Dass Passanten und nicht etwa die Feuermelde-Technik die Feuerwehr alarmierten, leitet zu den nächsten Omen über. Hamburgs Schauspielhaus musste die Spielzeit-Eröffnungspremiere um vier Tage verschieben, weil die – obwohl bisher von keinem Haustarifvertrag betroffene – Drehbühne streikte und in Hamburgs Thalia-Theater ersuchte der Intendant das auf die Premiere von Schillers Jungfrau wartende Publikum, doch bitte wieder nach Hause zu gehen, da ebenfalls Arbeitsverweigerung zu verzeichnen sei: die Elektronik der Bühnen-Obermaschinerie wolle nicht mitspielen. Gleichzeitig galt es zu verarbeiten, was – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – auf unseren „Brennpunkte“-Seiten 7 und 8 dieser Ausgabe berichtet wird: weiterer Stellenabbau, angedrohte Schließungen, Gehaltsverzichtsverträge, Zuwendungskürzungen. Und als sei das alles noch nicht genug, kündigte die Fachzeitschrift, „Die Deutsche Bühne“ in ihrer September-Ausgabe unter der wahrhaft köstlichen, auf Christoph Schlingensiefs Bayreuther Medienspektakel mit Musik gemünzten Überschrift „Avanti dilettanti!“ an, dass weitere „professionell unbeleckte Medienstars (Doris Dörrie, Daniel Libeskind, Bernd Eichinger, Percy Adlon) auf Werke der repräsentativen Großform Oper“ angesetzt würden: „Regisseure, die ‚es‘ zwar (oft erklärtermaßen) ‚nicht können‘, aber dafür originelle Ideen aus einem fremden Metier und Liebe zur Sache mitbringen. Von Liebe leitet sich bekanntlich der Begriff ‚Amateur‘ ab.“ Das kann ja lieblich werden. Doch vor dem endgültigen Versinken in tiefe Melancholie retten selbst den Abergläubigen zwei dicke, zahlengespickte Broschüren, die vom Deutschen Bühnenverein zusammengestellten Werk- und Wirtschaftsstatistiken. Sie lesen sich, mögen sie auch jeweils um eine Spielzeit der Aktualität hinterherhinken, wie ein jährlicher „Bericht an die (Theater-)Nation“. Und siehe da: Allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, auch allen Unkenrufen zum Trotz, hat sich das deutsche Theater in der Spielzeit 2002/03 nicht nur bewährt, sondern mehr Zuschauer gewonnen, weniger Kosten verursacht. Mehr als 19,9 Millionen Zuschauer, 358.000 mehr als in der Spielzeit 2001/02, haben die 64.728 Aufführungen der öffentlichen Bühnen besucht; Theater und Kulturorchester vermochten es, ihre Einspielergebnisse auf durchschnittlich 16,4 Prozent des Budgets zu erhöhen. Der durchschnittliche Betriebszuschuss pro Besucher sank dementsprechend von 96,07 Euro auf 94,62 Euro. Besucherzuwächse konnten vor allem – auch wegen des gesteigerten Angebots – das Kinder- und Jugendtheater (plus acht Prozent) sowie das Schauspiel (plus drei Prozent) verzeichnen; den geringeren Zuwächsen in der Sparte Musiktheater stehen allerdings rückläufige Besucherzahlen der 48 Kulturorchester gegenüber: den Verlust von 76.000 Besuchern (minus drei Prozent) mussten sie hinnehmen. Die Kürzungen der Zuweisungen und die Kostensteigerungen machten sich beim Personalstand bemerkbar: 152 Beschäftigte der Theater (ein halbes Prozent) und 180 Musiker (fünf Prozent) verloren in der Spielzeit 2002/03 ihren Arbeitsplatz. Die Theaterstatistik wertet die Daten von 150 öffentlichen
Theatern, 216 Privattheatern, Zweierlei zeigt die Statistik: Die aktuelle Theaterkrise ist eine wirtschaftlich bedingte. Und: Krisen sind Herausforderungen, denen das Theater sich aber nur zeitlich begrenzt zu stellen vermag, nur so lange, bis der Verlust an personeller Substanz in den Qualitäts- und damit auch Attraktivitätsverlust umschlägt.
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