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Editorial

Eine Revolution hat die sozialen Netzwerke ergriffen, die „Revolution der Künstler“, wie sie von einer ihrer Protagonistinnen, der Mezzosopranistin Elisabeth Kulman, getauft wurde. Was steckt dahinter? Der Hagener Theologe und Jugend-Musical-Manager Johannes Maria Schatz hatte seinem Unmut über ein skandalöses Arbeitsvertragsangebot eines Musical-Theaters an seine Lebensgefährtin in einem facebook-Blog Luft gemacht. Darauf folgte innerhalb kürzester Zeit ein – mittlerweile auch von den Medien entdeckter – Sturm der Entrüstung in Form hunderter mehr oder minder qualifizierter Erfahrungsberichte und Meinungsäußerungen zur Lage von Künstlern.

Dieser Sturm ist im Prinzip gut und richtig. Aber er lässt allzu vieles vermissen: So werden Wahrheiten, Halbwahrheiten und Unwahrheiten wild durcheinandergeworfen und schaffen ein grobes Zerrbild der überaus komplexen und vielschichtigen Situation. Es fehlt jegliche geordnete Analyse der bestehenden Verhältnisse und erst recht ein Ansatz zu Strategien, wie man sie verändern könnte. Stattdessen werden die bestehenden Künstlergewerkschaften mit spürbarer Häme scharf angegriffen; sie seien überaltert, ergingen sich stets nur in Kontemplation, schwächten gar durch ihre Tarifpolitik die Ensembles in den Stadttheatern etc.

  Tobias Könemann  

Tobias Könemann

 

Sicher, auch wir sind weder unfehlbar noch in allem so gut aufgestellt, wie es zu wünschen wäre, aber es gibt doch einiges hervorzuheben: Es sind die Gewerkschaften, die von Verfassungs wegen berufen und mit wichtigen rechtlichen Instrumenten ausgestattet sind, sich der sozialen Belange von Beschäftigten anzunehmen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie unabhängig sein – auch finanziell. Sie leben von der Solidarität und den materiellen und ideellen Beiträgen ihrer Mitglieder, und sie sind daher immer nur so stark, wie ihre Mitglieder sie machen. Offenbar haben das die neuen Wilden der Kunstszene, die sich auf facebook ereifern, noch nicht verstanden. Es ist zu vermuten, dass nur der kleinste Teil von ihnen sich je ernsthaft mit dem Thema „Gewerkschaft“ befasst hat – sei es aus Desinteresse, Selbstüberschätzung, Narzissmus, Bequemlichkeit, Dummheit, Angst vor Nichtverlängerung, aufgrund überkommener – auch im blog hier und da durchscheinender – Ressentiments oder einfach nur aus idealistischer Arbeitswut, die gerade engagierte Künstler allzu oft ihre eigenen Interessen vergessen lässt. Es kommt aber doch nicht von ungefähr, dass die am besten gewerkschaftlich organisierten Gruppen, nämlich die Orchester und die Chöre der öffentlichen Kulturträger, die mit Abstand angemessensten Arbeitsbedingungen haben. Gerade die Schwächsten und Bedrohtesten hingegen, die gewerkschaftliche Unterstützung am nötigsten hätten, die Solisten, machen allzu oft einen großen Bogen um Gewerkschaften.

Viele der Verhaltensweisen, die in dem Blog angeprangert werden, sind einfach rechtswidrig, und es gäbe schon jetzt – nicht zuletzt tarifvertraglich entwickelte – Instrumente dagegen vorzugehen. Aber dies geschieht allzu oft nicht aus Angst, dann nie wieder ein Engagement zu erhalten. Deshalb muss die Solidarität flächendeckend sein; ein Veranstalter/Arbeitgeber, der hartnäckig bestehende Rechte missachtet, muss spüren, dass er keine Künstler mehr bekommt. Und genau hierfür bedarf es einer starken und kompetenten Interessenvertretung, die den Druck vom Einzelnen nimmt, ohne seine berechtigten Interessen im Sande verlaufen zu lassen.

Dabei kann es nicht der richtige Weg sein, neben den vielen bereits bestehenden, teilweise leider unprofessionell geführten und zerstrittenen Organisationen in der Kunst- und Medienlandschaft, wie offenbar geplant, noch einen neuen Interessenverband unter dem Namen „art but fair“ ins Leben zu rufen. Jede weitere Zersplitterung schwächt nur die Position der Künstler. Denen, die sich im blog empören, kann man daher nur zurufen: Solidarisiert Euch, kommt in die Künstlergewerkschaften, gebt ihnen neue Impulse, nutzt aber auch ihre Erfahrung, ihre Kompetenz, ihren Idealismus, ihre Strukturen und ihre rechtlichen Möglichkeiten! Und habt den langen Atem, den es gerade heute braucht, um etwas zu verändern!

Und zu guter Letzt darf eine Kernfrage nicht übersehen werden: Was ist die Gesellschaft bereit für Kunst zu zahlen? Und weil diese Frage so überaus sensibel ist, muss bei allen Verbesserungsbestrebungen zwar mit Nachdruck, aber auch mit Fingerspitzengefühl und Augenmaß vorgegangen werden. Ansonsten drohen statt wesentlicher Verbesserungen nur allzu leicht Steilvorlagen für kulturellen Kahlschlag, wie er schon an vielen Standorten schmerzlich zu erfahren war.

Tobias Könemann

 

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