Rebecca Ringst hat sechs Fachwerkhäuschen auf die Bühne des Freiburger Theaters bauen sowie mit Girlanden von Glühbirnen versehen lassen. So wird winterliche Idylle im mittelalterlichen Kern von süddeutschen Kleinstädten illuminiert. Wilhelm Müllers Leiermann, unsterblich geworden durch Schuberts „Winterreise“, setzen die ausgiebig heulenden Hunde zu. Schwarzwaldmädel gehen auf den Balkonen in Stellung als Drohung und Verheißung zugleich. Irgendwie also wird auch jetzt im Breisgau „Romantik“ verhandelt und verschandelt. Bald auch das Ende der grotesk konservierten „besseren“, aber leider längst vergangenen Zeiten. Goethes Ruh’ ist hör- und sichtbar dahin. Neal Schwantes, der Darsteller des erotisch aktiven Dichterfürsten, schlägt in einem Anfall von Jähzorn ein paar Füllungen aus den Fachwerkrahmen. Und der verhaltensgestörte Edward aus der Loewe-Ballade massakriert seine Mutter. Gabriel Urrutia, der sich auch als Grenadier auf den Russlandfeldzügen Napoleons und der deutschen Wehrmacht bewährt, erledigt das, indem er sie mit dem unhandlich großen Schwert melodramatisch vom Unterleib her aufschlitzt. Mit feinsinniger Erörterung der Historizität des Klavierlieds und neuerlichem Vermessen einer imposanten Klavierlandschaft hat Calixto Bieito nichts im Sinn. Er nutzt die kleingliedrige Szenenfolge für ein grell aufgemöbeltes Lustspiel, das blutig endet. Zum Kernbegriff Deutschland fällt dem katalanischen Regisseur außer der Kostümierung des Musikantenstadels nur ein kometenhaft aufsteigender und höllisch abstürzender Politiker ein, der als Parodie von Chaplins großem Diktator Hinkel grüßt und grüßen lässt. Auch ein Dutzend Gartenzwerge erhebt die rechten Arme zum Hinkelgruß. Einen trifft der Hammer von Leandra Overmann, die als Moderatorin durch die Show führt. Fabrice Bollon sorgt für eine präzise Realisation der Klavierkammermusik im Graben und die Koordination mit dem (weniger auf Wohlklang als auf Charakterisierung grotesker Partien hin angelegten) Singen auf der Bühne. Im großen Interludium „Verzweiflung“ zeigt die Auswahl aus dem Philharmonischen Orchester Freiburg, wie sehr sie sich zuvor zurücknehmen musste und konnte. Chorsänger leisten als de-facto-Solisten auch einen erheblichen Beitrag zum quirligen Spiel. Die Faktur der Musik kommt in einem relativ kleinen Haus wie dem an der Bertoldstraße vorteilhafter zur Wirkung als in so großen Hallen wie der Deutschen Oper Berlin. Zumal, wenn der Zuschauerraum offensiv als Klangraum genutzt wird. Die Nacht- und Todesverbundenheit der deutschen literarischen und musikalischen Romantik, die Kagels Liederoper beschwor und mit neu formatiertem Kammerton versah, wird von Bieito in eine von Xavier Sabata exzessiv gestaltete Schreiorgie der Mignon überführt. Das „Nur wer die Sehnsucht kennt, fühlt, was ich leide“ – Goethes großer Seufzer führt nicht zu stiller Introvertiertheit, nobler Stille und Leere, sondern zur Explosion. Bieitos grelle Episodenfolge, in der die jeweiligen Akteure allemal einfach nur „dran sind“, mündet mit einer gewissen Konsequenz im Amoklauf von Freiburg: Leandra Overmann erschießt alle – zu den Titeln bekannter und vergessener, fortdauernd „gesund-morbider“ und „vergifteter“ Schubert-Lieder: „Leichenphantasie“ und „Freiwilliges Versinken“, „Letzte Hoffnung“ und „Erstarrung“. Frieder Reininghaus
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