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Franz Woyzeck kann nicht sterben

„Wozzeck kehrt zurück“ von Helmut Oehring in Aachen

Der Titel „Wozzeck kehrt zurück“ erinnert an Ödön von Hórvaths „Figaro läßt sich scheiden“ – Giselher Klebe komponierte diese Beaumarchais-Fortschreibung, mit der nach den verflogenen Hoffnungen der ersten französischen Revolution Bilanz der gescheiterten menschlichen Verhältnisse gezogen wird. Nun hat auch Helmut Oehring einen anderen berühmten Literatur- und Opern-„Fall“ nachverhandelt: die Eifersucht und die Wahnsinns-Tat des Franz Woyzeck. Dabei geht es ihm kaum um Rekonstruktion historischer Geschehnisse und ihre Aufarbeitung durch die Instanzen der Justiz. Präsentiert werden Spotlights auf zentrale Stichworte oder Sentenzen aus verschiedenen Texten von Martin Luther oder der Bibel, von Theodor Fontane und vor allem Georg Büchner. Passagen aus dessen „Jakob Lenz“ und dem Hessischen Landboten ergänzen die aus dem „Woyzeck“; zusammen stellt dieses Büchner-Kontingent die wichtigen Teile eines Theater-Textes, der freilich keinen narrativen Zusammenhang konstituiert.

Die neue Musik kreist um Eifersucht und eine daraus resultierende Verzweiflungstat, um Selbstzweifel und Selbsttötungsgedanken, die in „Momentaufnahmen“ aufscheinen. Komponiert wurden verstörte Kommunikation, Ängste und Zwangsvorstellungen: „Es geht hinter mir her“. Also: Orchester-Erregung, die sich auf rasche, steile Crescendi stützt; externe Verstrickungen via Live-Elektronik; Einsprengsel von Rock- und Pop-Musik, die mit den trivialen Texten und Melodien des im Zentrum des erhöhten Orchesters agierenden E-Gitarristen Jörg Wilkendorf wohl auf die Lebenswelt der „kleinen Leute“ verweisen will. Am anderen Ende der stilistischen Skala singen eine Sopranistin und zwei Mezzo-Sopranistinnen in extremen Lagen. Ausgiebig zitiert der stark geforderte Chor Madrigale des Fürsten Don Carlo Gesualdo, der einst wohl seine mutmaßlich ehebrecherische Frau umbringen ließ. Drei Gebärden-Solisten – das Markenzeichen der szenischen Arbeiten von Oehring – unterstreichen die unbeantworteten Fragen der restringierten Kommunikation (nur ganz am Rande wurde mit einigen Klangfiguren auch ein musikalischer Kommentar zu Alban Bergs Oper „Wozzeck“ geliefert).

Helmut Oehring, Kind gehörloser Eltern, brachte bereits 2002 in Aachen mit Erfolg „BlauWaldDorf“ zur Uraufführung – eine fragile Musiktheater-Arbeit, die Hans Christian Andersens Märchen von der Seejungfrau aktualisierte. Der Berliner Komponist nannte seine zunächst unsystematisch wirkende optisch-akustische Montage-Arbeit eine „tonschriftliche Momentaufnahme in drei Abzügen oder zwölf Kontakten“ und meinte, „dass sie viel mit der Sprache Büchners zu tun hat. Das Chaos liegt im Text – ich bin unschuldig“. Nicht „Aufzüge“ komponierte Helmut Oehring, sondern „Abzüge“ – und er verweist damit ebenso auf die Sphäre der Photographie wie mit dem Stichwort der „Zwölf Kontakte“, die den Musiktheaterabend strukturieren: „GelindWetter“ oder „Obsession“, „Süchtig“, „Wilderer“ oder „Ausklang toter Wanderer“ heißen diese Abschnitte, bei denen es um Kontakt-Störungen und Sprachlosigkeit geht. Nicht um unmittelbar Verstehbares oder gar Verständnis. Das szenische Konzert signalisiert immer wieder hohe Verbundenheit mit der Leidens- und Schreckens-Figur Büchners. Im Verbund mit der ganzen Palette gesprochener und eingeblendeter Texte, von animierten Fotos und live-Video-Zuspielung wird das demonstrativ uneinheitliche musikalische Material plausibel. So recht „zünden“ will es nur in einigen frappierenden Momenten des Zusammenpralls von Heterogenem.

Was Michael Simon zur Aachener Uraufführung an Bildern zuspielte, wirkte teils platt – zum Stichwort von Maries rotem Mund tut sich tatsächlich ein solcher in Großaufnahme auf dem Gaze-Vorhang auf. Zeitweise wird die Video-Kamera wie im Selbstlauf über der mit Schränken und Tischen vollgestellten Drehbühne losgelassen. Dann scheint die Bilderflut aber auch wieder streng domestiziert nach Ordnungskriterien, die sich dem ersten Blick nicht erschließen. Am Ende mochte man etwas ratlos sein, ob die halbe Nähe zu Büchner dem Projekt als Strohhalm fürs Sinnverständnis gut tat oder ob man sich nicht gleich eine ganz frei assoziierende Studie über Eifersucht und Suizidgefahr gewünscht hätte (vor allem eine ohne naivischen Folk-Song in A-Dur von Wilkendorf, jene triviale Fingerübung über die Kleber auf der Liebsten Tür und das Licht, das hinter ihr ausgeht). Oder ob man es bevorzugt hätte, wenn Wozzeck sich nur scheiden lässt und Figaro zurückkehrt. Doch Oehrings Eigenwilligkeit kann rationale Zweifel schließlich übertönen: Die Musik wirkt wie Echolot über Gewässern höchst unterschiedlicher Tiefe.

Frieder Reininghaus


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