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Da schlägt die Liebe zu

Nymans „Love counts“ in Karlsruhe uraufgeführt · Von Frieder Reininghaus

Seit drei Jahren erinnert das Staatstheater Karlsruhe in schöner Regelmäßigkeit daran, dass sich die „repetitive Musik“ als besonderer Strang vom übrigen Musikleben absondert. Die kleingliedrige Tonkunst, die vor allem von Figuren der Musik aus der Barock-Zeit ausgeht, eingängige Ton-Formeln neu montiert, rhythmisiert und parfümiert, hat sich ihren Lebensraum und ein Marktsegment erobert. Selbst Ohren, die vor drei Jahrzehnten allergisch gegen die systematisch entrollte Langeweile und das Euphorisierende dieser Art Betönung reagierten, haben sich nicht nur an diese neue Ausprägung von Tonalität gewöhnt, sondern auch die zunehmende Differenzierungen der rhythmisch vertrackten Kompositionen wahrzunehmen gelernt. Michael Nyman, Jahrgang 1944, ist – neben Steve Reich und Philip Glass – nicht nur der dritte namhafte Prophet dieser Glaubensrichtung, sondern als Musikologe auch der Namensschöpfer der Minimal music.

 
Beverly O’Regan Thiele (Avril Aigner ) und Ulrich Schneider (Patsy Blair). Foto: J. Krause-Burberg
 

Beverly O’Regan Thiele (Avril Aigner ) und Ulrich Schneider (Patsy Blair). Foto: J. Krause-Burberg

 

Nymans neuestes Produkt, scharf kalkuliert und wohl proportioniert, darf als Lehrstück neuen Typs genommen werden. Der Librettist Michael Hastings entwickelte die strenge Versuchsanordnung einer Zweierbeziehung, in der die Zahlen, die Zahlenwelt und die Welt des Zahlens durchdekliniert werden: Eine als Single lebende Mathematik-Dozentin lernt im Park der Großstadt einen deklassierten Mittelgewichtsboxer kennen, der in einem Schrebergarten Unterschlupf fand. Sie bringt ihm, der nicht bis 50 zählen kann, weil ihm der Kopf dumm geschlagen wurde, die elementarsten Grundlagen des Rechnens und des Geldverkehrs bei. Aber als sie, die entschieden Sopran singende Oberschichtfrau und der Bassbär vom unteren Ende der sozialen Skala, sich erotisch-sexuell ineinander verkeilen, will sie ihn nicht nur aus seinen elenden Lebensverhältnissen herausholen, sondern auch davon abhalten, weiterhin in einem Sportstudio als Prügelknabe zu dienen. Er wird jedoch, was naheliegend ist, „rückfällig“, da er nichts anderes kann als boxen und sein Selbstbewusstsein aus dieser „Arbeit“ bezieht. Daraufhin rechnet sie mit diesem Mann ab – auch stellvertretend, denn sie war von einem anderen um der Liebe willen geschlagen worden. Sie zerstört sein Handwerkszeug, schlitzt seine Boxhandschuhe auf, zerkratzt die einzige Trophäe, die ihm blieb – einen schäbigen Pokal. Der nächste Einsatz geht übel für ihn aus. Erst als er, im Rollstuhl sitzend, aus dem Krankenhaus entlassen wird, beginnt sie, über seine ihr bis dahin fremde und feindliche Lebensform nachzudenken und von etwas anderem als Zahlen zu singen – doch holt sie ihr Zahlenfetischismus bald wieder ein.

Die Installation eines Stationenweges, konzipiert von Peter Werner, stattet Robert Tannenbaums geradlinige Inszenierung der weiblich dominierten Beziehung anschaulich aus: Die zwei singenden Akteure – die Sopranistin Beverly O’Regan Thiele ist als verbissene Mathematikerin ebenso überzeugend wie Ulrich Schneider als freundlicher Underdog mit sonorem Bass – kommen auf einer Parkbank ins Gespräch; eine Gipsfigur ist als regungsloser Zaungast dabei. Eine stumme Beobachterin steht wartend am Geldautomaten, mit dem der Boxer zahlungstechnisch sozialisiert wird. Der Kellner an den Restaurant-Tischchen ist gleichfalls ein steinerner Gast; auch der Mann, der als Über-Ich am Kopfende des Bettes wartet, in dem sich die klassischen Schwierigkeiten moderner Männer und Frauen auftun. Dass und wie diese angesprochen werden, unterscheidet Hastings Libretto von betulichen Operntexten vergangener Tage: gründlich, modern, solide. Und die Fixierung auf die Zahlenwerte ist der besondere Kick – sie etabliert eine leitmotivische Komponente, fast so etwas wie Knochen-Struktur im Fleisch der alltäglichen Story (Nyman nahm mit dem Zahlenspiel möglicherweise Bezug auf Peter Greenaways „Drawning by Numbers“, zu dem er einst die Filmmusik schrieb).

Nymans Tonspur zu „Love counts“ weist viele rhythmische Finessen auf, die der Banalität und Schwatzhaftigkeit entgegenzuwirken trachten, bezieht Jazzelemente ein und nähert sich wohl kalkuliert deutlichen Choral-Anklängen. Ulrich Wagner steuert das empfindliche Tongeflecht aus, in dem ab und an silberner Cembaloklang funkelt: mit Verve, präzise, unerbittlich. Die neue Kammeroper greift ein brisantes Thema auf und illustriert dies in barocker Manier – unter demonstrativer Auslassung der entwickelteren Mittel, die dem Musiktheater im 19. und 20. Jahrhundert erwuchsen. Darin liegt die polemische Schlagkraft der schönen Melodien und der aneinandergereihten Nummern, die wohl nicht zufällig immer wieder an „Pachelbels Kanon“ erinnern, die Pop-Version einer alten Passacaglia.

Frieder Reininghaus

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