Corinne Holtz bringt das Theater der Berghaus am geeigneten Fall präzis auf den Punkt – chronologische Inszenierungsbeschreibung aber ist ihr Anliegen nicht. Vielmehr nähert sich die Schweizer Radiojournalistin dem Phänomen der Ruth Berghaus als realer Person. Was deren Kindheit betrifft, so sind die Spuren höchst rar. Autorin Holtz recherchiert, dass der zweite Gatte der Mutter Maria Totzek, Richard Curt Schöbel, ein Haus in einem Dresdener Vorort besaß und seit 1933 NSDAP-Mitglied war, und dass Bruder Horst Jagdflieger wurde. Ruth hingegen, Tochter aus erster Ehe, fand beim BDM den Einstieg zu Tanz und Choreografie. Holtz unterstellt, die Kindheit im Nationalsozialismus sei eine erste, untergründig weiter wirkende Prägung für den weiteren Weg und die Arbeitsweise der späteren Regisseurin. Solche Thesen bleiben Vermutung, denn geeignete Zeitzeugen schweigen oder sind – wie die Porträtierte selbst – inzwischen verstorben. Ohnehin ist, was folgt und sich zunehmend aufregend liest, sehr speziellen Überlieferungsweisen geschuldet. Manche Arbeitspartner der Berghaus – Gerd Rienäcker, Peter Konwitschny, Klaus Zehelein etwa – waren zu Gesprächen bereit, andere waren es nicht. Der persönliche Nachlass der Berghaus blieb der Autorin, die auf Unabhängigkeit der Recherche bestand, verschlossen. Was ihr wichtig erschien, (re)konstruierte Corinne Holtz aus politischen und Theater-Archiven sowie aus der Lektüre diverser Stasi-Akten bei der BStU. Ruth Berghaus’ Entwicklung ist demzufolge von Anfang an auch in politischem Kontext zu sehen. Ihre Arbeit am Berliner Ensemble, als dessen Intendantin sie später in zahlreichen Fallstricken scheiterte und scheitern sollte, begann sie als Parteisekretärin, um Helene Weigel politisch zu sichern. Das Verhältnis zur SED, der Berghaus erst 1962 beitrat, war ambivalent. Die Partei, so Holtz, war widerspruchsvoller Rückhalt und lähmend-produktive Widerstandsfläche, von der sich die Künstlerin bis zum 89er- Herbst nicht abzunabeln verstand. Eindeutiger war ihr Verhältnis zur Staatssicherheit. Zeitweise 18 Spitzel agierten in ihrem Umfeld – einer davon war ihre langjährige Dramaturgin, ein anderer der Intendant der Berliner Staatsoper Unter den Linden, der Berghaus 1990 (!) noch persönlich entließ. All dies ist detailreich befragt und beschrieben – die Lektüre eröffnet Einblicke in den ostdeutschen (später auch den westdeutschen und den schweizer) Theaterbetrieb, die gewiss nicht nur Zustimmung finden. Kein Mythos DDR vermittelt sich hier, Autorin Holtz zeichnet vielmehr ein Leben, das konkrete Theater- und Zeitgeschichte ertrug und mitschrieb. Ohne Fürsprecher wie zum Beispiel Paul Dessau, später Klaus Zehelein und Alexander Pereira wäre ihre Karriere als erste ernst zu nehmende Frau im Männerbetrieb der Theaterregie kaum möglich gewesen. Denn auch die Opernwelt in Zürich, Frankfurt/Main, Stuttgart und Hamburg leistete Widerstand gegen die Vorkämpferin einer Ästhetik, die heute unter dem Begriff des „Musiktheaters“ firmiert und dessen Repertoire an Formmitteln weitgehend Standard ist. Den Ruhm des letzten Arbeitsjahrzehnts genoss Ruth Berghaus, die 1996 verstarb, nur partiell. Sie litt darunter, als Provokateurin zu gelten und nicht in Bayreuth inszenieren zu können. Für ihren Ansatz, Richard Wagner als Rebell und eine Oper wie „Rheingold“ als aus französischer Perspektive entstanden zu sehen, fand sie nach neuerlichen Intrigen in Ostberlin Mitstreiter in Frankfurt/Main. „Parsifal“ und Wagners Ring – hier gemeinsam mit Klaus Zehelein und Michael Gielen realisiert – bleiben von ihr als unauslöschliche Schlüsselmomente deutschen Theaters. Frank Kämpfer |
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