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Aktuelle Ausgabe

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Auf ein Wort mit...
Nanine Linning, Künstlerische Leiterin und Chefchoreografin der Dance Company Nanine Linning / Theater Heidelberg

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Auf ein Wort mit...

Nanine Linning, Künstlerische Leiterin und Chefchoreografin der Dance Company Nanine Linning / Theater Heidelberg

Heidelberg liebt Nanine Linning. Nachdem ihr langjähriger Förderer Holger Schultze sie 2012 engagiert hatte, gelang es ihm, auch dank des nachhaltigen Einsatzes des Oberbürgermeisters Eckart Würzner und des Mäzens Wolfgang Marguerre, den Vertrag mit der gebürtigen Niederländerin zwei Mal zu verlängern. Dennoch bricht die Schöpferin großformatiger Bühnenwerke, die oft hybriden Kunststrategien gefolgt sind, im Sommer 2018 nach sechs Jahren zu neuen Ufern auf. Es lockt die internationale Zusammenarbeit quer um den Globus, so die Mitteilung des Pressebüros. „Dusk“ ist der Titel ihrer daher letzten Uraufführung als Chefchoreografin des Theaters Heidelberg. Linnings Erfolg kann sich sehen lassen. Sieben aufwendige, abendfüllende und vielfach preisgekrönte Produktionen für die Neckarstadt gehen auf ihr Konto. Rund ein Dutzend Auslandsgastspiele pro Spielzeit hielten die Truppe auf Reisen. Der eigentliche Erfolg aber liegt anderswo: Das Experiment scheint gelungen zu sein, Tanz als Sparte am Theater Heidelberg wieder zuverlässig zu verorten, nachdem Holger Schultze mit Beginn seiner Intendanz und getragen vom Gemeinderat die bis dahin bestehende Tanzkooperation mit Freiburg beenden konnte. Die Zahlen und Zuschriften geben ihm und Linning Recht. So konnte nicht nur die Anzahl der Vorstellungen deutlich erhöht werden, sondern auch die Auslastung stieg in der neuen Tanzsparte auf nunmehr 97 Prozent: Anlässe genug, um mit der Künstlerin über ihre Beweggründe für ihre Entscheidung zu sprechen – und über Ihre Kunst.

Oper & Tanz: Frau Linning, beobachtet man Ihre aktuelle künstlerische Arbeit, scheint es Ihnen nurmehr um Atem und Energie zu gehen, die Essenz von Tanz. Man gewinnt den Eindruck, Sie wollten weniger den Menschen als Person als vielmehr kollektive Konstellationen, verschiedene Zustände, Atmosphären oder Energien sichtbar werden lassen. Wann haben Sie zu diesem Thema gefunden?

Nanine Linning. Foto: Annemone Taake

Nanine Linning. Foto: Annemone Taake

Nanine Linning: Ich glaube, es war schon immer mein Ziel, einen Raum zu schaffen, in dem ein Inhalt, der mich beschäftigt, wie die Menschheit und der Kreislauf von Leben und Tod, präsent ist. Wie eine Vibration. Das ist das Interessante am Tanz: Man kann transformativ arbeiten. Der Zuschauer sieht auf der Bühne etwas und erlebt gleichzeitig eine emotionale Welt, aus der alle Bewegungen gekommen sind, aber in einer abstrakten Form, die ich dafür gefunden habe.

O&T: Hier heben Sie sich vom klassischen Konzept des Erzählens im Bühnentanz ab. Dort steht oft eine identifizierbare Gestalt im Zentrum des Geschehens. Sie aber arbeiten eher wie eine abstrakte Malerin. In den Vordergrund rücken in Ihren Tanzbildern Körper und Wesen, die sich formen, verändern und deformieren lassen, von Kräften und Gegenkräften sowie von verschiedenen Dynamiken.

Linning: Die Frage ist: Wie entstehen Emotionen? Ich habe mich dazu vor 15 Jahren mit fünf Neurologen, Neurobiologen, Neuropsychologen und Neurotheologen ausgetauscht. Obwohl sie sich in vielen Sichtweisen unterschieden, teilten sie die Erkenntnis, dass erst die Aussendung einer doppelten Botschaft dazu verführt, Emotionen zu entwickeln. Man kreiert das eigene Gefühl quasi erst dann, wenn man sich zwischen verschiedenen, gegensätzlichen Botschaften hin und her bewegen muss, etwa zwischen etwas, was schön ist und zugleich schmerzt. Erst dann nämlich verhalten wir uns dazu emotional. Jeder auf seine Weise. Identifikation ist bei diesem Thema ein zweites Schlüsselwort für mich. Meine Arbeit basiert auf sinnlichen Eindrücken und Erfahrungen. Die primären Emotionen wie Freude, Trauer, Angst oder Liebe gehören dazu. Jeder hat sie erlebt. Wenn der Zuschauer diese eigenen Lebenserfahrungen wie ein Echo in das hineinlegt, was er auf der Bühne erlebt und zulässt, dass er körperlich-sinnlich reagiert und nicht versucht, etwas rational zu verstehen, entsteht Resonanz. Dann wird meine Kunst sehr emotional.

O&T: Sterben und Abschied sind die zentralen Themen, die Sie in „Dusk“ bearbeiten. Wie gehen Sie konzeptionell vor?

Linning: Die Themen beschäftigen mich privat. Macht man Kunst, muss man sie jedoch in einer abstrakten Weise darstellen. Ich arbeite stark mit Dynamiken, Richtungen und architektonischen Kompositionen. Im ersten Teil von „Dusk“ geht es um Lebensenergie, um das Pulsieren, auch um die innere Uhr, die immer läuft. Als junger Mensch ist man neugierig und hungrig nach dem Leben. Wir setzen explosive, glänzende Kostüme ein. Die Choreografie hat einen starken Drive. Die Tänzer bewegen sich wie von einem Motor angetrieben, sind innerlich auf die Zukunft ausgerichtet. Im zweiten Teil steht jener Moment im Zentrum, in dem man realisiert, dass es ein Zeitfenster für alles gibt. Zeit steht mir nicht endlos zur Verfügung. Alles, was ich erlebe, bleibt nicht, wie es war. Es werden Veränderungen auf mich zukommen, und ich werde mit Abschied und Loslassen zu tun haben. Das eigene Bewusstsein schärft sich. Die Choreografie wird hier nun kleinteiliger und beziehungsreicher. Die Tänzer schauen einander an, hören einander zu, sind im Jetzt präsent. Dialoge entstehen. Im dritten Teil geht es dann um Auflösung, um das Verschwinden, um das Auseinandergehen. Es geht um jene Perspektive einer Person, die definitiv „Good Bye“ sagt, und um jene, die zurück bleiben und mit ihrer „Geschichte“ weiter machen. Hier wird die Bühne leer und groß. Das langsame Auflösen der Choreografie wird sichtbar.

O&T: Holger Schultze, seit 2011 Intendant des Theaters und Orchesters Heidelberg und zuvor Intendant in Osnabrück, hat Ihren Weg als Künstlerin seit 2009 nicht nur begleitet, sondern auch ermöglicht. Wie schwer oder leicht fällt Ihnen der Abschied von jenem Mann, der Ihrer Arbeit kontinuierlich einen geschützen Rahmen geboten hat?

„Khora”: Tanzstück von Nanine Linning am Theater Heidelberg. Foto: Annemone Taake

„Khora”: Tanzstück von Nanine Linning am Theater Heidelberg. Foto: Annemone Taake

Linning: Ich betrachte meine Zeit mit Holger Schultze als eine Abenteuerreise. Wir haben gemeinsam einen Wolkenkratzer gebaut. Jetzt habe ich das Gefühl, das Gebäude ist fertig. Ich habe gemacht, wovon ich lange geträumt habe. Als Künstlerin habe ich mich stark entwickeln können. Ich habe Vieles in mir entdeckt und ausprobiert. Ich bin dankbar, dass er mir das Vertrauen gegeben hat, auf einem hohen Niveau zu experimentieren. Er hat nie zu mir gesagt: „Wir brauchen bitte eine Variante von Dornröschen, das verkauft sich gut.“ Nein, er sagte immer: „Wir brauchen Deine Arbeit und wir müssen schauen, dass wir das gut verkaufen.“ Das ist das Gold in unserer Beziehung gewesen. Ich durfte als Künstlerin Erfolge haben und Fehler machen.

Ich betrachte meine Zeit mit Holger Schultze als eine Abenteuerreise. Wir haben gemeinsam einen Wolkenkratzer gebaut. Jetzt habe ich das Gefühl, das Gebäude ist fertig.

O&T: Welche konkreten Ziele haben Sie erreicht?

Linning: Es ging mir darum, mit einem Team über eine lange Zeit künstlerisch etwas aufzubauen. Ich hatte zuvor bereits acht Jahre lang Projekte mit freiberuflichen Tänzern geleitet; nun war aber die Chance da, eine künstlerische Leitung in Vollzeit auszufüllen. In Osnabrück gab mir Holger Schultze dann Gelegenheit, „Madame Butterfly“ als eine gleichberechtigte Verbindung von Oper und Tanz zu denken und zu realisieren. Es war ein großer Erfolg. Ich wusste, in dieser Art möchte ich noch einen zweiten Schritt gehen. Auch hatte ich den Wunsch, unser Haus international zu vertreten, das heißt einen festen Standort zu haben und trotzdem im internationalen Feld Präsenz zu zeigen. Da haben wir viel hingekriegt. Wir waren zum Beispiel zu Gastspielen in Belgien, Frankreich, Russland, den Niederlanden, in Jordanien, Deutschland, Polen sowie in der Schweiz eingeladen.

Drittens ging es darum, hier in der Region nicht nur das Publikum für meine Arbeit zu finden, sondern ihm auch andere Choreografen und Werke zugänglich zu machen. Deshalb hat Holger Schultze die Initiative für die Gründung des internationalen Festivals Tanzbiennale und des Choreografischen Centrums ergriffen. Ich bin sehr stolz und glücklich, gemeinsam mit Bernd Fauser und Jai Gonzales die Künstlerische Leitung innezuhaben und somit dafür zu sorgen, dass auch zahlreiche internationale Künstler die Tanzszene Heidelbergs bereichern. Holger Schultze und ich, wir haben unser „Haus“ langsam, aber solide gebaut. Wir mussten nie einen Schritt zurückgehen. Darauf können wir stolz sein!

O&T: Was hat nicht so gut geklappt?

Linning: Als Künstlerin habe ich viele Projekte in meinem Kopf die ich nicht realisiert bekommen habe: ein Filmkonzept, ein Ausstellungskonzept, die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, ein Konzept für eine Oper. Ich hatte auch ein Konzept für ein Location-Projekt in einem Tunnel unter der Erde entwickelt. Damit muss man aber als Künstlerin leben. Von tausend Ideen kann man nur einige realisieren.

O&T: Anderen wird der Vertrag nicht verlängert. Sie hingegen sind begehrt. Liegt der Grund für Ihre Entscheidung, Heidelberg jetzt zu verlassen, darin, dass Sie im Herzen eine Freelancerin sind, immer auf der Suche nach Budgets und passenden Kooperationsmöglichkeiten, um ihre Projekte zu realisieren?

Marie-Louise Hertog, Hampus Larsson, Axier Iriarte in „DUSK”. Foto: Kalle Kuikkaniemi

Marie-Louise Hertog, Hampus Larsson, Axier Iriarte in „DUSK”. Foto: Kalle Kuikkaniemi

Linning: Ich habe den Punkt erreicht, an dem ich neue künstlerische Herausforderungen brauche. Das Nichtwissen ist das Wichtigste in meiner Leidenschaft als Künstlerin. Ich möchte Neues entdecken. Und dafür brauche ich neue Spielregeln, so wie am Anfang, als ich 2012 nach Heidelberg gekommen war. Damals kannte ich mich selbst, meine Qualitäten und meine Schwächen. Aber das Umfeld und seine Strukturen waren mir unbekannt. Das vermittelte Spannung und hat mich angetrieben. Jetzt habe ich das Gefühl, ich kenne mich aus. Ich verstehe die Abläufe und weiß, was ich mir zutrauen kann. Ich hätte das auch noch einige Jahre genießen können. Dadurch wird aber meine Arbeit nicht besser. Ich habe vielmehr Angst bequem zu werden. Ich bin aber als Künstlerin noch nicht fertig. Hierfür brauche ich ein gewisses Maß an Unbequemlichkeit und die Möglichkeit, mir autonom Konzepte ausdenken zu können. Dann bin ich gut. Und ich meine damit nicht das Geld oder Arbeitsstrukturen, die wegbrechen müssen, um das Gefühl zu haben, jetzt wird es unbequem. Nein, ich meine Inspiration. Ich muss inspiriert sein, damit ich mein Publikum inspirieren kann. Hierfür befrage ich alles im Haus. Für mich ist nichts selbstverständlich. In welcher Zeit lebe ich? Was möchte ich sagen? Und in welcher Form will ich es sagen? Diese neue Form möchte ich dann entdecken. Wenn die Form aber immer gleich ist, ist das eine Zeitlang sehr genussvoll, weil ich neue Inhalte entdecken muss. Jetzt habe ich aber wieder Lust darauf, neue Formen zu finden. Und letztlich aus mir selbst eine neue Person zu kreieren, die ich dann wieder entdecken kann. In dem Sinne bin ich ein Pionier im Herzen. Und es kann immer passieren dass ich dann wieder an ein Haus zurückkomme.

O&T: Wenn Ihr Bedürfnis nach Autonomie in den vergangenen Jahren zunehmend gewachsen ist, war es dann im Rückblick nicht ermüdend, sich auch noch um die Entwicklung einer regionalen Freien Szene in Heidelberg gekümmert zu haben, so wie Sie es hier im Rahmen des Projektes TanzAllianz gemeinsam mit dem UnterwegsTheater leisten? Auch wenn frei subventionierte Szenen oft immer wieder die Zusammenarbeit mit städtischen Theatern als ein Lösungsmodell vorschlagen, um sichtbarer und besser gefördert zu werden, geht häufig viel Energie drauf, ohne dass in der Tiefe ein wertvoller Austausch oder gar gute Projekte entstehen.

Linning: Ich habe das sechs Jahre lang in Heidelberg gemacht, mit allem, was mir zur Verfügung stand und weil wir, Gott sei Dank, keinen Überlebenskampf um unsere Sparte führen mussten. Und wir haben hier einiges geschafft. Wir haben eine Infrastruktur geschaffen. Wir haben die Tanzbiennale. Wir haben das Choreografische Centrum. Es kreieren Tänzer in der Stadt selbst Choreografien. Ich genieße das.

O&T: Der Spanier Iván Pérez wird Ihr Nachfolger. Haben Sie einen Tipp für ihn? In welche Falle soll er nicht tappen?

Linning: Ich hoffe nur, dass er gut aufpasst auf das, was wir aufgebaut haben, und es mit viel Liebe weiterentwickelt.

O&T: Bis jetzt ist nicht bekannt, dass Sie ein neues Engagement angenommen haben. Es ist nur bekannt, dass Sie gerne international mit neuen Teams arbeiten möchten, die sich gegenseitig inspirieren und in denen wirkliches Interesse aneinander herrscht. Können Sie mehr darüber sagen?

Linning: Ich habe sehr viel Energie und große Lust auf etwas Neues und freue mich daher auf eine spannende, offene Zusammenarbeit mit vielen internationalen Festivals und Ensembles. Es gibt eine Reihe sehr interessanter Projekte, die mir für die kommende Spielzeit angeboten wurden und die ich gern umsetzen möchte. Ich bin da sehr frei im Denken und möchte mich selbst und andere überraschen.

Im Gespräch mit Alexandra Karabelas

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