Die Assoziation zu Krick Krack und zu defekten Köpfen stellt sich ein, wenn im Landestheater Eisenach Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“ gegeben wird. Erst distanziert sich der Intendant vor der Premiere vorsichtig von dieser Aufführung, indem er einerseits erklärt, er und sein Generalmusikdirektor stünden selbstverständlich hinter der Neuinszenierung, andererseits könne die Leitung des Hauses natürlich niemals wissen, welche Überraschungen eine Gastregisseurin (die Konwitschny-Schülerin Vera Nemirova) für sie vorbereitet hätte – worauf prompt keine Schlange keinen Prinzen Tamino verfolgt. Stattdessen jagt ihn eine Schlange von arbeitslosen Sängerinnen
und Sängern, die gleich ihm zu einer Art Casting in einem Arbeitsamt
bestellt sind und ihm die Bewerbernummer 1 neiden. Aus Frust über
viele vergebliche Bewerbungen und Vorsingen (auf dem Dialogniveau
uralter Theaterwitze) und aus Langeweile beginnt das muntere Völkchen
ein Improvisationsspiel, das in etwa an Mozart, gelegentlich sogar
dann an Schikaneder erinnert, wenn Handlung und Text nicht völlig
verballhornt werden. Das Landestheater zu Eisenack hat die Chance, in die Theatergeschichte einzugehen als die erste kommunale Opernbühne, die Choropern in ihren Spielplan aufnimmt, ohne über einen Opernchor zu verfügen. Sie hatte zwar mal einen, sogar einen fest engagierten eigenen, doch den hat sie zum Ende der Spielzeit 2003/04 wegrationalisiert. Ob vielleicht der für die neue „Zauberflöte“ gewählte „Spielort Arbeitsamt“ (verhartzt: Agentur für Arbeitsvermittlung) an die einstigen Mitglieder des Eisenacher Chores erinnern sollte? Bei der gerichtlichen Überprüfung der Kündigung des kompletten Chores hatte die Theaterleitung in Erster Instanz angegeben, notwendige Chorleistungen würden künftig vom Chor aus Meiningen erbracht (damals stand tatsächlich eine Kooperation oder gar Fusion mit Meiningen zur Debatte), in Zweiter Instanz (nachdem die Kooperationspläne geborsten waren) behauptete sie kühn, das Theater benötige keinen Chor mehr. Das Gericht fiel auf diese Begründung herein: Keinem Betrieb sei zuzumuten, ein Ensemble vorzuhalten, das überhaupt nicht gebraucht werde. So begann der ebenso komische wie angestrengte Kampf des Intendanten (Michael W. Schlicht) und des Geschäftsführers (Hans-Jürgen Firnkorn) um die Erbringung des Beweises, dass ein Chor auch dann nicht erforderlich sei, wenn irgendein Eisenach-unkundiger Komponist ihn vorgeschrieben habe. Franz Lehár und sein „Land des Lächelns“ waren das erste Opfer: Eine Chor-kastrierte Version wurde erstellt. Auch die Verteilung von Chorpartien auf Soli erwies, wie überflüssig ein Chor sein kann. Immerhin hat die Theaterleitung Humor: In der neuen Saison steht „Der Sängerkrieg der Heidehasen“ auf dem Spielplan. Aber was macht man, wenn „Oh, Isis und Osiris“ chorisch gesungen werden soll? Dem Vernehmen nach hat Wolfgang Wappler zunächst versucht, einen Laienchor zu rekrutieren, was zum einen die gerichtsnotorische Behauptung, es bedürfe keines Chores mehr, Lügen gestraft hätte, was zum anderen – wiederum dem Vernehmen nach – gar abscheulich geklungen haben soll. Der nun teuer gewordene gute Rat erwies sich als billig und allzu teuer zugleich: Eine Tonkonserve aus Meiningen und ein Generalmusikdirektor, der Lautsprecher dirigiert. Das gerann zu einer grotesken Mischung aus Mauricio Kagel und Curt Goetz. Da half auch der sonore Bass des Sarastro (Bernhard Leube), eines offenbar arbeitslosen Mechanikers, nicht aus dem Schlamassel, zumal der statt „weisheitsvoller Reden“ Polit-Gemeinplätze von sich zu geben hatte. Und warum Papageno bei der Königin der Nacht putzen muss, weshalb Pamina (Sabrina Martin mit leuchtendem Sopran) einen Hang zu Krankenhäusern hat, war leider nicht im Programm nachzulesen. Stimmig der Einfall, die Königin der Nacht (Alexandra Lubchansky mit strahlender Höhe, aber verwackelten Koloraturen) als Blinde auftreten zu lassen, die keinen Adressaten für ihre Hasstiraden findet. Die Landeskapelle begleitete, als habe sie mit dem Bühnengeschehen nichts zu tun. Da versucht ein von inkompetenter Stadt- und Landeskulturpolitik arg gebeuteltes, mit unzureichenden Mitteln ausgestattetes Theater seine Armut hochstaplerisch mit deformierendem Regie-Klamauk zu überspielen. Geziemt es sich da eigentlich, sich aufzuregen? Die Antwort kam aus dem Publikum. Eine Premierenbesucherin sagte zu ihrer Begleiterin: „Gott sei Dank, dass ich meinen Sohn nicht mitgenommen habe. Ich hätte ihm nicht einmal erklären können, weshalb das Stück „Die Zauberflöte“ heißt.“ Nikolaus Kuhn
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