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Aktuelle Ausgabe

Editorial von Gerrit Wedel
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Zur Situation deutscher Theater und Orchester

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Nanine Linning, Künstlerische Leiterin und Chefchoreografin der Dance Company Nanine Linning / Theater Heidelberg

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Der Coro Papageno im italienischen Dozza-Gefängnis

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Bewegte Geschichte
200 Jahre Dresdner Opernchor

Fehlende Wertschätzung
Falk Joost, VdO-Ortsdelegierter im Sächsischen Staatsopernchor, im Gespräch mit Michael Ernst

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Simone Kermes im Gespräch mit Christoph Forsthoff

Explosion des Rhythmischen
Der Tanz und das Kino – Sonderausstellung im Filmmuseum Potsdam

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Der Theater-Website-Check: Theater Erfurt

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Othmar Schoecks begeisternde »Penthesilea« unter neuer musikalischer Leitung in Bonn

Eine vertane Chance
»Les Troyens“ von Hector Berlioz am Staatstheater Nürnberg

Eine Menge krasser Fieslinge
Hector Berlioz‘ »Die Trojaner« an der Sächsischen Staatsoper

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„Der fliegende Holländer“ am Theater Hof

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Portrait

Bewegte Geschichte

200 Jahre Dresdner Opernchor

Chor und Theater – eine Geschichte mit langer Tradition. Im alten Griechenland begannen die ersten Chöre vor mehr als 2.000 Jahren, antikes Bühnengeschehen mitzugestalten. Anfangs wurden sie einzelnen Schauspielern zugeordnet und dürften wohl kaum gesungen, sondern eher dem jeweiligen Mimen geantwortet und seine Worte kommentiert haben. Der Begriff „Choros“ hatte ursprünglich nichts mit Gesang zu tun, bedeutete zunächst einmal Reigen, tanzende Schar oder einfach nur Tanzstätte. Heutzutage definieren sich Chöre natürlich zumeist musikalisch.

Chor und Dresden – da denken Musikliebhaber vielleicht zuerst an die berühmten Kruzianer. Der über 800 Jahre alte Knabenchor strahlt spätestens seit Heinrich Schütz weit über die Stadt hinaus. In Leipzig ist es mit den Thomanern und Johann Sebastian Bach ähnlich. Und es gibt in Sachen Chor noch weitere Verbindungen zwischen den beiden Musikmetropolen: Nahezu zeitgleich wurden hier wie da Opernchöre gegründet. Diese auffälligen Parallelen sind kein Zufall, sondern Ausdruck gleichzeitiger Sehnsucht nach einer „Deutschen Oper“.

Die Oper „Fidelio“ hat eine besondere Bedeutung in der Geschichte der Semperoper und ihres Chores: Die erste Oper, die nach dem Zweiten Weltkrieg, erst nur konzertant, später auch szenisch wieder gespielt wurde, erlebte ihre Premiere in der Inszenierung von Christine Mielitz 1989. Anlässlich des 25. Jahrestags der Wiedervereinigung im Jahr 2015 erinnerte sich die ehemalige VdO-Vorsitzende und Sängerin im Opernchor der Sächsischen Staatsoper, Margot Ehrlich: „Premiere war am 7. Oktober, am Tag der Republik, an dem die Politik noch, die Zeichen der Zeit missachtend, sich selbst und 40 Jahre DDR feierte. ‚Fidelio‘ in Dresden zeigte ein anderes Bild. Der Gefangenenchor spielte sich hinter Stacheldraht ab. Diese Inszenierung war für uns alle auch bedrückend… Der Stacheldraht ging nicht zu den Gefangenen auf der Bühne, sondern eigentlich zum Publikum, diente also nicht dazu, das Publikum vor den Gefangenen zu schützen, sondern eher umgekehrt.“ (O&T, 6/2015).  Das Foto (Matthias Creutziger) zeigt Ute Selbig als Marzelline und Herren des Sächsischen Staatsopernchors.

Die Oper „Fidelio“ hat eine besondere Bedeutung in der Geschichte der Semperoper und ihres Chores: Die erste Oper, die nach dem Zweiten Weltkrieg, erst nur konzertant, später auch szenisch wieder gespielt wurde, erlebte ihre Premiere in der Inszenierung von Christine Mielitz 1989. Anlässlich des 25. Jahrestags der Wiedervereinigung im Jahr 2015 erinnerte sich die ehemalige VdO-Vorsitzende und Sängerin im Opernchor der Sächsischen Staatsoper, Margot Ehrlich: „Premiere war am 7. Oktober, am Tag der Republik, an dem die Politik noch, die Zeichen der Zeit missachtend, sich selbst und 40 Jahre DDR feierte. ‚Fidelio‘ in Dresden zeigte ein anderes Bild. Der Gefangenenchor spielte sich hinter Stacheldraht ab. Diese Inszenierung war für uns alle auch bedrückend… Der Stacheldraht ging nicht zu den Gefangenen auf der Bühne, sondern eigentlich zum Publikum, diente also nicht dazu, das Publikum vor den Gefangenen zu schützen, sondern eher umgekehrt.“ (O&T, 6/2015). Das Foto (Matthias Creutziger) zeigt Ute Selbig als Marzelline und Herren des Sächsischen Staatsopernchors.

In Dresden war es Carl Maria von Weber, der Anfang 1817 mit gerade mal 30 Jahren zum Königlichen Kapellmeister berufen wurde und entscheidenden Einfluss ausübte. Die 1548 gegründete Kapelle muss sich damals in erbärmlichem Zustand befunden haben, was den Komponisten zutiefst deprimierte. Die – Überlieferungen zufolge – äußerst knausrige Entlohnung der Musiker trug nicht eben dazu bei, Spitzenkräfte ins Orchester zu holen. Weber setzte sich vehement dafür ein, die soziale Stellung der Orchestermitglieder zu stärken. Lange vor ihm hatte das bereits Heinrich Schütz – mehr oder minder erfolglos – versucht.

Webers Hauptanliegen in seinen Dresdner Kapellmeister-Jahren war allerdings der Aufbau dieser „Deutschen Oper“, deren Direktor er wurde. Sie sollte unbedingt einen höheren Stellenwert haben, also auch über das künstlerische Niveau verfügen, das die italienische Opernsparte in Dresden längst hatte. In seiner Autobiografie bezeichnete er dies gar als „Endzweck“ seines Lebens.

Im benachbarten Leipzig lagen die Dinge anders, die Messe- und Handelsstadt gab sich aufgeklärter und weltoffener als Sachsens Residenz an der Elbe. Bürgerliches Engagement (und nicht etwa adelige Prunksucht) trug dazu bei, Unternehmen wie das 1743 als Leipziger Concert gegründete Gewandhausorchester zu etablieren. Beim Stadttheater war es ähnlich, machte sich Bürgersinn, gepaart mit ausreichend Kapital, stark für Theater und Chor. Auch hier taucht Carl Maria von Weber auf, als Dirigent sowie nicht zuletzt mit seinem kompositorischen Schaffen im Spielplan.

Am sächsischen Hof hatten sich die musikalischen Schwerpunkte nach den Vorlieben der absolutistischen Herrscher zu richten. Dementsprechend konnten sich mal stärker die französischen, mal mehr italienische Einflüsse durchsetzen. Künstlerische Transfers allerdings gab es auch. Legendär ist etwa die Entführung der Sängerin Margarita Salicola durch Johann Georg III. im Jahre 1685 – was nicht nur eine frühe Blüte der sächsischen Gesangskultur, sondern auch ein gemeinsames Kind zur Folge hatte.

„Ein stehender Theaterchor wird insofern von grossem Gewinne sein, dass erstens durch die gehörige Anleitung und stetes Üben ein Ensemble-Spiel hervorgebracht werden wird, das der grössten Wirkung fähig ist, und zweitens und hauptsächlich, dass auch hieraus eine förmliche Pflanzschule entspringt, deren hervorstechende Talente man weiter befördert und bildet.“

Zu Carl Maria von Webers Zeiten – also lange nach der so erfolgreichen Ära von Johann Adolf Hasse und dessen venezianischer Gemahlin Faustina Bordoni – waren die Verhältnisse schon ganz andere. Nicht zuletzt Hofkapellmeister Johann Gottlieb Naumann hatte sich „mit allen Patrioten“ gewünscht, „dass ein gutes deutsches Opern-Theater existierte, das Dichter und Komponisten ermunterte, ihren Fleiß und Talente ihm zu weihen“. Weber jedoch, der sich auch dafür stark machte, musikalische Aufführungen mittels Taktstock zu leiten, war es dann, der sich in Zeiten aufkeimenden „vaterländischen“ Bewusstseins für die Nationaloper einsetzte. Bereits 1797 schrieb Wilhelm von Humboldt an den seit 1783 in Dresden lebenden Dichter Gottfried Körner: „Es ist überhaupt sehr schlimm, dass wir eigentlich gar keine deutsche Oper haben.“

Der Sächsische Staatsopernchor in „Don Giovanni“ (Premiere Juni 2016) mit Christina Bock (Zerlina), Evan Hughes (Masetto), Peter Sonn (Don Ottavio), Maria Bengtsson (Donna Anna), Lucas Meachem (Don Giovanni), vorn: Guido Loconsolo (Leporello). Foto: David Baltzer

Der Sächsische Staatsopernchor in „Don Giovanni“ (Premiere Juni 2016) mit Christina Bock (Zerlina), Evan Hughes (Masetto), Peter Sonn (Don Ottavio), Maria Bengtsson (Donna Anna), Lucas Meachem (Don Giovanni), vorn: Guido Loconsolo (Leporello). Foto: David Baltzer

Dieser verbalen Handreichung hätte es vielleicht nicht bedurft, doch noch zu Webers Dresdner Amtsantritt mangelte es an geeignetem Repertoire, so dass er zunächst „Joseph“ von Étienne-Nicolas Méhul sowie dessen „Helena“ einstudierte. Unfroh musste er konstatieren, „dass wir die Ehre, eine deutsche Operngesellschaft genannt zu werden, in diesem Augenblick noch ablehnen müssen“.

Webers „Deutsche Oper“ stand im Schatten der italienischen Abteilung, fand aber bald Zugang zu Gluck, Mozart und seinem eigenen Schaffen. Endlich gelang ein fester Chorverband, über den der Komponist und Kapellmeister in seiner Schrift „Versuch eines Entwurfes, den Stand einer deutschen Opern-Gesellschaft zu Dresden in tabellarische Form zu bringen, mit kurz erläuternden Anmerkungen“ ausführlich notierte: „Ein stehender Theaterchor wird insofern von großem Gewinne sein, dass erstens durch die gehörige Anleitung und stetes Üben ein Ensemble-Spiel hervorgebracht werden wird, das der größten Wirkung fähig ist, und zweitens und hauptsächlich, dass auch hieraus eine förmliche Pflanzschule entspringt, deren hervorstechende Talente man weiter befördert und bildet.“ Weber war weitsichtig genug, „zur vollständigen Erreichung dieses Zweckes“ personelle Strukturen zu fordern, wie man sie bisher nicht kannte: „nächst dem Singe-Meister“ sei demzufolge „ein Tanzmeister notwendig“. Die Keimzelle zum heutigen Opernchor war damit gelegt. Längst ist es selbstverständlich geworden, dass die Sängerinnen und Sänger von Opernchören ebenso singend und darstellend agieren, wie man es von den Solistinnen und Solisten erwartet.

Im August 1817 konnte Weber nach der Premiere von Luigi Cherubinis Oper „Lodoïska“ im Tagebuch festhalten: „Orchester und Chor trefflich“, um gut einen Monat danach zu notieren: „Chorsachen geordnet“. Im Oktober desselben Jahres erfolgte dann endlich das offizielle Dekret des Königs für die Gründung eines festen Opernchores in Dresden.

Tradition und Moderne

Zunächst wirkten 32 Frauen und Männer darin mit, jeweils acht Soprane, Altistinnen, Tenöre und Bässe. Eine Ausbildung im heutigen Sinne gab es nicht, musikalische Kenntnisse und gute Stimmen mussten genügen. Ab 1827 sang der Chor zu den traditionellen Palmsonntagskonzerten. Weitere markante Stationen seiner Geschichte sind die Aufführungen der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven unter dem späteren Kapellmeister Richard Wagner in den Jahren 1846, 1847 und 1849. Der Leipziger Dichter-Komponist, der Dresden bald wieder verlassen musste, setzte sich in Webers Nachfolge dafür ein, den Chor zu vergrößern, da neue Werke und zusätzliche Dienste in der sogenannten Hofkirche zu leisten waren. 1844 wurde das Ensemble auf 44 Mitglieder erweitert.

Daraus ist mit heute 89 Sängerinnen und Sängern einer der besten Opernchöre Europas geworden. Kaum eine aktuelle Premierenkritik darf auf derartige Hinweise verzichten. Diese mit wachsendem Qualitätsbewusstsein verbundene Traditionspflege ist zahlreichen Künstlerpersönlichkeiten zu verdanken, die den Chor über schwierige Zeiten ins Heute geführt haben, in jüngerer Zeit Hans-Dieter Pflüger, Matthias Brauer und Pablo Assante. Erinnert sei nur an die höchst komplizierten Nachkriegsbedingungen. Mit dem Wechsel ins Große Haus des Staatstheaters (1948) sowie mit der Wiedereröffnung der Semperoper (1985) konnte sich der Chor ebenso wie die anderen Ensembles neu entfalten. Besonders prägend war die Zusammenarbeit mit dem viel zu früh verstorbenen Dirigenten Giuseppe Sinopoli, der sich intensiv um einen Ausbau künstlerischer Potenziale bemüht hatte.

Seit 2014 wird der Sächsische Staatsopernchor von Jörn Hinnerk Andresen geleitet, der Qualitäten wie klangliche Homogenität, kultivierte Noblesse sowie verlässliche Präzision erhalten und ausgebaut hat. Sowohl in Opernvorstellungen als auch im Konzertbereich stellt der Chor seine Vorzüge unter Beweis, was auch Rundfunk-, Fernseh- und CD-Produktionen belegen. Dank seines Leistungsvermögens ist der Staatsopernchor nicht nur in Dresden gefragt, sondern wird von Festivals sowie zu Tourneen und Konzerten eingeladen, wirkt darüber hinaus seit 2013 gemeinsam mit der Sächsischen Staatskapelle auch bei den Osterfestspielen Salzburg mit, deren Künstlerische Leitung seitdem in Händen von Christian Thielemann liegt.

Im Oktober 2017 feierte der Sächsische Staatsopernchor sein 200-jähriges Bestehen mit einem Jubiläumskonzert und wurde bei dieser Gelegenheit für seine Leistungen mit dem Preis der Stiftung zur Förderung der Semperoper ausgezeichnet. Ein weiteres Sonderkonzert „200 Jahre Staatsopernchor“ gibt es am 1. Mai 2018 mit dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms.

Michael Ernst

Siehe dazu auch:

Fehlende Wertschätzung
Falk Joost, VdO-Ortsdelegierter im Sächsischen Staatsopernchor, im Gespräch mit Michael Ernst

 

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