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Berichte

Nur eine Fotokopie der Geschichte

„Das Treffen in Telgte“ in Dortmund uraufgeführt · Von Johannes Hirschler

Als alles vorüber ist, bringt der Nobelpreisträger als letzter Redner der Premierenfeier das Problem ganz nüchtern auf den Punkt: Er habe auf der Fahrt zur Uraufführung nach Dortmund beschlossen, seine Erzählung „Das Treffen in Telgte“, die dem Dramaturgen Wolfgang Willaschek und dem Komponisten Eckehard Mayer als Opernvorwurf diente, für heute Abend ganz zu vergessen. Operndramaturgie gehorche ja doch anderen Gesetzen, an die Stelle feiner Ironie und Charakterzeichnung müsse bühnenwirksame Handlung treten. Soweit der Dichter.

 
Turid Karlsen als Libuschka (rechts). Foto: Stage Picture
 

Turid Karlsen als Libuschka (rechts). Foto: Stage Picture

 

In der Tat lässt das Opern-Libretto von Grass’ Fabulierlust und hintersinnigem Witz, mit dem er Barockdichter von Gryphius bis Gerhardt am Ende des Dreißigjährigen Krieges aufeinander treffen lässt, wenig übrig. Es vergröbert das Fest der Poeten wie die fünfzehnte Fotokopie eines historischen Stichs zu einer zweitägigen Studentenorgie. Einzeln und in Gruppen trifft man ein, verbrüdert sich, foppt und pöbelt sich an. Schart man sich in einem Moment in Angst vor dem zweifelhaften Regimentssekretär Hans Jakob von Grimmelshausen, der das Treffen protegiert, um Simon Dach, der die Versammlung einberufen hat, feiert man im nächsten Moment ein wüstes Fest. Dass man sich eigentlich getroffen hat, um im zerstörten Vaterland wenigstens in der Sprache noch Halt zu finden, einen gemeinsamen politischen Neuanfang zu formulieren, degradiert dieser Daueraktionismus zur Nebensache.

Üppig, technisch souverän und durchaus sanglich, doch leider weitgehend auf Kosten der Textverständlichkeit, malt Eckehard Mayer mit seiner Klangpalette die Dichtergestalten. Organisch zügelt er immer wieder seine dissonant wuchernden Streicherklangflächen und das auftrumpfende Schlagwerk zu solistischen Porträts, in denen er den Dichtern mit motivischer Feinarbeit einzelne Instrumente zuordnet. Man hört den geübten Theatermusiker, der sich viele Stile anzuverwandeln weiß. Aber über diese alerte Geschmeidigkeit, diese filmmusikgleiche Willfährigkeit hinaus entwickelt die Musik wenig eigenen Charakter. Darin korrespondiert sie mit den Schwächen des Librettos, dessen kunstfertige Symmetrie und klug gebaute Ensembles nicht kaschieren können, dass das Stück nicht zur großen Oper taugt. Und als der Komponist Heinrich Schütz als unterwürfig verehrte Autoritätsgestalt zu den Dichtern hinzu stößt und sein Credo verkündet, die Musik diene dem Wort, versteigt sich Mayer zu einem süßlichen Pathos, das die Zeitgenossenschaft seiner Klänge Lügen straft.

Es ist bezeichnend für die Regie von Christine Mielitz, dass sie nicht einmal diesen Moment ironisch brechen will. Unentwegt hält sie die Schar um den hilflosen Simon Dach herum in Bewegung. Jede Frotzelei wird zum Handgemenge, jede hochgezogene Augenbraue zum Händeringen und jeder Anflug von Erotik gerät zur handfesten Kopulation: wilder Aktionismus mangels echter Dramatik in dem weiten Bühnenraum von Christian Floeren. Das Doppelorchester (Leitung: Arthur Fagen) spielt versenkt auf der Hauptbühne und erscheint immer nur gemeinsam mit dem Maestro di Musica Heinrich Schütz. Die Dichter versammeln sich auf dem überbauten Orchestergraben über einer geborstenen Kirchturmspitze. Projektionen zeigen Deutschlands verwüstete Städte nach 1945; als Trümmerfrauen schaffen die drei Mägde Elsabe, Marie und Marthe Platz für das Treffen und richten aus CARE-Paketen das kärgliche Mahl des ersten Abends.

Der zweite Tag zeigt die Wohlstandsgesellschaft der Wirtschaftswunderzeit im Einheitsanzug, die sich an Bananen und Ananas delektiert – ein bildlicher Reflex auf die Zeit der Gruppe 47, der literarisch-publizistischen Vereinigung der Nachkriegszeit, der Günter Grass selbst angehörte und der er mit seiner Erzählung ein Denkmal im historischen Gewand setzen wollte. Rettung kann dem fast dreieinhalbstündigen Operntrumm aus diesen teils phantasievollen Bildern, teils arg abgenudelten Projektionen an Politikerporträts aber keine erwachsen, so wenig wie aus der beachtlichen Leistung der 16 Sängerinnen und Sänger.

Johannes Hirschler

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