Der Inhalt der Oper allerdings hebt sich ab von der Konvention. Antônio Carlos Gomes und der mit ihm befreundete Schriftsteller Alfredo Visconde de Taunay d’Escragnolle entwarfen das Werk als Beitrag im Kampf gegen die damals in Brasilien noch legale und durchaus übliche Sklaverei. Als „Lo Schiavo“ dann nach sechs Jahren Arbeit 1889 endlich auf die Bühne kam, war der Kampf im Prinzip schon gewonnen, die Sklaverei seit 1888 verboten. Dennoch wurde die Oper begeistert aufgenommen und fand schnell Eingang ins brasilianische Repertoire. Sie zeigt, dass mit der Freilassung der Sklaven die Probleme eben ganz und gar nicht enden. Schon die Personenkonstellation ist ungewöhnlich. Der negativen Figur des Sklavenhalters in der Person des portugiesischen Grafen Rodrigo (Stephan Bootz) steht als eigentlicher Held des Stückes der Sklave Iberè gegenüber: In seiner Rolle als ehemaliger Häuptling der Tamojo-Indianer, durch Mut und Tapferkeit entspricht er zwar dem Typus des „Edlen Wilden“, doch hat er Glück weder im Kampf noch in der Liebe. Dazwischen stehen zwei zwiespältige Figuren: Zum einen Americo (Adrian Xhema), Rodrigos Sohn, der philanthropische Ideen pflegt und Iberè vor den brutalen Übergriffen des Sklavenaufsehers bewahrt – wofür Iberè ihm ewige Treue und Dankbarkeit schwört. Zum andern die Sklavin Ilàra, mit der Americo ein heimliches Liebesverhältnis hat.
Was eine subtile Studie über die psychischen Deformationen von Unterdrückern und Unterdrückten hätte werden können, wird von Regisseur Joachim Rathke und Bühnenbildner Bernhard Niechotz ins Plakative vergröbert. Die Sklaverei von damals finde ihre Fortsetzung in heute bestehenden Ausbeutungsverhältnissen, ist die gut gemeinte Begründung. Und so schuften die Sklaven statt auf einer Zuckerrohrplantage in einer Fabrik mit integriertem Madonnenaltar, und Iberè und Ilàra hausen im Abflussrohr eines städtischen Slums statt im Urwald. Die aufständischen Indianer werden zu Stadtguerilleros, die französische Gräfin zu einem dekadenten Paris-Hilton-Verschnitt. Wenn sie sich zur Freilassung der Sklaven als Rosenblätter streuende Muttergottes inszeniert, reduziert das Regieteam ein wichtiges politisches Signal auf bloße Selbstdarstellung. Eher plump muten in dieser Szene die munteren Einlagen einer Sambagruppe an. Unfreiwillig komisch wirkt der engagiert und klangmächtig singende Chor (mit Extrachor), wenn er im ersten Akt immer wieder per Hebebühne herauf- und hinuntergekarrt wird. Relativ grobschlächtig erscheinen auch viele Darsteller. Virginia Todisco singt zu laut und agiert zu hart, als dass man ihr Ilàras Verletzlichkeit abnehmen könnte. Umso eindringlicher verleiht Adrian Gans dem unglücklichen Iberè Ausstrahlung und Würde. Unter GMD Carlos Spierer entfaltet das Philharmonische Orchester Gießen eindringlich die Kantilenen, aber auch die farbige Instrumentation der Partitur. Die kleineren, impulsiven Klanggesten dagegen fügen sich weder im Orchestergraben noch auf der Bühne zu einem Spannungsbogen. Andreas Hauff
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