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Auf der Suche nach Heimat
Levins Mühle in Leipzig · Von Tatjana
Böhme
Ein Land, in dem sie kaum geduldet sind, sich nicht verwirklichen
können, wollen sie verlassen, der Künstler, der die Wahrheit
singen wollte, der Jude, der hier arbeiten wollte und seine Liebste,
die Zigeunerin, die hier mit ihm leben wollte und so ziehen
sie in die Weite, auf der Suche nach Heimat.
Dieses Bild steht fast symbolisch am Ende einer Inszenierung, die
die letzte Spielzeit einer wirklichen Ära einleitet, die letzte
Saison des Intendanten Udo Zimmermann am Opernhaus Leipzig. Erstmalig
in diesen zehn Jahren hat der Komponist eine eigene Oper in den
Spielplan genommen. Levins Mühle nach dem gleichnamigen
Roman von Johannes Bobrowski, 1973 in Dresden uraufgeführt
und dann häufig gespielt, in Ost und West positiv rezipiert,
verschwand in den letzten etwa 15 Jahren aus den Spielplänen;
zu unrecht, wie die Leipziger Premiere und ihr Erfolg zeigen. Regisseur
Alfred Kirchner ist bei diesem Werk in seinem Element die
ironischen, zeitweilig distanziert kommentierenden, scharf zeichnenden,
aber auch poetischen Züge der zimmermannschen Musik finden
sich in seiner Inszenierung ebenso wie die Auseinandersetzung mit
der zwangsläufig breiteren literarischen Vorlage.
Die Geschichte des Juden Levin, dessen Mühle durch einen Anschlag
seines Konkurrenten, des Deutschen Johann, weggeschwemmt wird, und
der obwohl es zwei polnische Arbeiter als Zeugen gibt
vor Gericht unterliegt, ist auch die des gescheiterten Versuchs
mehrerer kleiner Volksgruppen, zusammenzuleben. Ein trauriges Fazit,
das auch die Pressekonferenz vor der Premiere durchzieht: Man kann
den Eindruck bekommen, dass das Leben das Stück eingeholt hat.
So zitiert Alfred Kirchner Bobrowski, der gesagt hat, das Stück
spiele 1874, also heute. Entsprechend wirken die im
zeitlos poetischen Bühnenraum (Ausstattung: Maria-Elena Amos)
agierenden Personen in ihren charakteristischen, historisch, exakten,
bis in liebevolle oder böse Details genauen Kostümen heutig,
allzu vertraut.
Udo Zimmermanns Musik birgt ebenfalls diese Tendenz. Sie verbindet
in ihrer Polystilistik und Vielschichtigkeit Vertrautes mit Neuem,
führt verschiedene Traditionen zusammen. Aus der Volksmusik
der verschiedenen Ethnien entlehnte Strukturen geben in ihrer niemals
tümelnden Verwendung zwar Eingängigkeit, werden
aber vor allem quasi leitmotivisch verarbeitet zur
zusätzlichen, oft ironisch distanzierten, kommentierenden Handlungsebene.
Verständliche, scheinbar redende, aber ebenso in die Tiefe
leuchtende, komplexe Klangstrukturen sind das Ergebnis. Beeindruckend
exakt, leidenschaftlich und sehr spritzig spielt das Gewandhausorchester
die komplizierte Partitur unter Michail Jurowski, der sich im Zusammenführen
von Orchester, dem ausgezeichneten Opernchor und 32 Solisten einmal
mehr als großartiger Operndirigent erweist, die diffizilsten
polyrhythmischen Strukturen mit scheinbarer Leichtigkeit durchleuchtet,
transparent macht.
Dabei steht ihm ein ausgewogenes Solistenensemble, das sowohl musikalisch
als auch darstellerisch in der Konzeption aufzugehen scheint, zur
Verfügung, aus dem es schwer fällt, Einzelne herauszugreifen.
Von gewaltiger stimmlicher Durchschlagkraft und Bühnenpräsenz
Florian Cerny als Mühlenbesitzer Johann; mit berührenden
Momenten Ofelia Sala als Marie und Tom Erik Lie als Levin; ebenso
überzeugend Walter Raffeiner als Weiszmantel. Bewährte
Leipziger Kräfte wie Jürgen Kurth beweisen abermals das
Niveau des Hauses am Augustusplatz.
Bleibt zu hoffen, dass es nicht abermals 15 Jahre dauert, bis sich
wieder eine Bühne entschließt, dieses anspruchsvolle,
aber dankbare Werk in den Spielplan zu nehmen. Der Aufwand lohnt
wie die Leipziger Publikumsreaktionen zeigen.
Tatjana
Böhme
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