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Berliner Stadtmusikanten
Stölzls Reformpläne für die Berliner Opernhäuser
· Von Isabel Herzfeld
Opernalltag: Wagner steht auf dem Spielplan, doch ein Hornist hat
eine lukrative Mucke. Verzweifelt sucht er nach einer Aushilfe,
bis er schließlich beim Bühnenpförtner landet. Am
nächsten Tag danach gefragt, ob denn alles glatt gegangen sei,
meint der brave Mann: Oh ja, ganz prächtig; wir waren vier
Pförtner.
Berlins Kultursenator Christoph Stölzl scheint momentan alles
daran zu setzen, diesen alten Orchesterwitz Realität werden
zu lassen. Sein am 12. Oktober vorgelegtes Konzept zur Strukturreform
der Berliner Bühnen will natürlich das genaue Gegenteil
erreichen. Wenn Musiker, wie in den USA, auf die leidige Kammermusik
und sonstige Profilierungsaktivitäten verzichten und ausschließlich
ihren Orchestern zur Verfügung stehen würden, dann könnten
diese auch bei verringerter Personalstärke funktionieren und
sogar besser bezahlt werden. Ob dadurch wieder ein Stück kulturelle
Vielfalt wegzubrechen, Riskantes und Innovatives weiter von den
Programmzetteln zu verschwinden drohte, auch eine Art solistische
Weiterbildung von Musikern gefährdet wäre, solche
Überlegungen gehen nicht in die schlaue Rechnung ein, die im
Grunde das Verbleibende mit dem Eingesparten finanzieren will. Die
Kammermusik, die können dann ja die Arbeitslosen machen
aus welchem Topf die wohl bezahlt werden?
Schwere Opfer
Ob Stölzl so wirklich den Kulturhaushalt sanieren, die Kulturinstitutionen
der Hauptstadt sichern kann? Im Mittelpunkt stehen dabei, wie schon
vor der Sommerpause angekündigt, die drei Opernhäuser.
Zu unprofiliert, zu wenig innovativ, zu viele Doubletten, zu unflexibel
und dafür zu teuer, so lautete schon seit geraumer Zeit das
bekannte Pauschal-Verdikt der Presse. Zum Ärgernis des
Jahres erklärte die Zeitschrift Opernwelt
in ihrer jüngsten Kritiker-Umfrage die gesamte Oper in
Berlin. Trotzdem soll laut Stölzl-Plan kein Haus geschlossen
werden zu tief steckt der Kulturpolitik noch das Desaster
um das Schiller-Theater in den Knochen. Doch der Erhalt fordert
Opfer, schwerwiegendere, als der erste Anschein vermuten lässt.
In der Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts sollen Deutsche
Oper und Staatsoper Unter den Linden künstlerisch und verwaltungstechnisch
fusioniert werden, während die Komische Oper selbstständig
bleibt.
Neue Profilbestimmung
Das Profil wird durch den Spielort bestimmt. So wird
der Deutschen Oper das große Repertoire des 19.
Jahrhunderts zugeschanzt ein Haus mit 1900 Plätzen
muss ausverkauft sein, rechtfertigt dies ihr designierter
Intendant Udo Zimmermann im Gespräch mit der Berliner Morgenpost.
Zimmermanns eigenen konzeptionellen Vorstellungen folgt das Reformpapier,
indem es zusätzlich die Klassische Moderne, die hauseigenen
Traditionen des Auftragswerkes und als Anreiz
das Anknüpfen an die wagemutige Programmpolitik der legendären
Krolloper in den Aufgabenkatalog des Hauses aufnimmt. Die
kleinere Staatsoper, klassizistischer Knobelsdorff-Bau von 1742,
soll ihren Schwerpunkt auf Vorklassik, Klassik und frühe Romantik
mit gelegentlichem Gegenwartsbezug legen, sich auf Barock
und Belcanto konzentrieren. Ganz in ihrer Tradition des deutschsprachigen
Musiktheaters Walter Felsensteins darf dagegen die Komische Oper
verbleiben, erweitert um kleinere und leichtere Werke aller Art,
als letztes erhaltenes Ensembletheater auch Forum junger Sänger
und Dirigenten und Stätte für die längst fällige
Erneuerung der Operette. (Gab es in Berlin einmal ein Metropol-Theater?)
Allein diese Profilschärfung, zu der die künstlerisch
Verantwortlichen angeblich nicht in der Lage waren, rief Protest
hervor. Das Recht, Mozart zu spielen, beansprucht Karlheinz Brössling
vom Orchestervorstand der Deutschen Oper. Befremden zeigte auch
Noch-Staatsopernintendant Quander (Berliner Morgenpost vom 14.10.),
dessen Staatskapelle einst von Richard Strauss vor allen anderen
in Berlin bevorzugt worden war. Matthias Glander vom Vorstand des
für seinen deutschen Klang berühmten Orchesters
spricht gar von Beamtendiktatur, nachdem man die realsozialistische
gerade erst losgeworden sei. Doch bedrohlicher noch ist der Preis
für die angebliche Sanierung der Opernlandschaft. Zwar sollen
die Orchester der beiden großen Häuser erhalten bleiben,
dies jedoch nur unter der Bedingung eines gemeinsamen Haustarifvertrags
bei wechselseitiger Dienstverpflichtung und des Abbaus um 77 Orchesterstellen
von insgesamt 266. Scheitern die Tarifverhandlungen, droht Stölzl
mit Fusion. Die Identität der Klangkörper die angeblich
nicht zerstört werden, sondern sich ergänzen
soll ist aber auch so nicht zu wahren. Entweder wird sie
in einem Mischmasch aufgrund ständiger gegenseitiger Aushilfen
in zwei 95köpfigen Rumpforchestern verloren gehen, oder aber
die Staatskapelle wird, zum Barockorchester geschrumpft,
den Löwenanteil des Abbaus zu tragen haben. In jedem Falle
sieht Glander darin eine beispiellose Vernichtung von Tradition
und Renommee eines Opern- und Konzertorchesters, das regelmäßig
von den Salzburger Festspielen angefordert wird und im Juli 2001
unter Barenboim den Parsifal in Israel, den ersten ganz
offiziell von der Knesseth genehmigten Wagner, aufführen soll.
Dirigenten von internationalem Ruf werde man wohl für keines
der beiden Orchester mehr gewinnen können und trotzdem
kursiert plötzlich wieder das Wort von einer Neuauflage der
Ost-West-Konfrontation.
Chorschmelze
Die selbe Problematik besteht für die etwa gleich großen
Chöre der Staatsoper und der Deutschen Oper. Die Zahl der 184
Sänger soll auf rund 140 abgeschmolzen, die wechselseitige
Aushilfsverpflichtung obligatorisch werden. Da Opernchorsänger
musikalisch und darstellerisch tätig sind, ist das Aushelfen
im jeweils anderen Chor meist noch schwieriger als es die Orchestermusiker
für sich befürchten. Wird dann noch das personalintensive
große Repertoire der Deutschen Oper zugewiesen,
deren Chor unter seinem neuen Chordirektor Ulrich Paetzholdt gerade
deutlich an künstlerischem Profil hinzugewonnen hat, dann droht
auch hier die Gefahr, dass zumindest zahlenmäßig
ein künftiger Kammerchor der Staatsoper
Unter den Linden ins Hintertreffen gerät.
Gewinner: Deutsche Oper
In der Tat könnte die Deutsche Oper der Gewinner des ganzen
Reformspiels sein. Kurz nach der Wende war eher sie es die
erst in der Ära Thielemann auch wieder musikalische Lorbeeren
einspielte die auf der Abschussliste stand. Udo Zimmermann,
der vor der Sommerpause Stölzls Pläne eines Opernkombinats
damals allerdings unter Daniel Barenboims Ägide
noch abgelehnt hatte, wertet sie jetzt als entscheidenden
Schritt nach vorn, als Chance, Berlin international
konkurrenzfähig zu machen. Auf die Frage nach einer Gesamtverantwortung
für die Intendanz antwortet der jetzt noch in Leipzig, Dresden
und München Vielbeschäftigte: Ich würde es
wagen, weil ich dann die Chance sehe, noch mehr für Berlin
als Musikstadt zu leisten. Plötzlich ist neben dem künftigen
Orchesterchef Fabio Luisi auch Christian Thielemann wieder im Gespräch,
der wegen Kompetenzstreitigkeiten mit Zimmermann das Handtuch geworfen
hatte, diesmal als Staatskapellenleiter. Nun erscheint es
so, als solle statt Zimmermann Daniel Barenboim ausgebootet werden,
der nach gescheiterten Subventionsverhandlungen zum Zweck der tariflichen
Gleichstellung seiner Musiker mit den West-Kollegen seinen Verzicht
auf Vertragsverlängerung im Jahre 2002 angekündigt hatte.
Stölzls Vor-Vorgänger Roloff-Momin, der die Staatsoper
1991 im Zuge des Hauptstadtvertrages absichern wollte und das ohne
das Veto des Regierenden Bürgermeisters wohl auch geschafft
hätte, schaltete sich in diese Rechtsdrehung des Personalkarussels
nicht gerade glücklich ein. In einem offenen Brief an den Verehrten
Maestro in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18.10.
sieht er diesen als Opfer eines antisemitischen Komplotts, dessen
Gipfel die Bemerkung eines führenden Berliners
gewesen sein solle: Jetzt hat die Juderei in Berlin ein Ende.
CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky gab zu, das Strukturpapier dahingehend
kommentiert zu haben, nun stehe Jung-Karajan Thielemann
dem Juden Barenboim gegenüber seltsame Zungenschläge
in einer doch so sachlich um Qualitätsanhebung bemühten
Diskussion.
Gewerkschaftsreaktionen
Ganz plötzlich offenbart die Schlammschlacht, auf welchem
politischen Bodensatz sich der nun entbrennende Kampf um Pfründe
und Perspektiven abspielen wird. Die beiden Orchester jedenfalls
widersprachen dem Reformpapier voll Vehemenz. Insgesamt verurteilten
zehn Berliner Konzert- und Opernorchester das Stölzl-Papier
als dilettantisch und die Betroffenen in fahrlässiger
und ignoranter Weise außen vor lassend (Tagesspiegel,
21.10.) Die ÖTV, für die es insgesamt um einen Abbau von
353 Stellen an allen Berliner Bühnen geht, zeigte sich zunächst
erleichtert, dass keine Privatisierung sprich Umwandlung
in eine GmbH stattfinden solle. Doch die DOV (Deutsche Orchestervereinigung)
und die VdO (Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer)
wollen demnächst Alternativen vorlegen. Und die FAZ signalisierte
am 21. Oktober den Protest der Schwächsten: Für
ihre Selbstständigkeit soll nämlich die Komische Oper
ihr Ballett opfern. Statt dessen soll das aus den Compagnien der
großen Häuser zusammengefügte BerlinBallett
allen drei Häusern zur Verfügung stehen, mit einer klassischen
(64 Tänzer), einer klassisch-modernen (24 Tänzer) und
einer dem zeitgenössischen Tanztheater (16 Tänzer) zugeordneten
Truppe. Gegen ihre prophylaktischen Kündigungen haben die Tänzer
in einem offenen Brief protestiert. Ballettbeauftragter Gerhard
Bohner versprach weitestmögliche Berücksichtigung der
Betroffenen in der neuen Compagnie und einen speziellen Fonds
für finanzielle Abfindungen. Die werden wohl auch für
Orchester- und Opernchormitglieder reichlich gezahlt werden müssen
eine kurzfristige finanzielle Ergebnisverbesserung
ist mit diesem Prozess nicht zu erreichen, heißt es
am Schluss des Reformpapiers. Aber wissen wir etwa, welche Einsparungen
die Schiller-Schließung seinerzeit gebracht hat? Nach den
Abfindungsprozessen stand das leere Haus herum und kostete...
Isabel
Herzfeld
Hintergrund
Aus
der Pressemitteilung der Deutschen Staatsoper Berlin:
(...) Mit der vorgeschlagenen Rechtsformkonstruktion
(Anstalt öffentlichen Rechts, GmbH) wird offensichtlich eine
Tarifflucht angestrebt. Das Konzept macht keine Aussage darüber,
dass die Arbeitsverhältnisse weiterhin durch öffentlich
rechtliche Tarifverträge und vergleichbare Vereinbarungen,
zum Beispiel die VBSV 200, gesichert werden sollen (...)
Der Personalrat der Staatsoper lehnt das Strukturpapier
rigoros ab, auch weil bei der überwiegenden Zahl unserer Mitarbeiter
der Eindruck entstehen muss, dass die geplante Fusion eindeutig
zu Lasten eines Hauses im ehemaligen Ost-Berlin geht. (...)
Der Personalrat stimmt dem SPD-Fraktionsvorsitzenden
Klaus Wowereit zu, dass man ganz ohne Fusion auskommt, wenn die
Forderungen aus dem Strukturpapier, wie die Entschuldung der Betriebe
und die Erstattung der Tarifsteigerungen, erfüllt werden.
Klaus Grunow, Vorsitzender des Personalrats
Aus
der Stellungnahme des Stuttgarter Intendanten Zehelein:
Ich halte den Vorschlag, den Herr Stölzl
gemacht hat, für eine Katastrophe. Da ist zunächst die
Führungsstruktur, nämlich der geplante, aus mehreren Personen
bestehende Vorstand der zusammengefassten beiden großen
Opernhäuser. Man weiß nicht: Sind daran zwei Intendanten,
zwei Generalmusikdirektoren, die Vertreter der Ensembles, Chor-
und Orchestervorstände beteiligt? Nichts ist da definiert.
(...)
Der Punkt, auf dem alles fußt, ist die unmögliche
Aufteilung zwischen der Berliner Staatsoper und der Deutschen Oper
Berlin in den sogenannten Profilen, den Schwerpunkten der Repertoires
(...).
Die beste Tradition, die die deutsche Oper hat,
ist jene, dass sie Werke von Monteverdi bis Lachenmann spielt
was wir in Stuttgart tun (...).
Die zwei Opernhäuser zusammenlegen heißt
auf keinen Fall, dass man da viel Geld sparen wird. Jede Erfahrung
spricht dagegen.
SZ, 20.10.00
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