Oft mussten die Mannheimer Bürger jedoch um ihr Theater kämpfen. Kaum hatte unter Carl Theodors Ägide mit der Uraufführung der Oper „Günter von Schwarzburg“ 1777 der Anlauf zu einem deutschsprachigen Musiktheater begonnen und das Mannheimer Ballett sich einen internationalen Ruf erworben, musste der Fürst die bayerische Erbfolge antreten. Mit Carl Theodor gingen die Sänger, Tänzer und viele Musiker nach München, in Mannheim blieb nur das Schauspiel zurück. Doch selbst aus dieser Not machten die Mannheimer eine Tugend, indem sie ihr Theater dem jungen Schiller quasi als Hausbühne zur Verfügung stellten. Dass das Nationaltheater heute am Goetheplatz steht, mutet da fast wie eine Ironie des Schicksals an. Der Name Nationaltheater jedenfalls war Programm, denn im ausgehenden 18. Jahrhundert stellte Theater in deutscher Sprache, geschrieben von deutschen Autoren, eine bahnbrechende Neuerung dar. Stetiges WachstumEs dauerte nicht lange, da gesellte sich die Oper wieder zum Schauspiel und die Mannheimer Bürger hatten wenigstens ein Zwei-Sparten-Haus. Im Lauf des 19. Jahrhunderts entfaltete sich ein blühender Repertoirebetrieb, die Opern Mozarts wurden von Anfang an gespielt, später kam eine intensive und fruchtbare Wagner-Pflege hinzu. Auch Wagner ist nach wie vor ein Schwerpunkt im Spielplan des Nationaltheaters, Generalmusikdirektor Adam Fischer gab 2001 sein Debüt auf dem Grünen Hügel von Bayreuth. Am längsten brauchte das Ballett, um sich wieder in Mannheim zu etablieren. Jahrzehntelang musste sich das Publikum mit Gastspielen begnügen, bis endlich 1870 ein eigenes Ballettensemble aufgebaut wurde. Interessanterweise wurde das Mannheimer Ballett von Frauen geführt. Die Reihe der Mannheimer Ballettmeisterinnen erwies sich als mutig und aufgeschlossen, früh wurde der Ausdruckstanz gefördert und der Reformer Rudolf von Laban konnte seine Theorien auf der Bühne umsetzen wie 1921 mit der Choreografie zu Wagners „Tannhäuser“. Finanzkrisen und ihre Lösung
Wären die Mannheimer ihrem Theater nicht so eng verbunden gewesen, gäbe es heute kein Nationaltheater Mannheim. 1817 kürzte das Großherzogtum Baden seinen Zuschuss – ein heute vertraut anmutendes Thema – und die Stadt sprang ein, um ihre Bühne zu retten. Die nächste große Finanzkrise kam nach dem Schwarzen Freitag 1929, als es wieder die Mannheimer Bürger waren, die durch Proteste und Spenden ihr Theater retteten. Mit gutem Grund: Zwischen den Weltkriegen dirigierte unter anderem Wilhelm Furtwängler am Mannheimer Nationaltheater, das eine innovative Blütezeit erlebte mit zahlreichen Uraufführungen, einer Händel-Renaissance und der Entdeckung russischer und tschechischer Opern. Diese Blüte wurde durch die Herrschaft der Nationalsozialisten unterbrochen, alle Spielpläne im so genannten Reich wurden zentral überwacht. Der schwerste Einschnitt kam mit der Bombardierung des Nationaltheaters. Alles, was architektonisch an Carl Theodor, die Mannheimer Schule, Mozart und Schiller erinnert hatte, versank in Schutt und Asche. Wie in vielen anderen zerstörten Städten wurde trotzdem schon 1945 wieder gespielt, wenn auch in Behelfsräumen. Ausgelasteter ChorStatt nach dem Krieg mit der Städtischen Bühne Heidelberg zu fusionieren, gaben die theaterbegeisterten Mannheimer wieder Geld, und so konnte 1953 der Grundstein für den Theaterneubau am Goetheplatz gelegt werden, auf dem Gelände eines ehemaligen Bunkers. Mit Schillers „Die Räuber“ und Webers „Der Freischütz“ wurde 1957 die Eröffnung des Hauses gefeiert. Traditionsbewusst ist das Nationaltheater geblieben: bis vor rund 15 Jahren hatte Mannheim einen Spielplan im Musiktheater anzubieten wie sonst nur die Wiener Staatsoper, erinnert sich Winfried Knoll, selbst seit 25 Jahren Mitglied des Mannheimer Opernchors. Lange ist das Nationaltheater ein Ensembletheater gewesen, weder für Wagner noch für Verdi mussten Gäste engagiert werden. Die Repertoiredichte in der Oper hatte jedoch auch ihren Preis: Chorsänger absolvierten oft 25 Vorstellungen im Monat in manchmal 25 verschiedenen Stücken, dazu kamen die Proben. Deshalb hatten die Mannheimer Choristen eine Woche mehr Urlaub als ihre Kollegen an anderen Bühnen, erzählt Knoll. Leider nur so lange, bis der Urlaub für alle Chorsänger in Deutschland auf 45 Kalendertage erhöht wurde. Neue Chorsänger und -sängerinnen mussten sich auch an das Mannheimer Klima gewöhnen, denn der Wind wehte meist aus Ludwigshafen und trieb die Dämpfe der BASF über den Rhein, was sich erst einmal auf die Stimmbänder schlug, so Knoll. Reger Austausch mit Bayreuth
Das hat sich inzwischen dank neuer Filteranlagen geändert. Knoll denkt gern an die Glanzzeit des Repertoirebetriebs zurück. Viel Arbeit, sagt er, war es jedoch für Neueinsteiger im Chor, die innerhalb von zwei bis drei Jahren an die 30 Chorpartien lernen mussten. Dafür liefen die Stücke im Schnitt zehn Jahre lang regelmäßig, es gab pro Spielzeit nur vier bis fünf Opernpremieren, und so beherrschten die Choristen ihre Partien in- und auswendig. Da jedes der Repertoirestücke mindestens ein Mal im Monat auf dem Spielplan stand, waren weniger Wiederaufnahmeproben nötig. Die ganzen großen Verdi- und Wagner-Opern habe man auf dem Spielplan gehabt, einen regen Austausch mit Bayreuth praktiziert. Nicht umsonst seien die Wagner-Brüder oft zu Premieren nach Mannheim gekommen, denn schon die Vorgänger von GMD Adam Fischer (unter anderem Horst Stein, Hans Wallat oder Peter Schneider) dirigierten auf dem Grünen Hügel. Für viele Solisten und Kapellmeister wäre die Verdi- und Wagnertradition der Grund gewesen, in Mannheim zu bleiben. Der legendäre „Parsifal“ in einer Inszenierung von 1956 ist das letzte überlebende Stück dieser Ära. Heute, meint Knoll, seien die Spielpläne etwas ausgedünnt, es würden weniger Stücke öfter gespielt, längere Zeit abgesetzt und dann mit größerem Arbeitsaufwand als Wiederaufnahmen hervorgeholt. Und dann noch die leidigen Originalsprachen! Berlioz’ „Les Troyens“ oder Mussorgskys „Boris Godunow“ im Kopf zu behalten, wenn man weder französisch noch russisch spricht, das sei eine Kunst für sich. Mozart ist ein MussInzwischen hat Mannheim wieder an die Ausrichtung der Zwischenkriegszeit angeknüpft, man entdeckt selten gespielte Opern aus dem Ausland, pflegt zeitgenössische Komponisten durch Uraufführungen, die überregional viel Beachtung finden wie etwa Giorgio Battistellis „Auf den Marmorklippen“. Mozart ist jedoch für das Nationaltheater geradezu ein „Muss“: Neben der obligatorischen Mozart-Oper im Spielplan findet alljährlich im Dezember die Mozart-Woche statt. Auch das Mannheimer Ballett pflegt Mozart, um nur das vom ehemaligen Ballettdirektor Philippe Talard choreografierte Mozart-Requiem zu nennen oder den in dieser Spielzeit uraufgeführten Tanzabend „Moving Mozart“ vom Direktoren-Team Dominique Dumais und Kevin O’Day. Man darf gespannt sein, wie die in 225 Spielzeiten entstandene Tradition des Mannheimer Nationaltheaters in den nächsten Jahren und Jahrzehnten fortgeführt wird.
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|