Peters und Paar hätten – und ja auch mit „einheimischer“ Kompetenz – diese schwierige Phase gerne auf sich genommen. Von minis-terieller Seite wurde jedoch anders entschieden. Im Theaterbereich ist zwar ein Intendantenwechsel und damit ein Wechsel von Künstlern und Personal ein ganz normaler Vorgang. „Nach acht oder zehn Jahren auch völlig in Ordnung“, sagt Noch-Tanzchef Paar. „Aber in nur fünf Jahren kann man sich nicht voll verwirklichen. Unser Start 2007/2008 fiel in eine wirtschaftlich schwierige Zeit. Die Leute sind nicht ins Theater gegangen. 2010/2011 aber war für das Haus die beste Spielzeit seit 16 Jahren. Die Einnahmen des Tanztheaters haben sich in den letzten 4 Jahren, im Vergleich zu meinem Vorgänger Philip Taylor, um 75 Prozent gesteigert. Das Publikum hat sich verjüngt, das ältere ist aber nicht weggeblieben.“ Ein Erfolg, den er hoffte, noch ausbauen zu können. Die zunächst schmerzhafte frühzeitige Verabschiedung hat er inzwischen weggesteckt. Choreograf Paar, demnächst künstlerisch neu gefordert durch Gastaufträge an der Oper von Ankara, in Saigon und Hanoi, abgesichert auch durch seine künftige Tanzleitung unter Ulrich Peters, dem designierten Intendanten in Münster, argumentiert jetzt ohne Groll, wenn auch kritisch: „Josef Köpplinger wird mit Gästen arbeiten – das Sängerensemble wird komplett aufgelöst. Zu den Umbaukos-ten kommen also noch die Abfindungen. Und es muss ein ganz neues Repertoire erarbeitet werden.“ Für Paar, allein schon wirtschaftlich gesehen, „eine vom Kunstministerium wenig durchdachte Geschichte“. Das Tanzensemble bleibe zwar mit seinen zwanzig Tänzern erhalten: „Es wird aber nur noch zwei Tanzabende bekommen. Wir hatten immerhin pro Saison drei Premieren und zwei Wiederaufnahmen, dabei die Verpflichtung zu nur zwei Musical-Produktionen. Ab 2012/2013 werden die Tänzer durchgehend Musical und Operette bedienen müssen, und zwar, wie es geplant ist, in einem Ensuite-Spielplan.“ Gekappt also die in Jahrzehnten hart erkämpfte Unabhängigkeit der Tanzensembles von Oper und Operette – zurück zum Status des Serviceleisters? International konkurrenzfähig
Das Gärtnerplatz-Tanztheater mit Paars Tanzdramen – wie „Romeo und Julia“, letzthin „Das Schloss“ – und mit seinen abstrakten, stilis-tisch auch durch renommierte Gäste vielfältigen Abenden ist bis jetzt modern-zeitgenössische Gegenpol-Ergänzung zum großen Staatsensemble an der Maximilianstraße. Und die Tänzer können mit ihrer Brio-Technik mühelos auf dem internationalen Tanzparkett konkurrieren. Nachfolger Schreiner wollte ja auch, wie man von Paar hört, zwei Drittel von dessen Tanzensemble übernehmen – aber nur die Hälfte bleibt. Mithin wäre Paars Prognose nicht unrealistisch: dass nämlich wegen der Musical-Auflage junge, heute generell glänzend ausgebildete Tänzer kaum noch hier vortanzen werden. Und sinkt das Niveau dieses Tanzensembles, könnte schnell, unter bekanntem Sparzwang, seine Abschaffung erwogen werden. Gerüchte dahingehend kursierten schon vor Jahren. So düster muss es nicht kommen. Wenn Musical und Operette gut gemacht sind – Intendant Köpplinger hat auf seinem Gebiet, wie Paar betont, einen guten Ruf –, sind möglicherweise auch Top-Tänzer interessiert. Außerdem ist München als Stadt sehr attraktiv. Und Karl Alfred Schreiner, wenn auch erstmals Tanzchef, hat langjährige choreografische Erfahrung. Als Tanzschöpfer, die ihn beeindruckt haben, nennt er Pina Bausch, Meg Stuart, Sasha Waltz, William Forsythe, Wayne McGregor, Wim Vandekeybus, also wichtige Erneuerer von Neoklassik bis Tanztheater und Physical Dance in den 1980er-Jahren. „Ich liebe Dynamik, gehe aber trotzdem nicht in die komplette Abstraktion“, gibt Schreiner eine Idee seiner Handschrift. Hauptsache: Gutes Musiktheater
„Für mich muss eine Bewegung immer motiviert sein. Wenn mich etwas innerlich bewegt, dann hoffe ich auch, andere zu bewegen.“ Angesprochen auf den Verlust der bisher gültigen, zumindest relativen Eigenständigkeit des Tanzensembles meint Schreiner: „Wenn der Intendant den Tanz fördert, sehe ich keinen Rückschritt in das alte System. Und wenn man ein Stück ernst nimmt, sehe ich auch keinen Unterschied zwischen Oper, Operette und Tanzabend.“ Ebensowenig solle man in einer Musiktheater-Produktion die einzelnen Sparten und Mitwirkenden kritisch bewertend auseinanderdividieren. Es gehe nicht um Unterordnung und Zuarbeiten, sondern darum, mit allen verfügbaren Kräften „gutes Musiktheater zu machen, um dem Publikum einen schönen Abend zu bescheren“. Das Ziel der neuen Intendanz sei es, „als ganzes Haus aufzutreten, von einer Plattform aus“. Angst vor den sanierungsbedingten vier Ersatzspielstätten Cuvilliés-, Prinzregententheater, Reithalle und dem Fröttmaninger Zelt des Deutschen Theaters hat Schreiner nicht: „Ich habe es im Leben nie einfach gehabt, bin an den Schwierigkeiten immer gewachsen. Für mich ist die Arbeit am Gärtnerplatztheater eine große Aufgabe, auf die ich mich freue. Aber wenn die Realität mir beweist, dass ich der Falsche bin, werde ich die Konsequenzen ziehen.“ Dem Bayerischen Staatsballett wird der gebürtige Prager Ivan Liska nach 14-jähriger Leitung nun bis 2015/2016 vorstehen. Die Vertragsunterzeichnung hatte sich bis in den Dezember verzögert – wegen spezifischer Vertragseinzelheiten: unter anderem die angefragte, aber nicht gewährte finanzielle Unterstützung für die von Liska gemeinsam mit der Ballettakademie und der Heinz-Bosl-Stiftung gegründete Junior Company, wie man von Liska erfuhr. Ein weiterer Verhandlungspunkt mag die Absicherung des 1989 von Liska-Vorgängerin Konstanze Vernon erhandelten Unabhängigkeits-Verhältnisses des Balletts von der Oper gewesen sein. Liska, ein überaus vorsichtiger Mann, hat sich diesbezüglich nur in Andeutungen geäußert, betonte aber mehrmals, er wolle, „dass die 22-jährige Geschichte des Bayerischen Staatsballetts sich uneingeschränkt entwickelt“. In Anbetracht von Sparzwängen – die am Gärtnerplatztheater ab Herbst zu einer rückschreitenden Umstrukturierung führen – könnte eine erneute Operndominanz über das Ballett durchaus zu befürchten sein. Liska beteuerte jedoch, er sei weiterhin mit eigenem Budget und eigener Spielzeit-Planung völlig selbstständig. Zur Festschreibung dieses Status für die Zukunft wäre – nach den Beispielen John Neumeier in Hamburg und Vladimir Malakhov in Berlin – seine Ernennung zum Ballettintendanten sinnvoll gewesen. Um diesen absichernden Titel sollte sich dann 2016 unbedingt sein Nachfolger bemühen. Malve Gradinger |
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