Eine eigenartige Atmosphäre von banger Erwartung kennzeichnet nicht nur die Eingangsszene von Bedrich Smetanas 1865 bis 1870 entstandener Oper „Dalibor“. Durch das ganze Werk zieht sich eine frappierende Mischung von manifester Trauer und aufkommender Hoffnung, von lastender Repression und aufkeimender Rebellion. Sensibel interpretiert, so wie hier durch das Saarländische Staatsorchester unter seinem ersten Kapellmeister Michele Carulli, ist „Dalibor“ eine meisterliche Partitur. Rapide Stimmungswechsel, kompositorisch an Franz Liszt geschult, jagen den Hörer durch ein Wechselbad der Gefühle, und bis zum tragischen Ausgang lässt die Musik das Ende offen. Torsten Fischers im Vorjahr für das Wiener Festival KlangBogen entwickelte und von Oliver Klöter am Saarländischen Staatstheater einstudierte Inszenierung leistet Beachtliches: „Dalibor“ ist hier eine allgemein interessierende Geschichte von Freiheit und Unterdrückung – ähnlich wie Beethovens „Fidelio“. Nur dass der stringente Idealismus von Beethovens „Fidelio“ dem politischen Zwielicht gewichen ist. Auch hier folgt zwar eine tapfere Frau (Milada) dem geliebten Mann (Dalibor) als Helferin des Kerkermeisters in Männerkleidern ins Verließ, auch hier erscheint die Rettung nahe. Anders als bei Beethoven steht im Hintergrund sogar eine Untergrundbewegung zur Unterstützung bereit. Doch Dalibor ist nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Nach der Ermordung seines Freundes Zdenek hat er selbst einen blutigen Rachefeldzug angetreten, der ihm nicht zu Unrecht die Kerkerhaft einbringt. Doch während der wohlwollende, aber schwache König Vladislav auf eine spätere Begnadigung setzt, betreiben Dalibors Gegner, mit Budivoj, dem Chef der königlichen Wache, an der Spitze, die baldige Hinrichtung. Dalibors und Miladas Fluchtplan fliegt auf, und während die Aufständischen verzweifelt losschlagen, sterben beide im Kampf. Stärker noch als bei Beethoven wird die Musik zum Katalysator des Freiheitskampfes: Die Musik des toten Geigers Zdenek begleitet Dalibors Kampf und Haft, die vom alten Kerkermeister Beneš spendierte Geige bringt neuen Lebensmut, und das Springen einer Saite erscheint als unheilvolles Vorzeichen. Ob Erlösung auf Erden möglich ist oder nur in einer besseren, jenseitigen Welt, bleibt offen. Wie Zdenek dem Grab entsteigt und die tödlich verwundete Milada und den im Kampf fallenden Dalibor aus dem Leben hinaus ins Licht hinter der Rampe geleitet, gibt ein bewegendes Bild. Was aus den verzweifelten Straßenkämpfern wird, bleibt indessen offen. – Dass Dalibors ermordeter Freund Zdenek vom Regisseur als Ziehsohn interpretiert wird, erscheint wenig zwingend, wird aber auch szenisch nicht evident. Eindrucksvoll wirkt die vorübergehende Aufhellung zu Beginn des zweiten Aktes, als sich das Volk vor der Entscheidung zum Kampf noch mit einer Schneeballschlacht ablenkt und zu Liebespaaren gruppiert. Bühnenbildner Herbert Schäfer hat ein gleichermaßen funktionales, aussagekräftiges und atmosphärisches Bühnenbild geschaffen, in dem die Farben Schwarz und Weiß dominieren. Licht- und Schatteneffekte werden sparsam, aber wirkungsvoll eingesetzt. Dreht man die breite Auffahrtsrampe des Beginns weg, erscheint eine dunkle Metallkonstruktion aus Wendeltreppe und Aufstiegsrampe – die dunkle, enge Welt des Kerkers, aber auch die der politischen Hintertreppe im übertragenen Sinn. Dazwischen gibt es nichts. Die Menschen auf der Bühne sind unbehaust. Sogar das Militärtribunal gegen Dalibor wird eilig im Freien auf der Rampe abgehalten. (Und dass die uniformierten Schergen zugleich als Richter fungieren, zeigt, dass es mit rechtsstaatlichen Verhältnissen nicht weit her ist.) Als immerwährende Erinnerung bleibt am Bühnenrand Zdeneks Grab zu sehen. Michele Carullis feinfühliges Dirigat korrespondiert aufs Beste mit der überzeugenden Personenführung. Der sprechende Duktus der Musik, ihr fortwährendes Pulsieren und ihr zeitweises lyrisches Innehalten, tragen die Inszenierung bis zum Schluss. Der von Andrew Ollivant einstudierte Opernchor des Staatstheaters singt und agiert souverän. Die Hauptfiguren erscheinen allesamt gut besetzt. Rudolf Schaschnig gibt den Dalibor als dünnhäutigen Kraftmenschen und findet nach etwas heiklem Anfang auch stimmlich zu imponierender Größe. Jayne Casselman gibt eine leidenschaftliche Milada, Tomasz Konieczny einen von Skrupeln geplagten König, Volker Philippi einen finsteren Budivoj. Patrick Simper verleiht dem Kerkermeister Beneš freundliche Wärme, Oxana Arkaeva der Jitka jugendliche Emphase. Die Textverständlichkeit der deutschen Übersetzung von Kurt Honolka ist passabel; einige zusammenfassende Übertitel erleichtern das Verständnis der Zusammenhänge. Andreas Hauff
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