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Portrait

Ein Fenster der Nation

Die Oper des Slowakischen Nationaltheaters Bratislava · Von Christian Tepe

Als 1993 mit der Slowakischen Republik ein neuer Staat auf der politischen Landkarte Europas auftauchte, begann auch das westliche Ausland die Eigenständigkeit einer nicht-tschechischen, slowakischen Kunst und Kultur wahrzunehmen. Diese existiert selbstredend schon viel länger als der neue Staat. Ein großer Schritt auf dem Weg zur Nationenbildung war die Kodifizierung der slowakischen Schriftsprache durch L’udovít Stúr in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Nach dem Zerfall des k.u.k.-Imperiums spielte das Slowakische Nationaltheater (SND = Slovenské národné divadlo) seine erste Saison im ehemaligen Stadttheater von Preßburg, das nun Bratislava heißt. Dort blieb es dann, bis im April 2007 nach 21 Jahren Bauzeit ein neues Domizil für das Nationaltheater eröffnet wurde. Mit dem einladenden Gebäudekomplex am Donauufer findet die Existenz einer bedeutsamen slowakischen Theaterkultur endlich auch ihren sichtbaren architektonischen Ausdruck. Ballett und Opernensemble des SND verfügen damit jetzt über zwei repräsentative Spielstätten.

Regionale Gewichtung

 
Das 2007 eröffnete Gebäude des Slowakischen Nationaltheaters in Bratislava. Foto: Alena Klenkova
 

Das 2007 eröffnete Gebäude des Slowakischen Nationaltheaters in Bratislava. Foto: Alena Klenkova

 

Von dem jungen slowakischen Schriftsteller Michal Hvorecky stammt die Feststellung: „Es gab im Westen eine tschechische, ungarische und polnische, doch nie eine slowakische Welle.“ Das könnte sich vielleicht bald ändern, wie ein Besuch der ersten Opernpremieren in der neuen Spielstätte des SND nahe legt. Seitdem der internationale Musikbetrieb hinter der Uniformität eines globalisierten Mainstreams zu verschwinden droht, gewinnen regionale Charaktere ein ganz neues Gewicht für den Fortschritt der Künste. Aber was bedeutet lokale oder nationale Eigenart jenseits einer zum Klischee geronnenen Exotik? Der Nestor der slowakischen Musik, der Komponist und Musiktheoretiker Ladislav Burlas hat dazu schon vor Jahrzehnten die Vorstellung von einer nationalen Synthese als Verschmelzung der einheimischen Tradition mit zeitgenössischen europäischen Kompositionstechniken entwickelt. Bekanntestes historisches Beispiel dafür ist „Krútnava“ von Eugen Suchon, die slowakische Nationaloper schlechthin. Dass die ästhetische Kategorie der nationalen Synthese über all die gravierenden Verschiedenheiten der Zeitumstände und Stile hinweg immer noch Aussagekraft besitzt, zeigt die Uraufführung von Martin Burlas’ experimentellem Musiktheater „Kóma“.

Internet-Parabel

In dem neuen Bühnenwerk des 1955 geborenen Komponisten geht es vordergründig um das seelische Befinden eines Komapatienten, in dessen bizarre Wahrnehmung des Krankenhausalltags immer wieder Erinnerungen und Empfindungen aus der Tiefe der eigenen Psyche hineinragen. Die Ausnahmesituation des Patienten steht sinnbildlich für das Leben des Menschen in einer von Informatik und Kommunikationstechnologie depravierten Zivilisation. Die medizinischen Gerätschaften, die Überwachungsmonitore, das sinnentleerte, ritualisierte Verhalten der Ärzte und des Pflegepersonals, die Verlegenheit der Angehörigen, dies alles verdichtet sich in der Oper von Martin Burlas zu einer Parabel über die totale Kommunikation des Internet-Zeitalters als vollständig verödete und emotionslose Nicht-Kommunikation. Musikalisch wird das mit den virtuos beherrschten Mitteln einer oft zeitlupenartig gestreckten minimal music ausgedeutet. Besonders interessant wird es dann, und hier sind auch Anklänge an traditionelle, regionalsprachliche Musikidiome zu hören, wenn der Autismus der melodisch-rhythmischen Floskelketten durch eine höchst originelle Syntax aus konduktartig fortschreitenden Lineaturen, aus frei ausschwingenden Melismen, aber auch aus elektronischen Klang- und Geräuscheinspielungen aufgebrochen wird. Es sind dies oft Momente der Ahnung eines anderen Lebens, einer Utopie von Individualität, Glück und authentischen Gefühlen ohne die Überformungen einer medientechnisch genormten Realität. Mit der Oper „Kóma“ hat das SND auch dank eines hellwachen Produktionsteams um den Dramaturgen Vladimír Zvara, den Dirigenten Marián Lejava und den Regisseur Rastislav Ballek den Anspruch der Slowakei auf einen vorderen Platz unter den opernzuständigen Nationen der Gegenwart eindrucksvoll bekräftigt. Während andernorts im Zeichen der Postmoderne die Kunst als eine Form politischen Denkens längst ausgedient hat, zeigt Burlas’ Musiktheater, wie sich künstlerische Qualität und gesellschaftliche Zeitdiagnose gegenseitig bedingen können anstatt einander auszuschließen.

Hohes Opern-Niveau

Markante Akzente weiß das SND aber auch mit Repertoirestücken zu setzen. Unter der musikalischen Leitung des Operndirektors Oliver Dohnányi, bekannt auch als vormaliger Chefdirigent am Prager Nationaltheater, erklang zum Saisonauftakt eine vielverheißende „Madama Butterfly“. Das Orchester der Oper des SND wartet unter Dohnányi mit einer an Zwischentönen ungemein differenzierten Charakterisierungskunst auf. Zwingend gelingen die Übergänge zwischen zart modellierter Detailmalerei und den Passagen eines herb-expressiven, bohrenden Leidenschaftssogs. Dohnányis Dirigat macht deutlich, worauf es bei Puccini ankommt: auf die präzise Unterscheidung von Sentiment und Sentimentalität. Überzeugend harmonisiert damit Peter Konwitschnys Inszenierungsansatz, die Verwundbarkeit der Menschen durch die Härte einer gesellschaftlichen Ordnung aufzuweisen, die offenkundig nicht für die Menschen gemacht worden ist. Wenn Butterfly sich am Ende tötet, wird das Publikum bei voller Saalbeleuchtung aus seiner voyeuristischen Anonymität herausgeholt. In einer sekundenschnellen hitzigen Liebes- und Todesumarmung zwischen Butterfly und Pinkerton kommt es parallel zu dem in martialischer Unerbittlichkeit einsetzenden Orchesternachspiel zu einer aufwühlenden Katharsis. Eva Jenisová verleiht der Titelfigur viel frauliche Wärme und beeindruckt vokal mit einem schmerzvollen Espressivo. Überhaupt bezeugen die Solisten und der 60-köpfige Chor des SND das hohe Niveau der slowakischen Opernschule, die seit langem in großer Kontinuität und Zahl exzellente Sänger hervorbringt, obwohl das Land nur über drei feste Opernensembles verfügt. Erinnert sei zum Beispiel an Lucia Popp, Edita Gruberová, Gabriela Benacková oder Peter Dvorsky. Wie erklärt sich dieser bemerkenswerte Erfolg? Wer einmal die Gelegenheit bekommt, eine slowakische Dorfhochzeit mitzuerleben, erhält zumindest eine Teilantwort auf diese Frage, wenn von den Einheimischen mit gut klingenden, sicher geführten Naturstimmen ein schier unerschöpflicher und sehr lebendiger Bestand an slowakischen Liedern angestimmt wird. Über den Sängernachwuchs muss man sich in Brati-slava keine Sorgen machen. Dennoch steht das SND an einer Wegscheide. Die „Segnungen“ des Fremdenverkehrs locken; Bratislava und die Slowakei haben ein enormes touristisches Potential. Soll die Oper für den wachsenden Besucherandrang aus dem Ausland ein allgemein goutiertes Repertoireprogramm bereithalten und damit dem großen Nachbarn Wien eine überaus ernst zu nehmende Konkurrenz machen? Dagegen ist solange nichts einzuwenden, wie das SND zugleich auch ein geistig-seelisches Fenster der jungen slowakischen Nation bleibt. Es wäre ein böser Treppenwitz der Geschichte, wenn sich die einheimischen Künstler und Komponisten nach dem Fallen des Eisernen Vorhangs zwar ohne ideologische Gängeleien entfalten können, aber eines Tages keine adäquaten Aufführungsgelegenheiten mehr fänden, weil nach der Diktatur der Klasse nun womöglich die Diktatur der Kasse neuen und unkonventionellen Werken den Zugang zum Theater versperrt. Doch mit der Uraufführung von Martin Burlas’ „Kóma“ und der Ankündigung von Operndirektor Oliver Dohnányi, künftig regelmäßig Zeitgenössisches zu produzieren, hat das SND einen hoffnungsvollen Weg eingeschlagen.

Christian Tepe

Christian Tepe sprach für „Oper&Tanz“ mit Oliver Dohnányi, dem Direktor der Oper des Slowakischen Nationaltheaters

O&T: Herr Dohnányi, worin sehen Sie die Stärken der Oper Bratislava im Vergleich mit Wien oder Prag?
Oliver Dohnányi: Da nenne ich zuerst das breit gefächerte Spektrum an Sängerpersönlichkeiten und den großen, sehr gut qualifizierten Sängernachwuchs. Fast alle tschechischen Opernhäuser nutzen mehr oder weniger slowakische Sängerinnen und Sänger. Ein besonderes Ereignis war für uns auch die Eröffnung des neuen Opernhauses, mit dem wir alle die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verbinden.

O&T: Woher kommt dieser ungewöhnliche Erfolg der slowakischen Sänger?
Dohnányi: Das hängt einerseits gewiss mit dem in unserer Nation sehr ausgeprägten Sinn und Gefühl für den Gesang, mit unserer Freude am Singen zusammen. Aber genauso bedeutend sind unsere Gesangsschulen mit den ausgezeichneten Pädagogen, die dort arbeiten.

O&T: Gibt es für Sie ein charakteristisches Klangidiom, das Sie nur mit dem Opernorchester des SND verwirklichen können?
Dohnányi: Ja, aber das ist nicht so einfach zu realisieren. Uns fehlen gute Musikinstrumente, weil unsere Musiker nicht so gut bezahlt werden. Trotzdem möchte ich gerne von meinem Orchester einen intensiven, aber sanften Klang haben, besonders von den Streichern.

O&T: Wie steht es um das zeitgenössische einheimische Opernschaffen am SND?
Dohnányi: Wir haben dasselbe Problem mit der modernen Musik wie überall. Wir sind uns bewusst, dass wir die zeitgenössische Opernproduktion, besonders auch diejenige slowakischer Herkunft, unterstützen und spielen sollten. Andererseits besuchen unser Theater viele ausländische Gäste, die bekannte Stücke bevorzugen. Das hat auch Einfluss auf unseren Spielplan. Dennoch möchte ich gerne noch viel mehr slowakische, aber auch fremde zeitgenössische Opern spielen und werde hier in Zukunft verschiedene Projekt gezielt anstoßen.

 

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