Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Berichte

Inszenierung ohne historische Distanz

Benjamin Brittens „Gloriana“ in Hamburg · Von Marco Frei

Eigentlich hätte Richard Jones für seine Inszenierung von Benjamin Brittens „Gloriana“ nur das Libretto von William Plomer nach Lytton Strachey genauer betrachten müssen. Dort nämlich findet sich ein kleiner Satz, zeitlos gültig und durchaus witzig. „Aussitzen, Schweigen und Verhindern“: Hierin liege die wahre Kunst des Regierens, rät Sir Robert Cecil der Monarchin Elisabeth I. Das hätte der Ausgangspunkt einer zeitgemäßen, aktuellen Inszenierung werden können – Pustekuchen! Stattdessen war in dieser Neuproduktion, die unter Simone Young an der Hamburger Staatsoper Premiere hatte und für die mit Covent Garden in London kooperiert wurde, der Schnarchfaktor ziemlich ausgeprägt.

Robert Murray als Earl of Essex, Clive Bayley als Sir Walter Raleigh, Amanda Roocroft als Elisabeth I.,

Robert Murray als Earl of Essex, Clive Bayley als Sir Walter Raleigh, Amanda Roocroft als Elisabeth I.,
Rebecca Jo Loeb als Countess of Essex, Hellen Kwon als Lady Rich, Chor der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Natürlich lag das nicht allein an Jones’ matter Regie: Die Oper selber zählt nicht gerade zu den stärksten des Komponisten. Immerhin lässt sich mit dem Werk 2013 der 100. Geburtstag Benjamin Brittens und das 60-jährige Krönungsjubiläum von Queen Elisabeth II. begehen. Anlässlich ihrer Thronbesteigung war das Werk 1953 entstanden, eine Art englische Nationaloper sollte herauskommen. Dafür hatte Britten die Queen mit ihrer Vorgängerin Elisabeth I. konfrontiert, „Gloriana“ wurde sie genannt; sie herrschte, als Shakespeare wirkte. Besonders schmeichelhaft war dieser Vergleich nicht, denn: Die Oper rückt die alternde Elisabeth (Amanda Roocroft) ins Zentrum, die sich zu Robert Devereux (Robert Murray) hingezogen fühlt.

Weil der Earl of Essex sie unschön verrät, trennt sie sich auf noch unschönere Weise von ihm – am Ende rollt sein Kopf. Mit Renaissance-Allusionen, Maskenspielen und Hoftänzen schlägt die Partitur eine his-torisierende Brücke zur damaligen Zeit, was Richard Jones aufgriff – im doppelten Sinn. Ein „Pageant“, ein Laienschauspiel im Stil der 1950er-Jahre wurde auf die Bühne gehievt. Dieses Laienschauspiel nahm wiederum mit historisierender Ausstattung auf das Hofleben zur Zeit Elisabeths I. Bezug – ein Theater im Theater, samt Nachbau der Krönungskutsche der Queen von 1953. Dabei beließ es Jones, und selbst die ausgeprägten musikalischen Szenen mit Hoftänzen wurden nicht genutzt.

Artig wurde dort gehoppelt, obwohl gerade in diesen ausgedehnten musikalischen Szenen eine Distanz hätte wirken können – ironisch oder nicht. Die Kontinuitäten der britischen Geschichte bis ins Heute aufzeigen, vielleicht sogar Missstände entlarven: Das hätte dieser Nationaloper gut getan, sie womöglich gar von innen heraus aufgebrochen; Anlässe hierfür gäbe es jedenfalls zuhauf. Man denke nur an den wütenden Mob frustrierter Jugendlicher, der – ob steigender Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und sozialem Ungleichgewicht – 2011 randalierend durch London, Manchester oder Liverpool zog. Dass solche Themen heute im Rahmen der Inszenierung einer „Nationaloper“ erst gar nicht in Erwägung gezogen werden, ist staunenswert und ärgerlich.

Einmal mehr braucht man sich nicht darüber zu wundern, dass jüngeres Publikum den Opernbühnen fernbleibt, wenn selbst die Inszenierung einer solchen „Nationaloper“ rein gar nichts mit prekären Lebenssituationen zu tun haben möchte und sozial völlig irrelevant bleibt. Ob nun ironisch gebrochen oder nicht: Bestenfalls lässt sich mit der Nostalgie der 1950er-Jahre, die diese Inszenierung atmet, nach einer „guten alten Zeit“ sehnen. Ungeheure Chancen wurden vergeben, diese Nationaloper neu und aufrüttelnd zu befragen – und dies angesichts einer Krise in Europa, die es in diesem Ausmaß seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hat. Eine ältere Besucherin der B-Premiere brachte es auf den Punkt: „Was soll denn noch passieren, damit die Opernbühne aus ihrem dekorativen Bilderschlaf erwacht?“

Damit war alles gesagt. Ein Theater nämlich, das sich einer konzisen, zwingenden Interpretation strikt verweigert, keine Position bezieht, in der Unterhaltungssphäre dümpelt oder sich in verkopften Konzepten verheddert, schafft sich selber ab. Eine solche harm- und zahnlose Inszenierung ist schlicht überflüssig. Und so blieb es bei einem Laienschauspiel aus der englischen Provinz im Jahr 1953, wobei auch die Hamburger Besetzung recht provinziell wirkte. Von einem hellen, klaren, geschmeidigen Britten-Tenor war Murray weit entfernt, und auch Roocrofts Stimmgewalt hatte nicht viel mit jener Brittenschen romanophilen Eleganz gemein. Schön einige Nebenrollen, und auch Chor und Orchester präsentierten sich von ihrer guten Seite – das jedoch konnte das große Gähnen nicht verhindern.

Marco Frei

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner