So oder so ähnlich könnte das Szenario aussehen, wenn die Ergebnisse des diesjährigen ARD-Musikwettbewerbs sich ihren Weg in die Kulturtempel der Republik bahnen: Von den sieben Finalisten der Kategorie Gesang wurde jeder mit einem Preis ausgezeichnet, zwei sogar mit einem ersten. Erstaunlich, denn traditionell wird München jedes Jahr im September zum Schauplatz kleiner Tragödien: Beim ARD-Musikwettbewerb trennt sich in vier jährlich wechselnden Kategorien die Spreu vom musikalischen Weizen. Solche Ausscheidungen sind für junge Musiker immer eine Herausforderung fürs Nervensystem, München jedoch ist ein besonders hartes Pflaster: Zeitgenössische Musik zählt zum Pflichtprogramm – Mauricio Kagel, Peteris Vasks, Thomas Larcher und Katia Tchemberdji lieferten diesmal Auftragswerke –, erste Preise werden in den seltensten Fällen vergeben. Doch jede Regel kennt ihre Ausnahmen. Viele AuszeichnungenNatürlich platzten auch heuer wieder Karriereträume wie die sprichwörtliche Seifenblase: kein Glamour, keine Plattenverträge, kein Jet-Set durchs musikalische Fegefeuer der Eitelkeiten. Dabeisein war eben doch nicht alles. Gerade 17 junge Musiker erreichten die Endausscheidung. Doch, und das ist das wirklich Erstaunliche an den diesjährigen Finali: Der Daumen der Juroren ging heuer so oft nach oben wie selten zuvor. Insgesamt wurden 14 Preise vergeben – davon in den Kategorien Trompete und Kontrabass jeweils ein erster, im Fach Gesang sogar zwei erste Preise. Nur die Klarinettisten mussten sich zur Gänze mit Zweit- und Drittplatzierungen zufrieden geben. Dafür übertraf die Gewinnausschüttung in der Kategorie Gesang, die traditionell mit Argus-Augen verfolgt wird, alle Erwatungen: Sämtliche sieben Finalisten wurden ausgezeichnet. „Wer das technische Rüstzeug nicht mitbringt, braucht gar nicht anzutreten“, erklärte Siegmund Nimsgern auf die Frage, ob Technik oder Musikalität für die Juroren im Fach Gesang ausschlaggebender sei. Auch Thomas Quasthoff sagte der Süddeutschen Zei-tung: „Nur schön singen reicht mir nicht.“ Es tut gut, das aus so berufenem Munde zu hören: Beide Sänger konnten die renommierte Auszeichnung selbst erkämpfen – Nimsgern 1966, Quasthoff 1988 –, beide saßen diesmal unter den Juroren. Konnten sie sich in den Jurysitzungen gegen ihre Kollegen Klaus Schultz, Dame Gwyneth Jones, Francisco Araiza, Helmut Deutsch, Daphne Evangelatos, Roberto Saccà und Edith Wiens nicht durchsetzen? Mit Marina Prudenskaja wurde einer dramatischen Mezzostimme mit Koloratur der erste Preis verliehen, die Arien von Rossini und Verdi technisch sauber, doch neutral im Ausdruck und mit vokalen Kraftakten realisierte, die einen um ihre Stimmbänder fürchten ließen. Erst der Blick ins Programm verriet, dass sie aus Russland stammt. Wesentlich stärker war die typisch russische, gutturale Tongebung bei Julia Sukmanova zu hören. Ihre nicht ganz idiomatische Textgestaltung in Arien von Weber und Verdi dürfte für die Jury stärker ins Gewicht gefallen sein als der individuelle Stimm-Klang – sie musste sich mit einem dritten Platz begnügen. Voluminöse Töne und freundliche, etwas glatte Professionalität wurden auch bei ihren männlichen Kollegen belohnt. Zeichen dafür, dass der musikalische Nachwuchs den Gesetzen zunehmender Globalisierung unterworfen ist? Nimmt man die Länderstatistik genauer ins Auge, lassen sich die Belege hierfür schnell zitieren: Aus den klassischen Gesangschulen Europas kamen die wenigsten Vertreter. Unter den 89 Sängern, die nach München eingeladen wurden, stammten zwei aus Italien, aus Frankreich und Spanien nicht ein einziger. Immerhin: 20 Prozent kamen aus Deutschland, mit 35 Prozent war Korea am stärksten vertreten. Tatsächlich erreichten mit Gérard Kim und Günter Papendell Vertreter beider Länder das Finale. Nun könnte man diesen Umstand schnell mit dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit erklären. Aber das wäre zynisch und unfair gegenüber den engagierten Künstlern. Zumal der erste Preis an Gérard Kim ging, einem Verdi-Bariton, der auf der Bühne Charme und Charisma verströmte –, auch wenn ihm voll ausgesungene Noten noch wichtiger waren als vokale und stilistische Differenzierung. Persönlichkeit zähltDoch halt, Schluss mit der Beckmesserei! Als der Kanadier Tyler Duncan Guglielmos „Rivolgete a lui lo squardo“ mit sensibler Tongebung und der für Mozart so unabdingbaren Mischung aus Einfachheit und Euphorie sang, verstummte selbst das Grollen leidenschaftlicher Melomanen, weil klar wurde: Musik öffnet und reflektiert menschliche Dimensionen. Sie ist nicht primär eine Möglichkeit zu zeigen, wie makellos man schon in jungen Jahren die schwierigsten Stücke bewältigt. Nicht alle Juroren ließen sich davon erweichen, Duncan wurde „nur“ Dritter. Schade, dass er nicht hörte, was Siegmund Nimsgern mir verriet: „Letztlich kommt es auf die Persönlichkeit an, ein erster Preis zählt wenig.“
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