Für Olivier Messiaens spirituelles und musikalisches Testament „Saint François D’Assise“, das seit seiner Uraufführung 1982 mit der Bochumer Produktion erst die vierte Inszenierung erfuhr, war die Jahrhunderthalle der angemessene Ort. Das Künstlerpaar Ilya und Emilia Kabakov beantwortete die Herausforderung der in ihren Dimensionen wuchtigen, in ihren Strukturen aber filigranen Konstruktion mit einem gigantischen Lichtdom. Über 30 Meter hoch und mit seiner Öffnung um 60 Grad zum Publikum geneigt korrespondiert die permanent wechselnde farbige Beleuchtung seines Maßwerkes, die subtil das abklingende Tageslicht integrierte, mit den unendlich vielen Klangschattierungen des Orchesters. Die spärliche äußere Handlung arrangierte Giuseppe Frigeni naturalistisch auf einem um Kuppel und Orchester umlaufenden Metallsteg, ohne damit die entrückende Aura der Musik zu durchkreuzen. Die Diskussion mit dem inneren ästhetischen Zensor, der sich Messiaens ungehemmter Synthese disparater Stile, der ungebrochenen Naivität seiner Feier von Franziskus Gottessuche zunächst nicht widerstandslos hingeben wollte, verstummte alsbald unter dem Dirigat von Sylvain Cambreling und seinem präzisen und souveränen Umgang mit den riesenhaften Proportionen der fünfstündigen Oper. Mit freiem Atem wischte er am Dirgierpult alle Bedenken fort, gemeinsam mit dem Sinfonieorchester des Südwestrundfunks und den noch im äußersten Pianissimo kristallklaren Chören des WDR und des Dänischen Rundfunks. José van Dam, zum dritten Mal in der Titelpartie zu hören, erwies sich als glaubwürdiger Franziskus, dem Heidi Grant Murphy (L’Ange) und Roland Bracht (Frère Bernard) in nichts nachstanden, um nur zwei der Solisten zu nennen. Gute AkustikWenn die Jahrhunderthalle inzwischen zum Zentrum der RuhrTriennale avanciert ist und mit 98 Prozent in der Herbstsaison die beste Auslastung aller Spielstätten ausweist, verdankt sie das unter anderem Produktionen wie „Saint François D’Assise“, die etwas riskieren, die sich ganz dem genius loci überlassen und den Raum in seinen Möglichkeiten erforschen wollen. Geert Peymen etwa stellte für die Kreation „Sentimenti“, die ansonsten wenig glücklich die Ruhrpott-Saga „Milch und Kohle“ von Ralf Rothmann mit Verdi-Arien bricht, ein Bühnenbild ganz aus Kohlebriketts in die schwindelnde Weite und erinnert so auf unaufdringliche Weise an die Geschichte der Region und ihrer Menschen. Inzwischen hat man auch mit diskret verborgener elektronischer Unterstützung die Akustik in der variabel teilbaren Halle sehr gut im Griff. Das gilt auch für die Gebläsehalle im Duisburger Landschaftspark, wo vor der Sommerpause mit „The Temptation of St. Anthony“ von Robert Wilson und der Gospelmusikerin und Historikerin Bernice Johnson Reagon die Aufmerksamkeit ein weiteres Mal auf französische Gottsucher gelenkt wurde. Bernice Johnson Reagon entkernte Gustave Flauberts Roman „Die Versuchung des heiligen Antonius“ bis auf ein dünnes Handlungsgerüst und destillierte seinen enzyklopädisch wuchernden Versuchungskatalog und die Hieronymus Bosch verwandte Drastik und Detailgenauigkeit auf ein kirchentags-kompatibles Weihespiel. Gemessen an den Kategorien einer Gospelshow vermochten die Sänger und die fünfköpfige Band mit dem bunten Spektakel in der bewährten Ästhetik von Wilsons Bühnen-Origami in Slow-Motion allerdings zu überzeugen. Kürzungen
42 Millionen Euro sind für ein auf jeweils drei Jahre angelegtes Festival aus der Sicht eines Intendanten nicht viel. Da ist viel Technik zu bezahlen, Hallenmieten, Werbung, bevor überhaupt über Kunst geredet werden kann. Für die Hauptsaison 2003 konnte Gerard Mortier an künstlerischen Mitteln 14 Millionen Euro ausgeben – sein Nachfolger Jürgen Flimm wird dafür gerade mal die Hälfte zur Verfügung haben. Im Zuge der landesweiten Sparmaßnahmen wurde auch der Etat der RuhrTriennale für die Saison 2005 bis 2007 von 42 auf 38 Millionen Euro gekürzt, was sich nach Abzug der festen Kosten naturgemäß am stärksten auf den künstlerischen Etat durchschlägt. Dennoch, Flimm kann auf einem guten Fundament bauen. Rund 180.000 Besucher haben die Hauptsaison 2003 erlebt, damit ist die Auslastung von 73 Prozent im Jahr 2002 auf 86 Prozent gestiegen. In der Presse ist die anfängliche Reserve einem differenzierten Meinungsbild und viel Zustimmung gewichen, international findet das Festival von „Le Monde“ bis „New York Times“ große Resonanz und hat sich aus dieser Perspektive in der Liga von Bayreuth und Salzburg platziert. Wer nun letztlich die Triennale besucht, ist schwer zu sagen. Man sieht viele Autokennzeichen aus Aachen, Bonn, Köln und Münster und jenseits der Landesgrenzen; man hört viel fremden Zungenschlag im Publikum: Holländisch, französisch und englisch. Vergangene Saison bedauerte Mortier, dass in Bochum „Zehntausende zur benachbarten Zierfischschau und der Erotikmesse“ gepilgert seien statt zu ihm. Den viel beschworenen Stahlarbeiter in die Hallen zurückzuholen, wird trotz der guten Zahlen noch ein Stück Arbeit sein. Zumindest scheint die Furcht vor Erosion beim gewachsenen Theaterangebot der Region unbegründet. Bei den Pressestellen der Theater in Bochum, Gelsenkirchen und Essen fühlt man sich in der Publikumsgunst nicht beeinträchtigt und betrachtet die RuhrTriennale eher als Ergänzung denn als Konkurrenz; selbst etwa die spektakuläre „Zauberflöte“ der katalanischen Regie-Clique La Fura dels Baus mit zwölf ausverkauften Vorstellungen kommt der Essener Inszenierung von Ezio Toffolutti kaum in die Quere. Regionale IdentitätViel wäre hier noch mit gleichem Recht zu nennen: Die einzigartige Konzertreihe „Century of Songs“, die internationale Singer-Songwriter zusammenführte; die stilbildende Tanz- und Musik-Produktion „Wolf“ von Alain Platel und Sylvain Cambreling auf Musik von Mozart; die Konzertreihen; die viel beachteten Fernsehübertragungen oder das Schauspielprogramm. Nicht alles ist gelungen, kann auch nicht, wo experimentiert und gesucht wird. An erster Stelle steht jedoch, dass es Gerard Mortier und seinem Team gelungen ist, inhaltlich Neues und Zukunftweisendes zu schaffen und dem Festival und damit auch mittelbar der Region eine Identität zu verleihen.
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