Bemerkenswert im sprachlich biederen Text ist ein Geschlechter-Diskurs. Autor Egon Aderhold entfaltet ihn an der Gestalt der Katharina von Bora (Kelly God), die mit zwei anderen Nonnen dem Kloster entflieht und die bürgerliche Ehe anstrebt. Als Trägerin frühen emanzipatorischen Denkens verweigert sie sich jeder Art Unterwerfung und schlägt der Titelfigur am Ende eine Lebensgemeinschaft vor, die auf einem emanzipierten Beziehungsverständnis beruht. Musikalisch erfährt dieses utopische Moment keine vertiefte Gestaltung. Peter Aderholds Orchesterpart scheint unter Walter E. Gugerbauers beherztem Dirigat reich an theatralischen Gesten. Doch statt Figuren präzise zu zeichnen, werden lediglich Vorgänge illustriert. Obwohl die Partitur auf einer Reihe basiert, bleibt ihr Grundklang meist im Grenzbereich des Tonalen. Musikhistorie – im Stilzitat modern übermalt – hat beim Komponieren reichlich Pate gestanden. Bläserchoräle, die romantische Orgel, Hindemiths Theatermusik und die Instrumental-Prosa Wagners vermischen sich zu einem unpersönlichen Sound. Peter Aderhold, Jahrgang 1966, hat für seine Erfurter Auftraggeber geschrieben: Für das nunmehr 59-köpfige Opernorchester und für Generalintendant Guy Montavon, der seinen hochmodernen, aber nicht unumstrittenen Theaterneubau mediengerecht zu eröffnen verstand. Der kompositorische Eklektizismus war vielleicht als vermittelnde Geste gedacht – um das städtische Publikum, das Oper bisher als Unterhaltung kennt, nicht zu verschrecken. Vermutlich aber entscheidet nicht allein die Besucherauslastung, wie sich das aparte 60-Millionen-Objekt in Zukunft rentiert. Die spar- und fusionsgeplagte Konkurrenz befürchtet, der „Theaterersatzbau“ hinter dem Erfurter Dom würde kulturpolitisch favorisiert, um diverse gewachsene Theaterkultur im verschuldeten Freistaat Thüringen elegant zu entsorgen und die Landeshauptstadt zu profilieren. Die Stadttheater in Eisenach, Saalfeld, Rudolstadt oder Nordhausen werden schon im Sommer 2004 neu fusioniert. Im nahen Weimar ließ sich die geplante Schließung des Opernbetriebs gegen den politischen Willen für einige Jahre verhindern. Dass Intendant Montavon in Erfurt sowohl das Ballett als auch das Schauspielensemble auflösen musste und nurmehr ein reduziertes Orchester betreibt, interpretiert man in der Region als klares Signal, dass das Ende des kleinstädtischen Ensembletheaters bevorsteht.
In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation und schwindender öffentlicher Finanzen zählen in Sachen Theater-Erhalt aber nur längerfristige Strategien. Montavons Erfurter Ansatz lässt sich deshalb auch ganz anders verstehen. Ökonomische Beweglichkeit und Konzentration der Mittel sorgen für Spielräume. Zum Beispiel für eine Eröffnungssaison, die verschiedenste Bedürfnisse berücksichtigen muss, um den nötigen Neuanfang im Ensemble, beim Publikum und im Feuilleton anzugehen. Die hier geplante Mischung aus Operette, Belcanto-Oper und Novitäten soll mit Hilfe von Gastspielen und internationaler Koproduktionen realisierbar werden. Im Eröffnungsstück „Luther“ wird Kultur sowohl gerettet als auch zerstört. Gastregisseurin Karoline Gruber gestaltet den Maler Cranach als Immendorf-Persiflage und stellt mangels besserer Ideen so die zu-treffende Frage nach der Notwendigkeit, elitäre Kunst weiter zu subventionieren. Bühnenbildner Hermann Feuchter hingegen verleiht dem Krieg Dominanz und Aktualität. Seine zersplitterte Orgel ist die zentrale Metapher der Produktion. Wenn sich ihre geborstenen Pfeifen als schrottreife Pershings auf Figuren und Darsteller richten und schließlich gar ins Publikum drehen, vermittelt sich die Gefährdung aller Kultur durch verantwortungslose Weltpolitik.
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|