich geprobt, drei bis vier Stunden.

Nachwuchsmangel

 
 

Modell des neuen Opernhauses in Oslo

 

Trotz dieser günstigen Regelungen und eines relativ guten Gehalts fällt es schwer, guten Nachwuchs für den Chor zu finden. Zwar gibt es über das ganze Land verteilt Musikhochschulen, aber es wird fast ausschließlich für den Konzertbereich ausgebildet. Die Sänger erhalten Stimmunterweisung, während ein szenisches Training nur in geringem Maße angeboten wird. Lediglich die Opernhochschule in Oslo ist direkt auf die Ausbildung von Opernsängern ausgerichtet. An dieser Hochschule bewerben sich ausgebildete Sänger aus ganz Skandinavien, doch nur jeder zehnte Interessent bekommt einen Platz. Die Frage der Ausbildung und Rekrutierung von Sängern wird in den nächsten Jahren für den Opernchor entscheidende Bedeutung erhalten (für das Orchester gibt es solche Probleme nicht): Wenn am 20. September 2008 erstmals der Vorhang im neu errichteten Opernhaus hochgeht, wird die Norwegische Nationaloper nicht nur endlich ihren künstlerischen Ambitionen angemessen modern und zweckentsprechend untergebracht sein. Alle Ensembles sollen bis dahin entscheidend vergrößert werden. Man wird nicht umhinkommen, in größerem Maße als bisher Künstler aus dem Ausland zu engagieren. Bereits jetzt ist es nahezu unmöglich, für eine frei gewordene Stelle im Chortenor einen einheimischen Sänger zu finden. Doch innerhalb der nächsten sechs Jahre müssen in Oslo etwa 40 Stellen im Chor besetzt werden; jährlich kommen zu den normal frei werdenden Stellen drei bis vier neue hinzu. Das Orchester wird auf über 100 Stellen anwachsen, das Ballett wächst um 20 Positionen.

Zukunfshoffnung

Wenn alles nach den gegenwärtigen Plänen läuft, wird Oslo in sechs Jahren das modernste Opernhaus mit dem größten (und hoffentlich besten) Ensemble in ganz Skandinavien besitzen.

Steffen Kammler

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