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Ausgabe 2000/05

Editorial

Stölzls Reformpläne für die Berliner Opernhäuser

Die Thomaner von der Bach-Zeit bis ins 19. Jahrhundert

Theaterkultur hat lange Tradition in Koblenz

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„Jakob von Gunten“ in Meißen uraufgeführt

12. Tanzfest „Tanz im August“ in Berlin

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Berliner Stadtmusikanten

Stölzls Reformpläne für die Berliner Opernhäuser · Von Isabel Herzfeld

Opernalltag: Wagner steht auf dem Spielplan, doch ein Hornist hat eine lukrative Mucke. Verzweifelt sucht er nach einer Aushilfe, bis er schließlich beim Bühnenpförtner landet. Am nächsten Tag danach gefragt, ob denn alles glatt gegangen sei, meint der brave Mann: Oh ja, ganz prächtig; wir waren vier Pförtner.

   

Daniel Barenboim. Zeichnung: Maroine Dib

 

Berlins Kultursenator Christoph Stölzl scheint momentan alles daran zu setzen, diesen alten Orchesterwitz Realität werden zu lassen. Sein am 12. Oktober vorgelegtes Konzept zur Strukturreform der Berliner Bühnen will natürlich das genaue Gegenteil erreichen. Wenn Musiker, wie in den USA, auf die leidige Kammermusik und sonstige Profilierungsaktivitäten verzichten und ausschließlich ihren Orchestern zur Verfügung stehen würden, dann könnten diese auch bei verringerter Personalstärke funktionieren und sogar besser bezahlt werden. Ob dadurch wieder ein Stück kulturelle Vielfalt wegzubrechen, Riskantes und Innovatives weiter von den Programmzetteln zu verschwinden drohte, auch eine Art „solistische Weiterbildung“ von Musikern gefährdet wäre, solche Überlegungen gehen nicht in die schlaue Rechnung ein, die im Grunde das Verbleibende mit dem Eingesparten finanzieren will. Die Kammermusik, die können dann ja die Arbeitslosen machen – aus welchem Topf die wohl bezahlt werden?

Schwere Opfer

Ob Stölzl so wirklich den Kulturhaushalt sanieren, die Kulturinstitutionen der Hauptstadt sichern kann? Im Mittelpunkt stehen dabei, wie schon vor der Sommerpause angekündigt, die drei Opernhäuser. Zu unprofiliert, zu wenig innovativ, zu viele Doubletten, zu unflexibel und dafür zu teuer, so lautete schon seit geraumer Zeit das bekannte Pauschal-Verdikt der Presse. Zum „Ärgernis des Jahres“ erklärte die Zeitschrift „Opernwelt“ in ihrer jüngsten Kritiker-Umfrage die gesamte „Oper in Berlin“. Trotzdem soll laut Stölzl-Plan kein Haus geschlossen werden – zu tief steckt der Kulturpolitik noch das Desaster um das Schiller-Theater in den Knochen. Doch der Erhalt fordert Opfer, schwerwiegendere, als der erste Anschein vermuten lässt. In der Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts sollen Deutsche Oper und Staatsoper Unter den Linden künstlerisch und verwaltungstechnisch fusioniert werden, während die Komische Oper selbstständig bleibt.

Neue Profilbestimmung

Das „Profil“ wird durch den Spielort bestimmt. So wird der Deutschen Oper das „große Repertoire“ des 19. Jahrhunderts zugeschanzt – „ein Haus mit 1900 Plätzen muss ausverkauft sein“, rechtfertigt dies ihr designierter Intendant Udo Zimmermann im Gespräch mit der Berliner Morgenpost. Zimmermanns eigenen konzeptionellen Vorstellungen folgt das Reformpapier, indem es zusätzlich die Klassische Moderne, die „hauseigenen Traditionen des Auftragswerkes“ und „als Anreiz“ das Anknüpfen an die „wagemutige Programmpolitik der legendären Krolloper“ in den Aufgabenkatalog des Hauses aufnimmt. Die kleinere Staatsoper, klassizistischer Knobelsdorff-Bau von 1742, soll ihren Schwerpunkt auf Vorklassik, Klassik und frühe Romantik mit gelegentlichem Gegenwartsbezug legen, sich auf „Barock und Belcanto“ konzentrieren. Ganz in ihrer Tradition des deutschsprachigen Musiktheaters Walter Felsensteins darf dagegen die Komische Oper verbleiben, erweitert um kleinere und leichtere Werke aller Art, als letztes erhaltenes Ensembletheater auch Forum junger Sänger und Dirigenten und Stätte für die „längst fällige Erneuerung der Operette“. (Gab es in Berlin einmal ein Metropol-Theater?) Allein diese „Profilschärfung“, zu der die künstlerisch Verantwortlichen angeblich nicht in der Lage waren, rief Protest hervor. Das Recht, Mozart zu spielen, beansprucht Karlheinz Brössling vom Orchestervorstand der Deutschen Oper. Befremden zeigte auch Noch-Staatsopernintendant Quander (Berliner Morgenpost vom 14.10.), dessen Staatskapelle einst von Richard Strauss vor allen anderen in Berlin bevorzugt worden war. Matthias Glander vom Vorstand des für seinen „deutschen Klang“ berühmten Orchesters spricht gar von „Beamtendiktatur“, nachdem man die realsozialistische gerade erst losgeworden sei. Doch bedrohlicher noch ist der Preis für die angebliche Sanierung der Opernlandschaft. Zwar sollen die Orchester der beiden großen Häuser erhalten bleiben, dies jedoch nur unter der Bedingung eines gemeinsamen Haustarifvertrags bei wechselseitiger Dienstverpflichtung und des Abbaus um 77 Orchesterstellen von insgesamt 266. Scheitern die Tarifverhandlungen, droht Stölzl mit Fusion. Die Identität der Klangkörper – die angeblich nicht zerstört werden, sondern sich „ergänzen“ soll – ist aber auch so nicht zu wahren. Entweder wird sie in einem Mischmasch aufgrund ständiger gegenseitiger Aushilfen in zwei 95köpfigen Rumpforchestern verloren gehen, oder aber die Staatskapelle wird, zum „Barockorchester“ geschrumpft, den Löwenanteil des Abbaus zu tragen haben. In jedem Falle sieht Glander darin eine beispiellose Vernichtung von Tradition und Renommee eines Opern- und Konzertorchesters, das regelmäßig von den Salzburger Festspielen angefordert wird und im Juli 2001 unter Barenboim den „Parsifal“ in Israel, den ersten ganz offiziell von der Knesseth genehmigten Wagner, aufführen soll. Dirigenten von internationalem Ruf werde man wohl für keines der beiden Orchester mehr gewinnen können – und trotzdem kursiert plötzlich wieder das Wort von einer Neuauflage der Ost-West-Konfrontation.

Chorschmelze

Die selbe Problematik besteht für die etwa gleich großen Chöre der Staatsoper und der Deutschen Oper. Die Zahl der 184 Sänger soll auf rund 140 abgeschmolzen, die wechselseitige Aushilfsverpflichtung obligatorisch werden. Da Opernchorsänger musikalisch und darstellerisch tätig sind, ist das Aushelfen im jeweils anderen Chor meist noch schwieriger als es die Orchestermusiker für sich befürchten. Wird dann noch das personalintensive „große” Repertoire der Deutschen Oper zugewiesen, deren Chor unter seinem neuen Chordirektor Ulrich Paetzholdt gerade deutlich an künstlerischem Profil hinzugewonnen hat, dann droht auch hier die Gefahr, dass – zumindest zahlenmäßig – ein künftiger „Kammerchor” der Staatsoper Unter den Linden ins Hintertreffen gerät.

Gewinner: Deutsche Oper

In der Tat könnte die Deutsche Oper der Gewinner des ganzen Reformspiels sein. Kurz nach der Wende war eher sie es – die erst in der Ära Thielemann auch wieder musikalische Lorbeeren einspielte – die auf der Abschussliste stand. Udo Zimmermann, der vor der Sommerpause Stölzls Pläne eines Opernkombinats – damals allerdings unter Daniel Barenboims Ägide – noch abgelehnt hatte, wertet sie jetzt als „entscheidenden Schritt nach vorn“, als Chance, Berlin „international konkurrenzfähig“ zu machen. Auf die Frage nach einer Gesamtverantwortung für die Intendanz antwortet der jetzt noch in Leipzig, Dresden und München Vielbeschäftigte: „Ich würde es wagen, weil ich dann die Chance sehe, noch mehr für Berlin als Musikstadt zu leisten.“ Plötzlich ist neben dem künftigen Orchesterchef Fabio Luisi auch Christian Thielemann wieder im Gespräch, der wegen Kompetenzstreitigkeiten mit Zimmermann das Handtuch geworfen hatte, – diesmal als Staatskapellenleiter. Nun erscheint es so, als solle statt Zimmermann Daniel Barenboim ausgebootet werden, der nach gescheiterten Subventionsverhandlungen zum Zweck der tariflichen Gleichstellung seiner Musiker mit den West-Kollegen seinen Verzicht auf Vertragsverlängerung im Jahre 2002 angekündigt hatte. Stölzls Vor-Vorgänger Roloff-Momin, der die Staatsoper 1991 im Zuge des Hauptstadtvertrages absichern wollte und das ohne das Veto des Regierenden Bürgermeisters wohl auch geschafft hätte, schaltete sich in diese Rechtsdrehung des Personalkarussels nicht gerade glücklich ein. In einem offenen Brief an den „Verehrten Maestro“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18.10. sieht er diesen als Opfer eines antisemitischen Komplotts, dessen Gipfel die „Bemerkung eines führenden Berliners“ gewesen sein solle: „Jetzt hat die Juderei in Berlin ein Ende“. CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky gab zu, das Strukturpapier dahingehend kommentiert zu haben, nun stehe “Jung-Karajan Thielemann” dem “Juden Barenboim” gegenüber – seltsame Zungenschläge in einer doch so sachlich um Qualitätsanhebung bemühten Diskussion.

Gewerkschaftsreaktionen

Ganz plötzlich offenbart die Schlammschlacht, auf welchem politischen Bodensatz sich der nun entbrennende Kampf um Pfründe und Perspektiven abspielen wird. Die beiden Orchester jedenfalls widersprachen dem Reformpapier voll Vehemenz. Insgesamt verurteilten zehn Berliner Konzert- und Opernorchester das Stölzl-Papier als „dilettantisch“ und die Betroffenen in „fahrlässiger und ignoranter Weise außen vor“ lassend (Tagesspiegel, 21.10.) Die ÖTV, für die es insgesamt um einen Abbau von 353 Stellen an allen Berliner Bühnen geht, zeigte sich zunächst erleichtert, dass keine Privatisierung – sprich Umwandlung in eine GmbH – stattfinden solle. Doch die DOV (Deutsche Orchestervereinigung) und die VdO (Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer) wollen demnächst Alternativen vorlegen. Und die FAZ signalisierte am 21. Oktober den „Protest der Schwächsten“: Für ihre Selbstständigkeit soll nämlich die Komische Oper ihr Ballett opfern. Statt dessen soll das aus den Compagnien der großen Häuser zusammengefügte „BerlinBallett“ allen drei Häusern zur Verfügung stehen, mit einer klassischen (64 Tänzer), einer klassisch-modernen (24 Tänzer) und einer dem zeitgenössischen Tanztheater (16 Tänzer) zugeordneten Truppe. Gegen ihre prophylaktischen Kündigungen haben die Tänzer in einem offenen Brief protestiert. Ballettbeauftragter Gerhard Bohner versprach weitestmögliche Berücksichtigung der Betroffenen in der neuen Compagnie – und einen speziellen Fonds für finanzielle Abfindungen. Die werden wohl auch für Orchester- und Opernchormitglieder reichlich gezahlt werden müssen – „eine kurzfristige finanzielle Ergebnisverbesserung ist mit diesem Prozess nicht zu erreichen“, heißt es am Schluss des Reformpapiers. Aber wissen wir etwa, welche Einsparungen die Schiller-Schließung seinerzeit gebracht hat? Nach den Abfindungsprozessen stand das leere Haus herum und kostete...

Isabel Herzfeld

 

Hintergrund

Aus der Pressemitteilung der Deutschen Staatsoper Berlin:

(...) Mit der vorgeschlagenen Rechtsformkonstruktion (Anstalt öffentlichen Rechts, GmbH) wird offensichtlich eine Tarifflucht angestrebt. Das Konzept macht keine Aussage darüber, dass die Arbeitsverhältnisse weiterhin durch öffentlich rechtliche Tarifverträge und vergleichbare Vereinbarungen, zum Beispiel die VBSV 200, gesichert werden sollen (...)

Der Personalrat der Staatsoper lehnt das Strukturpapier rigoros ab, auch weil bei der überwiegenden Zahl unserer Mitarbeiter der Eindruck entstehen muss, dass die geplante Fusion eindeutig zu Lasten eines Hauses im ehemaligen Ost-Berlin geht. (...)

Der Personalrat stimmt dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Wowereit zu, dass man ganz ohne Fusion auskommt, wenn die Forderungen aus dem Strukturpapier, wie die Entschuldung der Betriebe und die Erstattung der Tarifsteigerungen, erfüllt werden.

Klaus Grunow, Vorsitzender des Personalrats

 

Aus der Stellungnahme des Stuttgarter Intendanten Zehelein:

„Ich halte den Vorschlag, den Herr Stölzl gemacht hat, für eine Katastrophe. Da ist zunächst die Führungsstruktur, nämlich der geplante, aus mehreren Personen bestehende ‚Vorstand’ der zusammengefassten beiden großen Opernhäuser. Man weiß nicht: Sind daran zwei Intendanten, zwei Generalmusikdirektoren, die Vertreter der Ensembles, Chor- und Orchestervorstände beteiligt? Nichts ist da definiert. (...)

Der Punkt, auf dem alles fußt, ist die unmögliche Aufteilung zwischen der Berliner Staatsoper und der Deutschen Oper Berlin in den sogenannten Profilen, den Schwerpunkten der Repertoires (...).

Die beste Tradition, die die deutsche Oper hat, ist jene, dass sie Werke von Monteverdi bis Lachenmann spielt – was wir in Stuttgart tun (...).

Die zwei Opernhäuser zusammenlegen heißt auf keinen Fall, dass man da viel Geld sparen wird. Jede Erfahrung spricht dagegen.

SZ, 20.10.00

 

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