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Ausgabe 2000/05

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Auf der Suche nach Heimat

„Levins Mühle“ in Leipzig · Von Tatjana Böhme

Ein Land, in dem sie kaum geduldet sind, sich nicht verwirklichen können, wollen sie verlassen, der Künstler, der die Wahrheit singen wollte, der Jude, der hier arbeiten wollte und seine Liebste, die Zigeunerin, die hier mit ihm leben wollte – und so ziehen sie in die Weite, auf der Suche nach Heimat.

   

T.E. Lie (Levin), O. Sala (Marie). Foto: Birkigt

 

Dieses Bild steht fast symbolisch am Ende einer Inszenierung, die die letzte Spielzeit einer wirklichen Ära einleitet, die letzte Saison des Intendanten Udo Zimmermann am Opernhaus Leipzig. Erstmalig in diesen zehn Jahren hat der Komponist eine eigene Oper in den Spielplan genommen. „Levins Mühle“ nach dem gleichnamigen Roman von Johannes Bobrowski, 1973 in Dresden uraufgeführt und dann häufig gespielt, in Ost und West positiv rezipiert, verschwand in den letzten etwa 15 Jahren aus den Spielplänen; zu unrecht, wie die Leipziger Premiere und ihr Erfolg zeigen. Regisseur Alfred Kirchner ist bei diesem Werk in seinem Element – die ironischen, zeitweilig distanziert kommentierenden, scharf zeichnenden, aber auch poetischen Züge der zimmermannschen Musik finden sich in seiner Inszenierung ebenso wie die Auseinandersetzung mit der – zwangsläufig – breiteren literarischen Vorlage.

Die Geschichte des Juden Levin, dessen Mühle durch einen Anschlag seines Konkurrenten, des Deutschen Johann, weggeschwemmt wird, und der – obwohl es zwei polnische Arbeiter als Zeugen gibt – vor Gericht unterliegt, ist auch die des gescheiterten Versuchs mehrerer kleiner Volksgruppen, zusammenzuleben. Ein trauriges Fazit, das auch die Pressekonferenz vor der Premiere durchzieht: Man kann den Eindruck bekommen, dass das Leben das Stück eingeholt hat. So zitiert Alfred Kirchner Bobrowski, der gesagt hat, das Stück spiele „1874, also heute“. Entsprechend wirken die im zeitlos poetischen Bühnenraum (Ausstattung: Maria-Elena Amos) agierenden Personen in ihren charakteristischen, historisch, exakten, bis in liebevolle oder böse Details genauen Kostümen heutig, allzu vertraut.

Udo Zimmermanns Musik birgt ebenfalls diese Tendenz. Sie verbindet in ihrer Polystilistik und Vielschichtigkeit Vertrautes mit Neuem, führt verschiedene Traditionen zusammen. Aus der Volksmusik der verschiedenen Ethnien entlehnte Strukturen geben in ihrer niemals „tümelnden“ Verwendung zwar Eingängigkeit, werden aber vor allem – quasi leitmotivisch verarbeitet – zur zusätzlichen, oft ironisch distanzierten, kommentierenden Handlungsebene. Verständliche, scheinbar redende, aber ebenso in die Tiefe leuchtende, komplexe Klangstrukturen sind das Ergebnis. Beeindruckend exakt, leidenschaftlich und sehr spritzig spielt das Gewandhausorchester die komplizierte Partitur unter Michail Jurowski, der sich im Zusammenführen von Orchester, dem ausgezeichneten Opernchor und 32 Solisten einmal mehr als großartiger Operndirigent erweist, die diffizilsten polyrhythmischen Strukturen mit scheinbarer Leichtigkeit durchleuchtet, transparent macht.

Dabei steht ihm ein ausgewogenes Solistenensemble, das sowohl musikalisch als auch darstellerisch in der Konzeption aufzugehen scheint, zur Verfügung, aus dem es schwer fällt, Einzelne herauszugreifen. Von gewaltiger stimmlicher Durchschlagkraft und Bühnenpräsenz Florian Cerny als Mühlenbesitzer Johann; mit berührenden Momenten Ofelia Sala als Marie und Tom Erik Lie als Levin; ebenso überzeugend Walter Raffeiner als Weiszmantel. Bewährte Leipziger Kräfte wie Jürgen Kurth beweisen abermals das Niveau des Hauses am Augustusplatz.

Bleibt zu hoffen, dass es nicht abermals 15 Jahre dauert, bis sich wieder eine Bühne entschließt, dieses anspruchsvolle, aber dankbare Werk in den Spielplan zu nehmen. Der Aufwand lohnt – wie die Leipziger Publikumsreaktionen zeigen.

Tatjana Böhme

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