Ansonsten aber präsentierten Carlus Padrissa und sein spanisches Theater-Kollektiv „La Fura dels Baus“ Puccinis unvollendet gebliebene letzte Oper als Tsunami-artiges Totaltheater. Da gab es Anleihen bei den Kostümen und mehrfach auch bei der Gestensprache der Peking-Oper. Doch da sich Turandot in Erinnerung an eine verschleppte und vergewaltigte Vorfahrin frigid bis zur Eiseskälte verhält, spielt alles auf einer imitierten Eisfläche. Also gibt es Hockey spielende, kesse Girls auf raffiniert imitierten Schlittschuhen, die mehrfach durchs Geschehen flitzen. Also tritt Turandot in einem Eisrahmen samt projizierten Eisbergen im Hintergrund auf und schmilzt bei jedem durch Calaf beantworteten Rätsel ein Stück tiefer bis auf Augenhöhe zu ihrem Eroberer. Dazu gibt es Luft-Artisten an Drahtseilen, die die Mächtigen spektakulär begleiten oder chinesische Kalligraphieblätter in den Bühnenraum halten. Die Staatsmacht bietet aber auch mal barbusige Tänzerinnen, mal eine Breakdance-Gruppe oder mal „Killing fields“-artige Projektionen mit den Köpfen der an Turandots drei Rätseln gescheiterten und dann hingerichteten Bewerber, gesteigert zu einem wohl schon von gefräßigen Raupen gespenstisch wabernden Berg aus Köpfen in der Bühnenmitte. Die „Volksmillionen“ sitzen wiederholt in wabenförmigen Kästchen, die aufzugsartig hoch- und niederfahren, mal beleuchtet, mal nur als Schattenriss. Alles gipfelt in einer mehrfach herabfahrenden, stilisierten Sonnenscheibe, in deren Zentrum sich Staatsmacht und Turandot präsentieren. Dazu taucht auf der Übertitelfläche ein Brillensymbol auf: Raschelnd setzen sich alle die ausgegebene 3D-Brille auf und die ja ohnehin dreidimensionale Bühne, speziell aber das Herrschaftssymbol wird durch virtuelle Projektionen ins Hautnahe gesteigert, Fahnen wehen, Aufmärsche von Gelehrten und Schutztruppen, Artisten in der Luft und am Boden, Tänzerinnen, Rollwagen für den Kaiser – Totaltheater.
Diese technisch stupende Mischung aus „Holiday on Ice“ und „Cirque du Soleil“ kann man als „Veräußerlichung“ ablehnen – und ein Gutteil des Premierenpublikums tat dies am Ende lautstark. Doch man muss sich auch den Show-Charakter von Puccinis Asien-Oper für das europäische Publikum vergegenwärtigen, vor allem aber an die ebenso gigantomanischen wie verführerischen Show-Inszenierungen erinnern, die blutige Diktaturen für Staatsfeiern oder Sportereignisse noch in unseren Jahrzehnten veranstalten. Da verdienen Bühnentechnik und Padrissas „Fura“ doch auch beeindrucktes Staunen – und dazu passte der tosende „Sound“ des klangprächtig aufspielenden Staatsorchesters unter dem wie ein heimkehrender Geliebter gefeierten Zubin Mehta. All dieser Bühnenzauber machte auch vergessen, dass der recht handfeste Calaf von Marco Berti und die schneidend kalte Turandot-Heroine von Jennifer Wilson viel an der Rampe agieren durften – im Gegensatz zu den drei Ministern Ping, Pang und Pong, die die Herren Previati, Conners und D’Aguanno zu musiktheatralischen Kabinettstückchen singschauspielerten. Vokal fiel auch noch der edle Bass Alexander Tsymbalyks als Calafs Vater Timur auf. Und Puccini-Kenner können sich auch damit trösten, dass alle Opulenz und Show herb endete: ohne eines der nachkomponierten Finali. Wolf-Dieter Peter
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