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Ausgabe 2000/05

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Stölzls Reformpläne für die Berliner Opernhäuser

Die Thomaner von der Bach-Zeit bis ins 19. Jahrhundert

Theaterkultur hat lange Tradition in Koblenz

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„Jakob von Gunten“ in Meißen uraufgeführt

12. Tanzfest „Tanz im August“ in Berlin

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Tendenz zum Konkreten

12. Tanzfest „Tanz im August“ in Berlin · Von Frank Kämpfer

Körper, einander ähnlich und fremd. Mann und Frau, Tänzer und Tänzerin. Gesperrt ins enge Bühnengeviert, das Käfig, Welt oder Dasein darstellt, kommen sie einander unweigerlich nah. Gustavo Lesgart und Inés Sanguinetti aus Buenos Aires rühren in ihrem selbstchoreografierten Duo „Hondo“ an Existenzielles. Vier Szenen skizzieren die Begegnung der Geschlechter als Kampf, Berührung, Resignation und schließlich Mord. Junge Künstler reflektieren die Erfahrung politischer Diktatur. Unvermittelt verschiebt sich der Blickwinkel, kippt die Spielebene um neunzig Grad. Die utopische Szene des Stücks, die der Liebesbegegnung der Körper, tanzen die zwei Argentinier die Vertikale hinauf. Die Wand wird dem Betrachter zum Boden, und aus so verfremdeter Sicht erwächst die provozierende Botschaft des Stücks: dass zwischen Menschen nicht nur Gewalt, sondern auch Nähe möglich sein kann.

   

Compagnie DCA Philippe Decouflé: „Schazam!“. Foto: Quentin Bertoux

 

Wie viele der jungen, unbekannten Tänzer und Choreografen, die „Tanz im August“ in diesem Jahr präsentierte, fügen sich auch Lesgart und Sanguinetti in eine Tendenz, die artifizielle, rein formbetonte Konzepte im zeitgenössischen Tanz revidiert. Mitveranstalterin Nele Hertling vom Berliner Hebbeltheater konstatiert beim choreografischen Nachwuchs ein neues Bedürfnis nach dem Konkreten, nach verständlicher Sprache und sozialer Funktion. Bei Boris Charmatz beispielsweise entdecken gezügelte Körper das Sprechen; im Stück der „Compagnie Maguy Marin“ aus Lyon referieren fünf Akteure die Geschichten ihrer Emigration. Die künstlerischen Resultate freilich sind diskutierbar und gehorchen verschiedenen Gesetzmäßigkeiten. Nicht alle der insgesamt sechzehn Projekte, die die Veranstalter Hebbeltheater und Tanzwerkstatt Berlin auf sechs verschiedenen Bühnen im August präsentierten, folgten aktuellen Tendenzen des Interdisziplinären und des sozialen Bezugs. „Nederlands Dans“ beispielsweise gab sich mit „Arcimboldo 2000“ tänzerisch-unterhaltsam und lockte so ein traditionelleres Publikum in die Deutsche Oper Berlin. Lynda Gaudreau aus Montreal andererseits bestand auf Positionen artifizieller Moderne. In ihrem Fünf-Jahres-Projekt „Enzyklopädia“ dokumentiert sie die Körperarbeit der Abstrakten. Im gezeigten „Document 1“ zitierte sie unter anderem aus Studien und Stücken von Meg Stuart, Benoit Lachambre und Jérome Bel.

Zwölf Jahre nunmehr präsentiert sich an der Spree des Sommers die Tanz-Avantgarde aus aller Welt und bereichert dabei mittelbar auch die Szene der Stadt. Die Anfänge führen ins Jahr 1987 zurück, als Berlin/West als Kulturhauptstadt Europas von umfassenderer Kulturförderung profitierte. Projektleiterin Nele Hertling lud damals in Sachen Tanz die radikalsten Vertreter – und zwar nicht zur Festival-üblichen Schau, sondern zu wechselseitiger Kenntnisnahme und Diskussion. Daher resultiert jene Zweigleisigkeit von Gastspiel und Workshop, die das Festival bis heute nachhaltig prägt. Workshops und offene Trainingskurse boten in diesem Jahr Lynda Gaudreau, Julyen Hamilton, Akram Khan, Emio Greco und David Zambrano. Gerald Siegmund lud erstmals zu einem Kurs in Sachen Tanzkritik.

Die stadteigene Szene hielt sich in diesem Jahr unübersehbar zurück. Sie erhoffte sich vom Festival neue, dringend gebrauchte Impulse. Die Ballett-Diskussion und die Sparpolitik des Senats bezüglich der Freien Gruppen haben die Euphorien der letzten Jahre gebremst und nötige Kontinuitäten in Frage gestellt. Nicht zuletzt deshalb sind Ulrike Becker und André Thériault (Tanz-Werkstatt Berlin) und Nele Hertling derzeit um eine Konzentration ihrer Kräfte bemüht. Nach dem Beispiel der „Initiative Neue Musik“ wünschen sie sich für den Tanz in Berlin eine Koordination und ein zentrales Büro, um Mittel und Räume nach Bedarf sinnvoll zu verteilen.

Begonnen hatte das 12. Festival „Tanz im August“ beinahe paradigmatisch – und zwar mit einem Projekt, das anfangs Unfertigkeiten und tänzerische Missgriffe ironisiert. Das Gastspiel von Philippe Decouflé aus Paris war nach einer orientalischen Zauberformel „Shazram“ benannt, und führte schnell in eine Welt, in der das Unmögliche gilt, in der sich Artistik und Zirkus, Pantomime und Tanz überlagern. Auf nicht immer geschmackvolle Art verband Paris sich dabei mit Fernost und Orient. Spiegel und Live-Projektionen aus Videokameras thematisierten eine verdoppelte Realität, die sich (nicht frei von Banalitäten) zugleich als manipulierte erwies. Kunstvoll verschmolzen virtuoseste Tänzer mit vorgefertigten Bildern; in Comic-Manier wurde das Unwahrscheinlichste möglich. Reale und gescannte Akteure überwanden in fantastischer Art Gesetze von Statik und Gravitation.

Frank Kämpfer

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