Auf dem Sprechtheater könnte der recht holzschnittartige Text heute penetrant oder sogar hochnotpeinlich wirken. Durch Johannes Kalitzkes behutsame und plausible Reduktion und die Einbettung in eine dominante Musik wirkt der Schwarz-Weiß-Schematismus und die künstlich reduzierte Sprache in hohem Maß neutralisiert: Der raschen Szenenfolge wurde eine streng konstruierte und doch theatersinnliche, vielschichtige und aufwendige Musik zugeschrieben, die Stefan Klingele mit den Bremer Philharmonikern zum Funkeln brachte. Die Partitur bedeutete, wie der Dirigent erklärte, eine besondere Herausforderung: So, sagte Klingele, sei er noch nie gefordert gewesen. Und immerhin waren mehr als hundert Proben notwendig, um die erforderliche Präzision zu erzielen. Dass der aus Köln stammende, seit längerer Zeit in Wien lebende Dirigent und Komponist Johannes Kalitzke Instinkt für Libretti mit Brisanz besitzt, stellte er bereits mit seinem Opern-Erstling unter Beweis: Der „Bericht vom Tod des Musikers Jack Tiergarten“, 1992 anlässlich der Wiesbadener Maifestspiele uraufgeführt, stützte sich auf einen Text von Boris Vian. Die Kammeroper befasste sich mit dem Drogentod eines Jazzers und wagte einen Zugriff der höher eingestuften Musik auf tiefere Zonen. Auch das zweite Bühnenwerk Kalitzkes bewies 1999 Gespür für ein Thema auf der Höhe der Zeit. Die größer dimensionierte Oper „Molière oder Die Henker der Komödianten“ nach Michail Bulgakow stellte sich einer der großen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts gerade für Künstler, die sich „links“ definieren: Es ging um die stalinistische Unterdrückung – und wiederum war es auch die Problematik der Künstler, die da mit einer vielgestaltigen und scharf konturierten Musik ausgestattet worden war. Zum Dritten stand mit „Inferno“ nun ein Stück Bewältigung der westdeutschen Nachkriegszeit auf der Tagesordnung, Kritik an der nur oberflächlichen Entnazifizierung der Nachkriegsgesellschaft, in der sich weder die Einzelnen noch das kollektive Bewusstsein an die kurz zuvor verübten Verbrechen erinnern wollen. Und zum dritten Mal befasst sich Kalitzke exemplarisch mit einem Künstler, der alles andere als ein positiver Held ist. Auch dieses Künstlermusiktheater ist ganz überwiegend wieder eine Männeroper (ein höherer Anteil an weiblichen Stimmen und Aromen hätte ihr womöglich gut getan). Insgesamt wirkt die „Inferno-Musik“ meisterhaft: wohldosierter und weniger schrill als die zu „Tiergarten“ und „Molière“. Das Moment der Konstruktion tritt deutlich hervor und die elektronischen Einblendungen erweisen sich als sehr unauffällig aber effektvoll. Mit den verschiedenen literarischen Schichten korrespondiert die kompositorische Bemühung traditioneller musikalischer Formen – sie erscheinen in travestierter Gestalt (ähnlich wie in Alban Bergs „Wozzeck“). Da findet sich, durchaus mit belcantistischen Anflügen, eine „Aria alla Scala“, aber auch ein „Boogie“, eine „Marcha funebre“ oder eine „Valse“ mit beständigem Taktwechsel. Manch ein Trümmer historischer Musik findet sich in neu montiertem Kontext: Der Tonsatz weist diskrete Anklänge an die Musik Palestrinas auf, die als Chiffre des Mittelalterlichen fungiert; die einkomponierten Satie-Zitate verschwinden vollständig in der Lineatur der Partitur. Die große Melancholie des Dante in der Stadt, der die Utopie abhanden kam, klingt schließlich und ziemlich vorsätzlich nach Brahms. Der Regisseur David Mouchtar-Samorai präsentiert das Theater auf dem Theater ohne drastische Exaltiertheit. Dünne gelbe Ringe deuten so etwas wie einen „Zeittunnel“ hin zur Gegenwart an. Die Welt des gespielten Optimismus ist die Hölle: Ihr, die ihr eingeht, „lasst alle Zweifel fahren“. Vergil nährt in Gestalt von Benjamin Bruns mit scharfem Tenor die Zweifel an modernen Medien-Segnungen. Loren Lang verkörpert den namenlosen Chef, der als Pluto und Minotaurus, auch als Unterweltbinnenschiffer Charon, als Odysseus und in weiteren Masken auftritt; der Bariton Armin Kolarczyk verleiht Dante die nötige Sensibilität. Frieder Reininghaus |
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