„Man erwartet von einem Chordirigenten, dass er genauso sauber schlägt, als würde er ein Orchester dirigieren – es sind Stimmen, gewiss, und genau dies macht den Unterschied: Es ist eine Ansammlung ganz individueller Stimmen und Timbres, und die Aufgabe eines Dirigenten ist es, ein möglichst homogenes Klangbild zu schaffen.“ Sagt Michael Gläser, seit 1990 Dirigent des Chors des Bayerischen Rundfunks, der zu den Besten in der Republik gezählt wird. Leonard Bernstein soll fast schon jubilierend ausgerufen haben, er brauche nur den kleinen Finger zu bewegen und schon erklinge eine wundervolle, ja nachgerade kosmische Harmonie. Kein Zufall„Die erste Voraussetzung ist, dass die Leute sich mögen und etwas miteinander anfangen können. Dann respektieren sie sich, hören aufeinander, gehen aufeinander zu und ein“, führt Gläser weiter aus, der den bemerkenswerten Rundfunkchor nun seit 1990 leitet, „ich habe das Gefühl, dass sie mich auch ganz gern mögen und, so können wir sehr konstruktiv zusammenarbeiten.“
Folgerichtig rief Gläser nach langen Vorarbeiten nun endlich sein langersehntes „Chordirigentenforum“ ins Leben, zu dem er junge, ehrgeizige Chordirigenten eingeladen hatte. Gläser kokettiert, wenn er betont, dies sei kein Wettbewerb im konventionellen Sinne. Aus immerhin mehr als fünfzig Bewerbungen wurden elf Aspiranten zum Probedirigat eingeladen, sechs davon blieben schließlich als aktive Teilnehmer übrig, fünf verblieben als „Gasthörer“ Hohe KonzentrationTobias Bromann gehört zu den Auserwählten. Er arbeitet als Kantor am Berliner Dom und hat mit der G- Dur Messe von Johann Sebastian Bach quasi ein Heimspiel: Das „Gloria“ kommt mit der nötigen pastoralen Strenge, wiewohl der Chor des Bayerischen Rundfunks auch mal dionysische Vokalisen feiert. Brommann ist ernst und konzentriert, aber er erklärt quasi, erfindet den Protestantismus neu, als gelte ihm Protestantismus als Protest gegen die umwerfend klingende Opulenz dieses faszinierenden Klangkörpers. Michael Gläser wird im anschließenden Plenum darauf hinweisen, dass bei aller Strenge und Disziplin im Taktschlag, im Gleichschlag die Intonation, eben der Gleichklang, das Wesentliche sei: Nicht also der Gleichschritt, sondern der Gleichklang, ist die Essenz eines geglückten Dirigats. Robert Blank aus München,31, arbeitet an der Psalmensinfonie von Igor Strawinski. Blank sagt vor einem Durchgang durch eine Partie präzis an, was zu proben ist: Die einzelnen Sänger machen eifrig Notizen. Dann prüft er wie ein getreuer Korrepititor Note für Note und gibt sich erst dann zufrieden, wenn Intonation, Vokalisation, und Phonetik gleichermaßen im Einklang sind. Michael Gläser moniert Unsauberkeiten beim T oder bei einer ST- Lautung am Schluss eines Satzes. Blank reagiert sofort und mit ihm der gesamte Chorkorpus. Dirigieren ist anstrengend, es ist, als stemme der Dirigent ein schweres Gewicht, und doch – wenn es klingt, dann geht alles federleicht. Plötzlich klingt esIm anschließenden Plenum sind alle erleichtert, zufrieden und haben etwas gelernt. Die sechs aktiven Teilnehmer werden ein ums andere Mal während dieser intensiven Arbeitsphase verstrickt in die Strudel und damit in die Mühen, einen Klang aufzustellen. Oder es geht ihnen wie Raimund Wippermann aus Essen bei Edlunds „Gloria“: Plötzlich geschieht der Klang und keiner der Beteiligten weiß so recht, wie und weshalb, plötzlich klingt es und alle sind begeistert. Dann sind sich alle einig: Das ist es, warum wir singen. Viel wird geredet während dieser Woche – debattiert, werden Einverständnisse geklärt, vielleicht Freundschaften geschlossen. Kunst entsteht, „wenn ein Gespräch wir sind und hören können voneinander“. Hölderlin, der dies geschrieben hat, wäre gewiss ein interessanter Dirigent gewesen. Dass nach diesem fulminanten Introitus weitere Chordirigentenforen folgen werden, ist evident.
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