Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Nachhilfe für den Tanz in Deutschland
„Tanzplan Deutschland“ der Bundeskulturstiftung
Die goldenen Musical-Jahre sind vorbei
Stage Entertainment trennt sich von Maik Klokow
Oper für Kinder
Von Elke Heidenreich
Bitte keine Kindertümelei
Ein Interview mit Christian Schuller
Kein Wald für die Waldkinder
Christian Schullers „Hänsel und Gretel“ in Bremen

Portrait
Ein Fenster der Nation
Die Oper des Slowakischen Nationaltheaters Bratislava
Das Erzählballett hat eine Zukunft
Jörg Mannes und „Der Sturm“ in München

Berichte
In Köln handelt jetzt die Kunst
Amanda Millers „Episodes“
Gefühlssturm im U-Bahnhof
Purcells Fairy Queen beim Theaterfestival „Impulse“

VdO-Nachrichten
Nachrichten
Organisationswahlen 2006/2007 – Wir gratulieren …
Alles was Recht ist
Zur Pendlerpauschale trotz BFH-Urteil nichts Neues und anderes

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Stellenmarkt
Spielpläne 2007/2008
Festspielvorschau

 

Portrait

Das Erzählballett hat eine Zukunft

Jörg Mannes und „Der Sturm“ in München · Von Malve Gradinger

Was sieht das breite Publikum am liebsten? Handlungsballette. Und warum? Weil eine Geschichte erzählt wird. Weil sich in der ausdrucksvollen Bewegung lebensgültige Wahrheiten, archetypische Situationen und Gefühle widerspiegeln und nicht nur den Form-Ästheten, nicht nur den Schritt-Spezialisten, sondern jeden Betrachter erreichen.
In den 60er-Jahren verhalfen vor allem die Briten Frederick Ashton, John Cranko und Kenneth MacMillan dem damals schon totgesagten narrativen Ballett zu einer großartigen Renaissance, die jedoch in einer erklärungsskeptischen Postmoderne nach und nach wieder verblasste. Die besten Ballette von Cranko, Ashton und MacMillan blieben neben den Petipa-Balletten des 19. Jahrhunderts zwar die Eckpfeiler der Repertoires. Aber angesichts überholter, vehement aufbrechender alter Ordnungen zerschlugen William Forsythe und in seinem Kielwasser die gesamte nachgewachsene Choreografen-Generation in einem Zuge das neoklassische Vokabular und die geschlossene Ballett-Handlung. Selbst ein John Neumeier, der zunächst noch die Petipa-Klassiker nur leicht veränderte, wie das auf Ludwig II. umgewendete „Illusionen wie Schwanensee“ oder sein zum Ballerinen-Traum in Degas-Atmosphäre verzauberter „Nussknacker“ begann in den 80er-Jahren, literarische Vorlagen mit anderen „Texten“ zu verschneiden. Geradliniges Erzählen war démodé, assoziatives Erzählen angesagt.

Der Sturm

 
Jörg Mannes bei der Arbeit zum Sturm. 
Alle Fotos: Wilfried Hösl
 

Jörg Mannes bei der Arbeit zum „Sturm“.
Alle Fotos: Wilfried Hösl

 

Nur ganz wenige in der jüngeren Choreografen-Garde nehmen noch die Mühen eines abendfüllenden Erzähl-Balletts auf sich. Der gebürtige Österreicher Jörg Mannes, der seit Saisonbeginn 2006/07 das Ballettensemble an der Staatsoper Hannover leitet, gehört dazu. Im vergangenen Dezember kreierte er für das Bayerische Staatsballett Shakespeares letztes Werk „Der Sturm“ (1613). Allerdings: Wie er zu seinem Stoff findet, wie er sich ihm nähert, wie er ihn umsetzt, unterscheidet sich doch wesentlich von früheren choreografischen Vorgehensweisen. Von der Dramaturgie über das Bühnenbild bis hinein in die Bewegungssprache ist Mannes spürbar geprägt von den Veränderungen, das heißt auch von den Möglichkeiten der Moderne und der Postmoderne – in positiver wie negativer Hinsicht.

Petipa bekam von Ludwig Minkus und Riccardo Drigo maßgeschneiderte Ballettmusiken. In der engen Zusammenarbeit mit Tschaikowsky lieferte Petipa dem Komponisten Angaben über Tempo und Atmosphäre der Musik, sogar die genaue Anzahl von Takten für eine bestimmte Tanzfigur. Cranko choreografierte sein „Romeo und Julia“ zu der bereits existierenden Ballettkomposition von Prokofjew. Für sein „Onegin“-Ballett ließ er sich vom damaligen Ballett-Dirigenten der Württembergischen Staatstheater Kurt-Heinz-Stolze noch eine tanzgerechte Musik aus diversen Tschaikowsky-Musiken (nichts aus der Oper „Eugen Onegin“) arrangieren. Jörg Mannes, ganz im aktuellen Trend, geht einen Schritt weiter, „baut“ sich aus zum großen Teil sinfonischen Musiken verschiedener Komponisten selbst eine Partitur.

Schwerpunkt Bruckner

Die Musik ist für Mannes, wie er erklärt, meistenteils die ursprüngliche Inspiration, die dann zur Entwicklung eines Stückes führt. So auch in diesem Falle. In der Zeit seiner Tanzleitung in Linz von 2004 bis 2006 beschäftigte er sich intensiv mit dem in der Nähe geborenen Anton Bruckner.

 
Lucia Lacarra als Ariel. Foto: Hösl
 

Lucia Lacarra als Ariel. Foto: Hösl

 

„Ausgangspunkt war Bruckners 4. Sinfonie, weil sie für mich auf die Geschichte passt. Sie wechselt sehr zwischen Zartheit und auch Aggression, was ja eigentlich Grundthema des ,Sturms’ ist. Zwischen den 1. und 4. Bruckner-Satz sind sieben Nummern der „Sturm“-Suite von Sibelius eingeschoben. Es geht einfach darum, eine Abwechslung zu haben und gleichzeitig eine Klammer zu bilden. Deshalb beginnt der 2. Akt wieder mit dieser „Sturm-Suite. Ihr folgt Tschaikowskys „Sturm“-Ouvertüre. Den Abschluss bildet Sibelius’ 7. Sinfonie, die in sich auch einen Sturm komponiert hat. Es ist fast ein Sonaten-Satz, auch übers ganze Stück hinweg.“

Premieren-Erfolg

So trocken dargelegt klingt das nach Patchwork, funktionierte aber in der Premiere sehr gut: Im sich steigernden Aufbrausen Bruckners werden die verräterischen ehemaligen Freunde an Land gespült, werden neue Mordkomplotte geschmiedet. In Bruckners Innenspannung, später auch bei Tschaikowsky, liegt Prospero im Gewissenskampf mit sich selbst. In den lyrischen Passagen entdecken und verlieben sich Miranda und Ferdinand. Zu den leichten, hüpfig-tänzerischen Miniaturen der Sibelius-Suite sind Mannes hinreißende Sequenzen für das komische Duo Trinculo und für Stefano und Caliban eingefallen. Und Sibelius’ 7. Sinfonie ist ihm in ihrer Besänftigung ein Spiegel für Prosperos große Versöhnungsszene. Problematisch war natürlich – vor allem bei Bruckner – die Tatsache, dass das Staatsorchester Kompromisse eingehen musste zwischen erbetenen Tanztempi und wünschbarem konzertreifen Klangbild, wobei das Lärmige wohl doch eher eine persönliche Vorliebe von Dirigent David Robert Coleman zu sein scheint. Musikdramaturgisch hatte Mannes jedenfalls sehr klug gedacht.

Vielschichtige Story

Und inhaltlich? Shakespeares „Sturm“ bietet keine satten Stories um verbotene, verwirrte oder kratzbürstige Liebe wie „Romeo und Julia“, „Sommernachtstraum“ oder „Der Widerspenstigen Zähmung“. Der sich mit dem „Sturm“ vom Theater verabschiedende Dramatiker hat da ein gedankentiefes Märchendrama geschrieben über einen Herrscher, der am Ende auf alle Macht verzichtet. Ein philosophisches Drama und eben aus diesem Grund nur selten auf die Ballettbühnen übersetzt. Und wenn, dann nie mit anhaltendem Erfolg. Wie wollte Mannes diese altersweise Geschichte choreografisch in den Griff bekommen?

 
Mitglieder des Ensembles des Bayerischen Staatsballetts. Foto: Hösl
 

Mitglieder des Ensembles des Bayerischen Staatsballetts. Foto: Hösl

 

„Alle Seiten kann ich gar nicht zeigen“, hatte Mannes im Interview vorab zugegeben. „Das kann nicht einmal eine Theaterinszenierung. Für mich ist interessant, die drei fast streng getrennten Gruppen pointiert herauszustellen: also Prospero, Ariel, Miranda und Ferdinand. Dann Antonio, Alonso, Sebastian, die negative Gruppe. Und Stefano, Trinculo und Caliban als die Lächerlichen, wobei Caliban nicht nur lächerlich ist … Und natürlich interessiert mich diese Veränderung von Prospero, weil jeder von uns in irgendeiner Weise nach Macht strebt, egal in welcher Form, dass man aber eigentlich – das klingt jetzt so kitschig – Zufriedenheit oder Konfliktlösung nur durch Machtabgabe gewinnen kann.“

Eindimensional und nüchtern

Genau so klar, wie vom Choreografen beschrieben, bekommt man die Geschichte tatsächlich erzählt. Mannes verfügt über eine modern aufgebrochene neoklassische Handschrift, die in ihren frei gefundenen Gesten sehr wohl Inhalte vermitteln kann. Und Prosperos Versöhnungsangebot lässt sich leicht und plausibel in einer Umarmung seiner Widersacher darstellen. Aber letztlich ist Mannes im guten Willen, die verzwickte Handlung verständlich zu machen, dieselbe allzu eindimensional – vor allem furchtbar nüchtern geraten. Ein halbes Dutzend dreiseitiger auf- und abbewegter Säulen können wohl wogende See oder, mit Schriftzeichen bedeckt, Prosperos Bibliothek evozieren. Aber es entsteht keine Welt, es webt sich so gar kein Zauber. Selbst der Luftgeist Ariel verliert sich in blutleeren, selbstzweckhaften Schön-Bewegungen. Überdies spielt das Stück meist auf völlig nackter, düster ausgeleuchteter Bühne, die nur von den ersten Parkettreihen aus erkennen lassen, dass Alen Bottainis Prospero durchaus Ingrimm, Selbstzweifel und dann Verzeihen zum Ausdruck bringt.

Mit seiner rigorosen Verschlankung der Handlung, in seinem forcierten Bestreben, den Zuschauer mit nur angedeutetem Dekor selbst imaginieren zu lassen, hat Mannes den „Sturm“ an den Rand eines abstrakten Balletts choreografiert. Können heutige Choreografen aus ihrem Lebens- und Zeitgefühl heraus überhaupt noch Handlungsballette choreografieren? Ist diese vom Zuschauer immer noch erhoffte dramatische Form, die absolut und aufregend in eine fiktionale Welt hineinzieht, nicht mehr möglich? Haben sich die Parameter für dieses Genre verschoben? Man hat an diesem respektablen Abend sicherlich viel Tanz von exzellenten Tänzern gesehen – aber es bleiben einige Fragen offen.

Malve Gradinger

Jörg Mannes

Geb. 1949 in Wien, Ballettschule der Wiener Staatsoper, 1985 Engagement im Ballett der Wiener Staatsoper. 1991 Solist an der Deutschen Oper am Rhein/Düsseldorf, dort ab 1994 erste Choreografien. Gastchoreografien in den USA, Montreal und Moskau. Auszeichnungen bei internationalen Wettbewerben in Paris, Hamburg/Prix Dom Perignon und Helsinki. 2001-04 Chefchoreograf am Stadttheater Bremerhaven, 2004-06 am Landestheater Linz, seit 2007 Leiter des Tanzensembles an der Staatsoper Hannover.

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner