| 
 
 Womit das eigentliche Ärgernis dieser so gar nicht zum Skandal sich eignenden Inszenierung angedeutet wäre: Schlingensiefs Desinteresse (oder war es am Ende doch mangelnder Mut?) an der Zuspitzung oder wenigstens Verdeutlichung der einen oder anderen Assoziation. Voodoo und nepalesisches Ritual, Beuys’sche Hasen, Zitronen, Hirtenstäbe und ein Friedhof der Kunst von Michelangelo bis Warhol, die Gralsritter mal als Vertreter der Weltreligionen (1. Akt), mal als historische Herrscher und Diktatoren (3. Akt) kostümiert – die Liste ließe sich ins Endlose fortsetzen und wäre vielleicht die einzig angemessene Form der Beschreibung. In der Fülle indes neutralisiert sich das alles, verliert sich im Bedeutungslosen. Das beginnt schon bei den mit Halbdunkel noch euphemistisch umschriebenen Lichtverhältnissen, die es schlicht nicht zulassen, dem einen oder anderen Detail in Requisite oder Kostüm Aufmerksamkeit zu schenken, und setzt sich fort in den zahllosen, hier bedeutungsschwangeren, dort albernen Graffitis. Optisch dominieren ohnehin die Videosequenzen, die freilich nur einmal, bei der Verwandlung zum zweiten Bild des ersten Aktes, so etwas wie Bühnenwirkung entfalten. An dem verwesenden Hasen und anderem mehr oder weniger appetitlichen Getier hat man sich dann aber auch schnell satt gesehen. Sänger sind auch unterwegs. Dass sie sich offenbar nichts zu sagen haben, nimmt man noch achselzuckend zur Kenntnis, dass ihre bescheidenen Aktionen aber in so gar keine Beziehung zu dem treten, was da auf der Bühne herumsteht und -liegt, langweilt schlicht. Der – mit Ausnahme der Blumenmädchen und des einmal mehr überwältigenden Festspielchores – durchweg nur auf mittlerem Niveau sich bewegende Gesang tut hier ein übriges: Robert Holls mit unbeteiligtem Wohlklang einlullender Gurnemanz, Alexander Marco-Buhrmesters mehr angestrengt denn ergreifend leidender Amfortas, John Wegners zumindest scharf charakterisierter Klingsor haben (an diesem 18. August) ebenso wenig Festspielformat wie Michelle de Youngs in der Mittellage monochrome Kundry und Endrik Wottrichs auf ein paar solide Spitzentöne sich verlassender Parsifal. Den verschämt im Pressebüro ausliegenden „Notizen“ des Dramaturgen Carl Hegemann, die „zur Selbstverständigung im Arbeitsprozess“ dienten, dürfen wir nun aber entnehmen, dass es Schlingensief darum gegangen sei, im Sinne einer Nahtoderfahrung „mit film-, kunst- und zeitgeschichtlichen Elementen, die den Regisseur bewegen“ zu erkunden, „wie wohl ein solcher Film aussehen könnte, der in unserer Todesstunde abläuft.“ Nicht allein die für den Parsifal zentrale Todessehnsucht, sondern die Todeserfahrung selbst wäre also Schlingensiefs Thema gewesen. Nun, wir haben Kundry – einer der wenigen luziden Momente – im Augenblick ihrer Taufe sterben sehen; wir haben – und hier beweist Schlingensief wenigstens Mut zum Kitsch – gesehen, wie Parsifal zum Schluss dem Licht am Ende des Tunnels entgegen schreitet. Doch hat sich darüber hinaus und bis auf die trostlos sinistre Stimmung, die das Ganze ausstrahlt, etwas von dieser ja nicht so abwegigen Idee vermittelt? Und entwickelt sich daraus in Verbindung mit dem Erklingenden so etwas wie Musiktheater? Nicht wirklich, im Grunde hat man den ermüdenden Eindruck, einer zufällig zu Wagners Musik sich abspielenden szenischen Installation beizuwohnen, was seine Entsprechung kurioserweise ausgerechnet in Pierre Boulez’ erneut zügigem Dirigat findet. Gewiss, wir haben gehört, wie die instrumentalen Schichten eines beispielhaft präzisen Festspielorchesters sich in totale Transparenz auseinanderfalten, wir haben Wagner den Orchesterklang für das 20. Jahrhundert aufschließen gehört, und doch hätte auch eine konzertante Aufführung kaum theaterferner, ja kaum teilnahmsloser ausfallen können. Wüsste man nicht, dass Boulez den Regiedebütanten gegen manche Kritik verteidigt hat, könnte man meinen, er arbeite – nicht ganz in Wagners Sinne, aber doch dessen Seufzer angesichts der szenischen Probleme im Bewusstsein – am allmählichen Erstarren des Bühnengeschehens bis hin zu dessen Verschwinden: „Nachdem ich das unsichtbare Orchester geschaffen, möchte ich auch das unsichtbare Theater erfinden!“ 
 
 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||
| 
 
 
 |