Kunst und Hochkultur, befand Dramaturg Norbert Abels (Oper Frankfurt), seien zu Überwinterungsmedien des Geistes fern ab vom wirklichen Leben der Menschen geworden, während gleichzeitig 97 Prozent aller Rezipienten im Bereich einer von ihm wertfrei so titulierten „heruntergekommenen Sinnlichkeit“ ihren Platz einnähmen. Gerhard Rohde (Oper&Tanz) quittierte Abels’ Appell „Wo finden wir die elementaren Konflikte, die die Menschen heute bewegen, im zeitgenössischen Musiktheater wieder?“ mit der Replik, ob „singende Drogenabhängige“ nicht „peinlich“ seien und stellte damit in Frage, ob sich überhaupt alle Probleme der Zeit durch die ästhetischen Mittel der Kunstgattung Oper direkt abbilden lassen. Der Komponist Detlev Glanert warnte ebenfalls vor der Gefahr, beim Buhlen um das Publikum dem Jugendkult und den bloßen Aufgeregtheiten der Eventmaschinerie zu verfallen und darüber ein wesentliches Entwicklungsgesetz der Oper zu vergessen, nämlich den „Grundsatz, in Form eines kunstvollen ‚Spiels’ mit Menschen, intellektuell gefiltert etwas über Menschen zu erzählen und zu zeigen.“ Schwierige DechiffrierungDoch auch mit Tadel am Publikum wurde während des Symposiums nicht gespart. Die Opernbesucher seien „altgierig statt neugierig“, lautete Hans-Peter Kehrs griffige Formel der Publikumsbeschimpfung. Den Menschen fehle der Mut, sich auf die eigene emotionale Befindlichkeit zu beziehen, meinte der Opernleiter der Wuppertaler Bühnen. Als mildere Variante der Publikumsschmähung kursierte die Ansicht, zeitgenössisches Musiktheater sei schwer vermittelbar. Die Moderne konfrontiere das Publikum mit der Notwendigkeit, Arbeit in die Rezeption zu stecken. Selbst geschulte Hörer scheiterten aber an der „Dechiffrierung“ der Werke, das erzeuge ein Gefühl des Ausgeschlossenseins, hob Glanert hervor. Reinhard J. Brembeck (Süddeutsche Zeitung) hielt dagegen, dass gerade hochkomplexe Werke in „exzeptionellen Aufführungen“ durchaus ihr Publikum fänden. Es komme darauf an, die Menschen im Theater nicht zu erziehen, sondern durch Schönheit zu verführen. Auch im Auditorium regten sich Zweifel an der Existenz eines singulären Vermittlungsproblems nur der zeitgenössischen Opernkunst. Die ältere Musik sei gleichfalls kompliziert und häufig auf Ablehnung gestoßen, gab Detlef Brandenburg (Die Deutsche Bühne) zu bedenken, nur habe es einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund der Menschen gegeben, der heute nicht mehr vorhanden sei. Von anderen Zuhörern wurde nach der Verantwortung der Musikkritiker gefragt. Auf Vorhaltungen, man erfahre zu wenig über die Stücke und die Musik, die schreibende Zunft erfülle ihren Bildungsauftrag nicht, räumte Brembeck überraschend freimütig ein: „Die Kritiken sind interne Spiele.“ Veränderte GesellschaftDie Ursachen für die Krise im Verhältnis zwischen dem zeitgenössischen Musiktheater und seinem Publikum sind also weder nur in den subjektiven Voraussetzungen der Rezipienten noch allein in einer Ignoranz der Werke gegenüber den Lebenssorgen der Menschen zu suchen. Entscheidend kommt eine übergreifende Epochendimension hinzu, wie Bernd Feuchtner (Opernwelt) mit Blick auf die Entseelung des Menschenwesens durch die verheerenden Katastrophen des 20. Jahrhunderts erläuterte: Das Individuum der alten Oper vom Barock bis in das 19. Jahrhundert, das durch die Musik glorifiziert werde und das sich im Gesang ausdrücke, sei zerschmettert. Auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagierten die Kunstwerke. Wie am Theater Aachen das Publikum an Zeitgenössisches herangeführt wird, darüber berichtete noch ganz konkret Intendant Paul Esterhazy: Alle Beteiligten einer Aufführung präsentieren den Zuschauern unter Ausnutzung der Autorität des mitwirkenden Intendanten eine 20-minütige Werkeinführung auf der Bühne – als „vertrauensbildende Maßnahme“ oder auch als „Zwangsbeglückung“.
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