Bei genauer Betrachtung erscheint Berlioz‘ Oper „Béatrice et Bénédict“ als eine durchaus spannende Studie über Manipulierbarkeit und Autosuggestion – im Schlechten wie im Guten. „Ich wünschte nur, dass du menschlicher würdest“, sagt Hero einmal zu Béatrice; da ist die Saat der Intrige freilich schon in diesem Sinne aufgegangen. Denn auf die Indizien hin, dass Bénédict sie liebe, hat sich Béatrice in einer langen Arie selbst eingestanden, dass sie um seine wohlbehaltene Rückkehr aus dem Feldzug gebangt hat. Und im folgenden Terzett vergisst sie zunächst vollkommen die ihr zur zweiten Natur gewordene Kratzbürstigkeit. Béatrices und Bénédicts Schluss-Duettino lässt allerdings in der Schwebe, ob der Ehevertrag auch tragfähig sein wird. Dass sich der junge Regisseur Immo Karaman dazu bekennt, „psychologisch komplexe Charaktere auf die Bühne bringen“ zu wollen, berührt zunächst sympathisch. Und pfiffig erscheint auch erst einmal die Idee, die ganze Handlung in den Rahmen einer Orchesterprobe zu verlegen und dabei das Orchester als Mikrokosmos unter die Lupe zu nehmen. Doch geht dieses Konzept dramaturgisch nicht auf: Während Berlioz die in Somarone und dem Chor verkörperte Musiker-Sphäre als Kontrast zur Haupthandlung setzt, dehnt Karaman dieses Milieu über das ganze Stück und versucht dann, den Somarone-Szenen dadurch Kontur zu geben, dass er sie vergröbert. Die Musiker der Neuen Philharmonie Westfalen sitzen auf der Bühne des Kleinen Hauses und mit ihnen die Darsteller. Béatrice (Anke Sieloff) wird zur Oboistin, Bénédict (James McLean) zum Kontrabass, Hero (Noriko Ogawa-Yatake) spielt die Violine und Claudio (Erin Caves) die Posaune, Ursule (Anna Agathonos) die Flöte und Don Pedro (Nicolai Karnolsky) das Schlagzeug – alle allerdings nur zum Schein. Musiziert und gesungen wird dabei unter Leitung von Musikdirektor Samuel Bächli durchaus ansprechend und mit Feingefühl; wo aber Berlioz und Shakespeare auf musikalischen und verbalen Witz setzen, steuert der Regisseur das durchaus engagiert spielende Gelsenkirchener Ensemble in eben jene grobe „Hau-drauf-Komödie“, von der er sich im Programmheft vorher distanziert. Kaum hat sich die Oboistin auf den Kontrabassisten eingeschossen, bekommt sie ein Pflaster auf den Mund geklebt, und schnell ist der Kontrabass zerschlagen. Violine und Posaune lieben sich im Kontrabasskasten. Der wirkliche Kapellmeister Bächli (als er selbst) und der wirkliche Chordirektor Joachim Gabriel Maaß (als Somarone) rivalisieren albern miteinander und treffen sich zur handfesten Auseinandersetzung vor der Tür. Trunken torkeln die Choristen aus der Pause; am Ende werden Béatrice und Bénédict in einer großen Party an den neuen Kontrabass gefesselt und hochgezogen. Keine Frage, das muss die versprochene „Realsatire“ sein, und wir ahnten es ja schon immer: So geht es an deutschen Theatern hinter den Kulissen und im Orchestergraben zu. Von Berlioz und seinem geliebten Shakespeare bleibt in dieser Aufführung wenig.
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