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Berichte

Keine trockene Antiken-Kost

„Die Trojaner“ in Darmstadt · Von Thomas Wolff

Eine starke Teamleistung bieten Tänzer, Chorsänger, Opernensemble und Orches-ter bei der neuen Darmstädter Version von Berlioz‘ Riesenwerk „Die Trojaner”. Unter der Regie von John Dew wird die Tragödie um Dido und Äneas zur farbenprächtigen Unterhaltung vor großen Kulissen. Sänger wie Tänzer zeichnen sich mit ausdrucksstarken Beiträgen aus. Wer sich bei der Premiere mit etwas bangem Gefühl in den Theatersitz hatte plumpsen lassen – mehr als vier Stunden Musiktragödie am Stück, ob das nicht etwas lang wird? –, sah sich bald überrascht. Hector Berlioz‘ „Die Trojaner” am Staatstheater Darmstadt: Das ist ein erstaunlich kurzweiliges Vergnügen.

Erica Brookhyser als Dido, Aki Hashimoto als Ascagne, Thomas Mehnert als Panthée, Radoslav Damianov als Helenus und Mitglieder des Opernchors. Foto: Barbara Aumüller

Erica Brookhyser als Dido, Aki Hashimoto als Ascagne, Thomas Mehnert als Panthée, Radoslav Damianov als Helenus und Mitglieder des Opernchors. Foto: Barbara Aumüller

Das parallel zum „Ring des Nibelungen” entstandene Riesenwerk des Franzosen bietet im Wagnerjahr eine interessante Alternative zum bisweilen länglichen Klanggewoge des Germanen: Abwechslungs- und erfindungsreich erzählt diese Musik von Liebe und Verlust, in 52 eng miteinander verknüpften Nummern zwischen romantischer Naturlyrik, Belcanto-Schmelz und Vorahnungen moderner Klangkunst. Zwischen gewaltigen Chornummern und melodiösen Soli und Duetten geht es unterhaltsam hin und her. Auch die hauseigene Tanzcompagnie von Mei Hong Lin wirbelt in dieser Koproduktion der Sparten ordentlich mit – was unter Intendant John Dew ja schon eine kleine Tradition geworden ist. Das Ganze wird vor epischen Kulissen gespielt und hinreißend gesungen – ein Operngenuss, bei dem man keine Szene, keinen Takt missen möchte.

Wie die Darmstädter das Riesenwerk anpacken, hätte dem französischen Komponisten, der sein opus magnum ja zu Lebzeiten nie komplett aufgeführt sah, wohl gefallen. In großartigen Tableaus legt er seine Erzählung an, und die sind hier prachtvoll ausgemalt. Große Gesten bestimmen die Bühnenbilder von Heinz Balthes. Zwischen Riesentrümmern irren die kriegsmüden Trojaner zunächst in ihrer Stadt umher, malerisch wabernder Rauch und graues Licht künden vom Untergang. Vor hohen Marmorsäulen und exotisch bunter Kulisse tummeln sich die Letzten dieses Völkchens später im Palast von Karthago, umschwärmt und umtanzt. Bis am Schluss alles wieder in Düsternis versinkt, der Kreis sich schließt, die starken Frauen – Seherin Kassandra und Königin Dido – in den Tod gegangen sind, unverstanden, unerfüllt.

Solche Tableaus brauchen Personal. Das liefert der auf 90 Stimmen aufgestockte Chor des Hauses. Als gutgläubige Trojaner, später als Hofgesellschaft in Karthago leiht die starke Truppe dem Geschehen monumentales Gepränge und entsprechende Gesänge. Chorleiter Markus Baisch hat die rhythmisch raffinierten Arrangements präzise einstudiert. Die überschäumende Lebensfreude der Karthager, das Treue-Pathos der Trojaner: All das bringen seine Sänger überzeugend und stimmgewaltig herüber. Etwas zu gewaltig an wenigen Stellen – da hat selbst das große Orchester Mühe, mit diesem Volumen mitzuhalten. Dass Baisch und dem Chor die lautesten „Bravos” galten, ist der Lohn für diesen gelungenen Kraftakt.

Wobei sich alle Beteiligten gegenseitig auf die Schultern klopfen dürfen, hier eine gelungene Teamleistung auf die Bühne gebracht zu haben. Werkstätten wie Kos-tümbildnerei (Entwürfe: José-Manuel Vasquez) leisten ebenso Erstaunliches wie das Orchester. Martin Lukas Meister hält am Pult die Zügel straff in der Hand, stimmt Balance und Dynamik zwischen dem Chor, seinen Instrumentalisten, den Blechbläsern des Fernorchesters und den Solisten fast immer genau ab – mit oben genannten Ausnahmen. Zum Erlebnis macht er das große instrumentale Zwischenspiel: Kraftvoll wie einfühlsam spielt das Orchester hier Berlioz‘ Farben- und Motivreichtum aus, stellt die Einzelstimmen schön heraus – auf das fast jazzig anmutende Hornmotiv wäre ein dreiviertel Jahrhundert später George Gershwin stolz gewesen.

Alle Solisten tragen durch die Bank zum starken Gesamteindruck bei. Brillant einmal mehr Erica Brookhyser, die Sanftmut wie Rachsucht der Dido gesanglich und mimisch großartig interpretiert. Katrin Gers-tenberger als Kassandra und Ninon Dann als Didos Schwester stehen ihr an Klasse nicht nach. Ausdrucksstark auch die Männerriege: Lasse Penttinens unnachahmlich helles, frisches tenorales Timbre (in einer Doppelrolle als Dichter und Seemann), Oleksandr Prytolyuk mit metallisch federndem Bariton (Kassandras Verlobter Choroebus), schließlich der energische, zugleich schmiegsame Tenor des Gastsolisten Hugh Kash Smith (Äneas): Alle schaukeln sich an diesem Abend gegenseitig zu starken Leistungen hoch.

Zur guten Unterhaltung tragen nicht zuletzt die Tänzer der hauseigenen Compagnie bei. Ballettchefin Mei Hong Lin lässt sie am Hof von Karthago lustvoll in Paarformation wirbeln, dann schließen sie sich, an der Rampe aufgereiht, zu ornamentaler Gesamtwirkung zusammen – viel Szenenapplaus gibt es dafür. Dass die Tänzer Bewegung ins Spiel bringen, ist auch deshalb eine gute Idee, weil es sonst leicht statisch wird. Oft arrangiert Regisseur John Dew die Tableaus als relativ starre Gruppenbilder. Auch die Solisten tragen ihre Arien mal an der Rampe stehend, mal auf Kissen hingelagert vor – da wird es dann schon fast konzertant. Gegen Ende muss Brookhyser ihre Dido längere Zeit schlicht und kulissenlos vor dem Vorhang leiden lassen. Dahinter wird gerade das finale Tableau aufgebaut. Dekorativ ist diese Inszenierung; eine Deutung lässt sie nicht erkennen. Was den Unterhaltungswert kaum schmälert. Wer die Antiken-Stoffe für trockene Kost hält, wird hier auf den Geschmack kommen.

Thomas Wolff

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