In den sozialen Netzwerken des Internets, auf der Straße, an der Pförtnerloge werden Unterschriften für den Erhalt gesammelt, nicht nur in den Medien vor Ort brechen die Diskussionen los, die so typisch geworden sind für die Theaterlandschaften unserer Gegenwart. An einer der Ampeln in unmittelbarer Nähe des Stadttheaters, das wacker auf seinem kleinen Innenstadt-Hügel thront, klebt noch immer einer der „Cultura non olet“-Zettel. Das Theater aber, das steht inzwischen fest, bleibt von der Streichung verschont. Der Druck ist zu groß gewesen, das Bewusstsein, dass kulturelle Identität unverzichtbar ist. „Vielleicht ist es auch einfach nur eine Frage der Zahlen gewesen“, stellt Intendant Jörg Gade trocken fest. „Die Stadt zahlt 3,2 Millionen ans TfN, aber der gesamte Etat von 15 Millionen wird von uns hier in der Stadt ausgegeben. Das ist ja auch etwas, das wirtschaftlich denkende Menschen überzeugen sollte.“ Kein guter StartEs erstaunt, aber Jörg Gade kann gelassen und mit ruhiger Klarheit auf die bisherige Geschichte des TfN zurückblicken, die mit der Fusion von Stadttheater Hildesheim und Landesbühne Hannover 2007 mehr als holprig begann. Zwei Institutionen gingen damals eine heikle Zweckgemeinschaft ein: ein Dreispartentheater, mit Oper- und Schauspielbetrieb und kleiner Ballettcompagnie, sowie eine Landesbühne mit reinem Schauspielensemble, versehen mit der Aufgabe, in den ensemblelosen Städten Niedersachsens Theater zu spielen. Für beide wurde 2004 die Kündigung der Zuwendungsverträge durch das Land Niedersachsen zur Schicksalsstunde, war sie doch verbunden mit der Ankündigung, den Theateretat um zehn Prozent zu reduzieren. Für Hildesheim hätte dies den Wegfall mindestens einer Sparte bedeutet und für die Landesbühne vermutlich das komplette Aus. Das TfN sollte außerdem mit einer Deckelung der Zuwendungen leben müssen, Tarifsteigerungen wurden nicht mehr von den Geldgebern übernommen. Das Ergebnis: Schon im April 2008, wenige Monate nach Beginn der ersten Spielzeit, stand das TfN vor der Insolvenz, weil die Tarife um acht Prozent angehoben wurden, während zugleich das Pub-likum reserviert und skeptisch blieb. Die Einsparungen wurden verschärft, die ehrgeizigen Ziele beschnitten. Die ursprünglich gut 300 Mitarbeiter wurden auf 250 reduziert, die ehemalige Heimspielstätte der Landesbühne in Hannover geschlossen, Ensembles verkleinert, der Spielplan gekürzt. Immerhin: 650 Aufführungen in der letzten Spielzeit. Man sitzt im Bus, man singt, man spielt, man spart. Man überlebt. Modellfall
„Das hat auch damit zu tun, dass wir wirtschaftlich auf mehreren Füßen stehen“, erklärt Jörg Gade. Ja, das mobile Stadttheater ist ein kompliziertes Konstrukt: Seine Gesellschafter sind die Stadt Hildesheim, der Landkreis Hildesheim (beide geben jeweils 3,2 Millionen Euro pro Jahr) sowie der Zweckverband Landesbühne Hannover (650.000 Euro), der sich wiederum aus 4 Mitgliedern zusammensetzt: der Region Hannover sowie den Kommunen Nienburg, Gronau und Bad Bevensen. Der größte Zuschussgeber mit 6,2 Millionen ist das Land Niedersachsen. Damit ist das Theater für Niedersachsen eine Art Modellfall. Eine Institution, von der man Kunst und Kasse gleichermaßen erwartet, höchste Flexibilität und zugleich das Backen kleiner Brötchen. Aber es funktioniert: Gerade die Gastspielorte sind zufrieden mit dem bunten, vorsichtig modernisierten und mit Herzblut präsentierten Angebot. Es scheint fast eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass hierfür von Anfang an die Ballettcompagnie aufgegeben und durch eine Musical-Company ersetzt werden musste. „Das ist ja bisher ein Unikum“, betont Gade. „Ein festes Musical-Ensemble an einem Haus, das dann auch gleichzeitig auf Tour geht.“ Und sitzt man dann in einer dieser Musical-Aufführungen, versteht man auch, dass sich die Entscheidung gelohnt hat. Das Ensemble spielt nicht das, was jeder zur Genüge kennt, sondern amerikanische Beinahe-Klassiker, auch Neu- oder Wiederentdeckungen, und sorgt für größten Publikumsjubel. In der vergangenen Spielzeit wurde so eine rauschhaft-übermütige Inszenierung von Bernsteins „On the Town“ zum Triumph, eine freundlich-beschwingte „Footloose“-Produktion zum Herzenswärmer. Zur Zeit sorgt „Der Mann von La Mancha“ für volle Reihen, und Musical-Company-Chef Christian Gundlach (der das Haus zur nächsten Spielzeit allerdings verlassen wird) hat mit „Das letzte Einhorn“ wieder einmal auch ein eigenes Werk uraufgeführt – ein Fantasy-Märchen, das zwar musikalisch nicht viel mehr als gefällige Routine aufbietet, aber genug Charme und Originalität besitzt, um die großen kommerziellen Einheitsproduktionen alt und kalt aussehen zu lassen. Überhaupt: das Musiktheater. „Wir haben nicht damit gerechnet, mehr als 5 Opern pro Spielzeit auswärts aufführen zu können“, sagt Gade, „aber ganz schnell lagen wir bei 15 bis 20.“ Ein Faktum, das gewiss auch mit ihm zu tun hat: Generalmusikdirektor Werner Seitzer ist eine Instanz, ein Urgestein des Stadttheaterapparates. 1985 kam er nach Hildesheim (als man hier noch hauptsächlich für Operetten bekannt war) und ist dem Haus auch mit der Fusion treu geblieben „Ich bin ein Überzeugungstäter in Sachen Provinz“, betont Seitzer und erklärt, was ihm nach wie vor vorschwebt: „Wir wollen Volksoper machen – auch für das Flächenland Niedersachsen. Ich möchte, dass unser kulturelles Erbe in möglichst breiten Schichten verankert wird, dass die Leute ein Bewusstsein aufrechterhalten dafür, dass es mehr gibt als Shoppen und den neuesten Flachbildschirm.“ Breites Spektrum des PopulärenWer auf Vermittlung setzt, muss auch das Populäre betonen. In dieser Spielzeit steht neben einer mit furiosem Witz inszenierten „Glücklichen Reise“ von Eduard Künneke eine öde „Bohème“, eine vertrackt-komische, üppig ausgestattete Produktion von „Hoffmanns Erzählungen“ – und eine sehr erfolgreiche Inszenierung von Giuseppe Verdis „Aida“. Aber Werner Seitzer, der gern auch Leos Janácek, Benjamin Britten und Hans Werner Henze aufs Programm setzt und im Februar die Operneinakter „Erwin und Elmire“ von Othmar Schoeck sowie „Der zerbrochene Krug“ von Viktor Ullmann präsentieren wird, scheut keineswegs die Herausforderung. Nichts hat das so deutlich zum Ausdruck gebracht, wie Seitzers auch von der Presse hoch gelobte Produktion von Richard Wagners „Meistersingern“, die in der Spielzeit 2009/2010 das 100-jährige Bestehen des Stadttheaters feierte – mit 60-köpfigem Orchester, einem altdeutschen (dem Hildesheimer Marktplatz nachempfundenen) Bühnenbild und großen Extrachören, die aus der Hildesheimer Bevölkerung zusammengestellt wurden. Selten ist es wohl gelungen, Stadt und Theater so stark miteinander zu verbinden, eine so starke Identifikation zu erreichen. Wichtige Rolle: Der ChorDer feste Opernchor selbst ist ohnehin klein, verfügt gerade einmal über 18 Mitglieder. Hinzu kommt jedoch der von Werner Seitzer gegründete Symphonische Chor, der heute von Achim Falkenhausen geleitet wird. Insgesamt kommen hier rund 100 Sängerinnen und Sänger zusammen, und nachdrücklich wird der Nachwuchs gefördert: „Wer bei uns in den großen Opern mitmachen will, muss erst mal hier durch“, sagt Seitzer. In vom Chor selbst ausgerichteten Produktionen wie dem Kindermusical „Honk“ oder einer Aufführung von „Fame“ mit Jugendlichen werden zugleich erste Auftritte vor großem Publikum möglich gemacht. Es waren die Hildesheimer Bürger, die sich bereits im Jahr 1902 zusammenschlossen, um den Bau ihres eigenen Theaters zu finanzieren, das 1909 eröffnet wurde. Und so ist es dann auch kein Wunder, dass sie heute bereit sind, mit großen Unterschriftenaktionen für ihr Theater für Niedersachsen zu streiten. „Die Kinderkrankheiten haben wir hinter uns“, resümiert Intendant Jörg Gade und lächelt. „Wir sind inzwischen ein Jahr früher als erwartet wieder liquide. Und bis 2014 sind wir abgesichert, die Deckelung wurde jetzt aufgehoben, keine neuen Kürzungen stehen an.“ Ein bisschen klingt es, als könne er es selber kaum glauben, als er noch hinzufügt: „Eigentlich geht es uns gut.“ André Mumot |
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