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Kulturpolitik

Nachhilfe für den Tanz in Deutschland

„Tanzplan Deutschland“ der Bundeskulturstiftung · Von Malve Gradinger

Das Land der Dichter und Denker – trifft dieses historische intellektuelle Edeletikett noch auf Deutschland zu? Sicher ist, dass Deutschland nie ein Land der Tänzer, nie ein tanzbegeistertes Land war. Schon in der schulischen Bildung, die das spätere Leben prägt, war und ist immer noch der Kopf wichtiger als der Körper. Kündigt sich mit dem „Tanzplan Deutschland“ (TPD) allmählich eine hoffnungsvolle Wende an? Setzt man nun endlich die Erkenntnisse der Neurowissenschaft um, dass Bewegungstraining die allgemeine Lernfähigkeit eines Kindes befördert? Das von der Kulturstiftung des Bundes (KStB) 2005 auf den Weg gebrachte TPD-Förderprogramm, mit der Summe von 12,5 Millionen Euro und festgelegt auf fünf Jahre, soll in Zeiten kommunaler und städtischer Subventionseinsparungen dem Tanz, sowohl als schulischem Fach („Tanzplan Ausbildungsprojekte“) wie auch als künstlerischer Performance („Tanzplan vor Ort“) einen Anfangsanschub geben.

 
Projektleiterin Madeline Ritter. 
Foto: Bettina Stöß
 

Projektleiterin Madeline Ritter.
Foto: Bettina Stöß

 

Die Bedingung für die „Tanzplan vor Ort“-Förderung war zweistufig angelegt: Die eingereichte Bewerbung musste von einer sachkundigen Jury als modellhaft und zukunftsträchtig abgesegnet werden. Und nach dem Prinzip des „Match-Funding“ hatten Stadt oder Land des betreffenden Bewerbers die Auflage, die Fördersumme des Bundes mit der gleichen Summe aufzustocken, „und zwar zusätzlich zur bereits vorhandenen Tanzförderung“, wie es der Tanzplan-Zwischenbericht von 2007 nochmals explizit formuliert.

Aus den Kinderschuhen heraus

In den neun Städten, die 2005 den Zuschlag bekommen hatten, habe sich inzwischen eine Menge getan, ist von der Projektleiterin Madeline Ritter zu hören. Die studierte Juristin hatte in den 80er-Jahren für die „Tanzinitiative Berlin“ die Satzung gemacht und etablierte sich von da an schnell als Veranstalterin in den Bereichen Tanz, Film und neue Medien. Sie hat die TPD-Struktur entworfen und zeichnet verantwortlich für das laufende TPD-Projekt mit eigenem Büro in Berlin.

Tanz in den Schulen

„Die Städte haben ja ganz unterschiedliche Zielsetzungen“, erklärt sie. „Düsseldorf, Frankfurt, München und Bremen tragen den Tanz in die Schulen der Städte und der Region.“ Heißt konkret: Tanz-Kurse werden in den allgemeinen Unterrichtsplan integriert. Dazu gehören auch Besuche von Proben und Aufführungen. Schüler haben aber auch selbst Gelegenheit, ihre eigenen, mit den Pädagogen erarbeiteten Choreografien aufzuführen, wie bereits erfolgreich realisiert, unter anderem im Münchner Projekt „Anna tanzt“ mit dem dortigen St. Anna Gymnasium. „In Hamburg ist ein richtiges Jugendensemble aus Laien entstanden“, führt Madeline Ritter weiter aus. „Und da stellt sich natürlich die Frage: Wie vermittelt man Tanz an Nichttänzer?“ Der Münchner Tanzplan mit dem Titel „Access to Dance“/„Zugang zum Tanz“ hat folgerichtig für die in den Schulen eingesetzten Tanzpädagogen spezielle Fortbildungsprogramme eingerichtet.

Professionelle Ausbildung

In den Berliner und Frankfurter Tanzplänen steht die Ausbildung der Profis – Tänzer, Choreografen und Pädagogen – ganz oben. Am neu gegründeten „Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz“ in Berlin studieren 30 Studentinnen und Studenten aus aller Welt. Der Tanzplan Essen arbeitet zielstrebig an einer systematischen Erweiterung des Ausbildungsbegriffs, wie er schon bei dem von der Kulturstiftung 2006 in Berlin organisierten Tanzkongress „Wissen in Bewegung“ vertieft diskutiert wurde. Aus dem Kongress hervorgegangen ist die Publikation „Wissen in Bewegung“ (TanzScripte Bd. 8, transcript Verlag, 2007, 14, 80 Euro). Grundidee scheint zu sein, dass die praktische Tanzausbildung verstärkt Informationen aus Theorie und Wissenschaft nutzen müsse.

Multimediales Lernen

Ein wichtiger Vertreter dieser neuen Sichtweise ist der große Erneuerer der Neoklassik William Forsythe, für den choreografische Arbeit seit langem vorrangig Bewegungsforschung ist. Mitte der 1990er-Jahre entwickelte Forsythe ein Multimedia-Ausbildungsprogramm: In hundert kurzen Videosegmenten demonstriert Forsythe von ihm entwickelte tänzerische Bewegungen. Animierte Grafiken zeichnen diese Bewegungsabläufe nach und zeigen gleichzeitig räumliche Beziehungen auf: innerhalb seines Körpers wie auch dessen Beziehungen zum umgebenden Bühnenraum. Im Grunde führt Forsythe hiermit Rudolf von Labans Bewegungstheorien ins Medienzeitalter weiter (gemeint sind hier Labans 12 Bewegungsrichtungen, grafisch dargestellt in einem Ikosaeder). Und ähnlich wie einst das klassische Ballett seine Schritte kodifiziert, also überlieferbar und lernbar gemacht hatte, ist hier Forsythe im viel komplexeren System des zeitgenössischen Tanzes zumindest eine mediale Notation von Bewegungs-Prototypen gelungen. Seine als CD-ROM erhältlichen „Improvisation Technologies“ können Studenten, aber auch professionellen Tänzern als neues pädagogisches Hilfsmittel dienen. Darüber hinaus könnten Forsythes „Technologies“ für interdisziplinäre Bewegungs- und Raum-Forschung interessant werden, wie Rebecca Groves von der Forsythe Foundation in ihrem Beitrag in „Wissen in Bewegung“ erläutert.

 
Tanzplan Potsdam, Jeremy Wade. Foto: Thomas Aurin
 

Tanzplan Potsdam, Jeremy Wade. Foto: Thomas Aurin

 

Ob eine solche systematische Theorie-Durchdringung, eine solche „Durchpädagogisierung“ wie sie dieses Kompendium vor Augen führt, letztlich nicht von der Kunst des Tanzes – dieser flüchtigen, aber umso poetischeren Kunst – ablenken, möglicherweise ihr auf indirektem Wege sogar schaden könnte, sei dahingestellt. Erweitern wird sich sicherlich das Feld der Soziologen, der Wissenschaftler, Theoretiker, Kritiker, Publizisten, Dramaturgen, Veranstalter, Institutions-Gründer rund um den Tanz – der dann vielleicht atemlos all diesem Wissen hinterher- hechelt. Wie schon der Fall bei unserem immer größer angelegten Festivalsystem, welches die unter enormen Produktionsdruck gesetzten Choreografen kaum noch befriedigen können.

Biennale der Tanzakademien

„Ich entwickele sehr gerne Projekte. Und da ist der Tanz unerschöpflich“, sagt Ritter. So ist wohl auch der Plan zur „Ersten Biennale Tanzausbildung“ entstanden. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Hebbel Theater wird zunächst einmal in Berlin, später in wechselnden Städten, eine Plattform ermöglicht für Deutschlands elf Tanzhochschulen aus Hamburg, Essen, München, Köln, Frankfurt/Main, Berlin, Stuttgart, Dresden und Mannheim, vergleichbar dem Theatertreffen der Schauspielschulen. Tanz- und Choreografie-Studenten werden ihre Arbeiten und Projekte vorstellen. „Und wenn man einmal die Leiter aller Ausbildungsinstitute für zwei Tage in Gesprächen zusammenbringt“, so meint Ritter höchst optimistisch, „lernt jeder die Arbeitsweise des anderen kennen, und die eigenen Sichtweisen öffnen sich.“

Ein Biennale-Thema wird die Einführung neuer, eben auch der oben erwähnten multimedialen Lernmethoden sein. In Vorbereitung darauf bietet TPD schon seit Oktober 2007 Workshops an, in denen ehemalige Tänzer von William Forsythe mit Biennale-Teilnehmern, Pädagogen und auch Studenten, an Forsythes „Improvisation Technologies“ arbeiten.

Solche neuen Lehr- und Lernmethoden werden bald Alltag der Hochschulen sein, wie aus Ritters Ausführungen klar wird: „Claudia Jeschke, Ordinaria für Tanzwissenschaft an der Universität Salzburg, hat ein ‚Electronic Learning’-Programm entwickelt mit allen möglichen theoretischen und praktischen Aufgabenstellungen, zum Beispiel, eine Musikkomposition in Tanz umzusetzen. Studierende der Folkwanghochschule Essen oder der Tanzwissenschaft an der LMU München haben dann vor Ort einen Pädagogen, der sie beratend begleitet. Solche Positionen werden von uns gefördert, und wir hoffen natürlich, dass die Universitäten unsere Projekte nach Ablauf unseres Fünfjahresplans übernehmen und die Tanzwissenschaft ausbauen.“

Tanz als Kunst?

„Unsere Aufgabe ist es, Arbeitsgrundlagen zu schaffen und Entwicklungen im Tanz anzustoßen“, wird Madeline Ritter nicht müde zu betonen. „Durch den Tanzplan Deutschland ist ein starkes Netzwerk entstanden. Die Zusammenarbeit mehrerer Leute in einem Team vor Ort und dann auch bundesweit kann Dinge verwirklichen, wie sie mit Einzelprojekten nicht möglich wären.“ Also nur Morgenröte? Bei dem starken Akzent, den die Kulturstiftung des Bundes auf den Bereich Ausbildung setzte, fühlten sich jedenfalls viele Tanzschaffende benachteiligt. In München kam nur durch die Hartnäckigkeit von Veranstalter Walter Heun nachträglich noch eine Förderung für den performativen Bereich zustande, die der Stadt dieses Jahr Gastspiele der zeitgenössischen Stars Meg Stuart (28./29. 2.) und Wim Vandekeybus (14./15. 3.) beschert. Ein zäh erkämpfter Sieg, der wiederum zunächst zu erbittertem Protest der freien Münchner Tanzszene führte. Diese fürchtete nämlich, dass die ihr zustehenden städtischen Subventionen in die hälftige Aufstockung des „Tanzplans vor Ort“ fließen würden.

Neue Tanzplan-Aktivitäten.

Neu ist eine jährliche 20.000 Euro-Förderung von Tanzpublikationen wie Dissertationen, Essays, Forschungsvorhaben, Übersetzungen oder Handbüchern. Und ins Tanzplan-Interesse rücken jetzt verstärkt, wie Madeline Ritter versichert, die bislang vernachlässigten Tanzarchive. Auf Einladung von TPD hätten sich die Tanzarchive in Leipzig, Köln, Berlin (Mime Centrum und Archiv Darstellende Kunst der Akademie der Künste) und das Deutsche Tanzfilminstitut Bremen in einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen. „Es war immer schon der Wunsch der Archive, auch wenn wir in gewisser Konkurrenz zueinander stehen, einen gemeinsamen Weg zu finden“, sagt Heide-Marie Härtel, deren vor 20 Jahren gegründetes Tanzfilminstitut mangels Unterstützung schon wieder auf der Kippe steht. „Es ist doch ungemein wichtig, dass unsere Dokumentationen, das heißt die Grundlagen des Tanzes, zugänglich gemacht werden, nicht nur für die Tanzwissenschaft, sondern auch für die Tanz-akademien und die Choreografen. Und zwar im Rahmen der modernen Medien. Aber das kostet Geld. In Singapur ist das heute möglich. Per Mausklick kann man sich in der National Library, der größten Bibliothek Asiens, eine ganze Vorstellung eines deutschen Tanztheaters anschauen.“

Bis dahin scheint es noch ein weiter Weg. Es bleibt also noch viel zu tun in den drei verbleibenden Jahren der Tanzplan-Förderung.

Malve Gradinger

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