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Gefühlssturm im U-Bahnhof

Purcells Fairy Queen beim Theaterfestival „Impulse“ · Von Georg Beck

Unter den zum NRW-Theaterfestival „Impulse“ eingeladenen Produktionen der freien Szene, gefiel auch die einzige Musiktheater-Produktion dieses Festival-Jahrgangs. Obwohl bereits im Herbst 2005 in den Berliner Sophiensälen uraufgeführt, ist die mit Thomas Bernhard aufbereitete Purcell-Adaption erst jetzt in den Impulse-Fokus geraten. Eine Nachlese.

 
 

Fairy Queen. Foto: David Baltzer

 

Moment mal! Wann genau soll das gewesen sein? Einen Berliner U-Bahnhof, in dem der Kachelschmuck von den Wänden fällt, gab’s doch noch nicht einmal im Osten. Was es soll, liegt im Fall solcher Überblendung der Wirklichkeit auf der Hand. Der junge ungarische Regisseur David Marton will nicht von der Realität erzählen, eher schon von den Gefühlen und Sehnsüchten, die sich hinter den Masken der Realität verbergen und die nur darauf warten, dass sie sich offenbaren können. Deshalb ist es egal, ob’s realistisch zugeht. Es muss nur ein Holzschnitt sein. Hier ist es der diskrete Charme des Abfertigungshäuschens im U-Bahnhof Berliner Prägung. Dorthin zieht sich das Personal zurück. Und dort dürfen wir auch beim Ausplaudern des Traumvorrats zuschauen und zuhören. Zweiter emotionaler Entladungspunkt ist ein Diensttelefon am Bahnsteig, Farbe Gelb mit Bedienklappe. Immer wieder rappelt es dort. Dann stürzen die Protagonisten herzu als gelte es das Leben. Der etwas nostalgische Realismus dieser ins Unterbewusstsein abgesunkenen U-Bahnwelt mit Sirene und Blinklicht, adaptiert aus dem Bilderfundus des zweiten Drittels des letzten Jahrhunderts, dient einzig der Entfaltung der Poesie. David Marton, langjähriger Wahlberliner, ausgestattet mit einem Blick für die Rituale der Großstadt, lässt das Spiel kongenial anheben mit eben solchem Déjà-vu.

Ohrenbetäubender Lärm, das Geräusch quietschender Bremsen. Über eine schwungvoll sich öffnende Waggontür werden die Insassen hinausgespült – in diesem Fall die Akteure von „Fairy Queen oder hätte ich Glenn Gould nicht kennen gelernt“, unschwer als Doppelverbeugung erkennbar: hier Purcells Anverwandlung von Shakespeares „Sommernachtstraum“, dort Thomas Bernhards „Der Untergeher“, das Dokument einer durch große Kunst ausgelösten großen Schaffenskrise.

Auf den Transport von Text-Inhalten verzichten Marton und seine Dramaturgin Amely Haag. Wenn es Bassist und Kontrabassist Radoslav Drechny als Touristenführer trotzdem probiert, werden seine englisch rezitierten Inhaltsangaben alsbald zugedeckt von den Mitteilungen der anderen, von ihrem Spiel, ihrem Singen, Sinnen und Klagen. Überlagerung, rechenschieberartige Verdoppelungen, Verdreifachungen sind das Bewegungsprinzip dieser Produktion. Jedes Ende der Anfang von etwas Neuem. Was bleibt in aller Verwandlung, ist eine wunderbare Musik, die auch in dieser erhellend-verfremdenden Produktion als fulminante Liebeserklärung gehört wird. Musikalischer Kopf der neunköpfigen Berliner Off-Gruppe ist Jan Czajkowski. Er ist nicht nur ein meisterhafter Pianist und Liedbegleiter, auch darstellerisch vermag der gebürtige Pole zu überzeugen. Immer wieder verlässt er seinen Platz vor dem Keyboard, postiert sich neben den Lonely Hearts am Bahnsteigrand und erzählt seinerseits von den Verzweiflungen Wertheimers, dem Klavierspieler, der das Klavierspiel aufgegeben hat, nachdem er zu seinem Künstlerpech einen Künstler namens Glenn Gould kennen gelernt hat.

Das Ende vom Lied: Yelena Kuljic, anonymer Fahrgast, wie alle, die hier gestrandet sind, singt sich diesen babylonischen Gefühlsturm aus Hoffnung und Verzweiflung, Verlorenheit und Verwegenheit von der Seele. Schluchzender souljazziger Sprechgesang, regredierend zum Laut. Zuvor schien das Leben eines anderen Einzelgängers (Thorbjörn Björnsson, Bariton) eine Wendung nehmen zu können. Am U-Bahnhof Rosa Luxemburg-Platz war es, wo er SIE getroffen, sich aber „nicht getraut“ hat. Jetzt sucht er SIE, posaunt seine Telefonnummer hinaus. Vielleicht ruft SIE ja an! Und dann klingelt es tatsächlich. Doch eine andere Wartende und Hoffende, die aus dem Abfertigungshäuschen, kommt ihm zuvor. Hallo? Wer ist da?

Georg Beck

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