Rochholl: Das größte Defizit bei den deutschen Opernhäusern liegt in der Pflege des Repertoires seit 1945. Wenn ich als Zuhörer nicht weiß, was damals neu war, dann fällt es mir schwer zu beurteilen, was 2002 wirklich neu ist. Dabei versuchen wir ganz bewusst, den Horizont weiter zu fassen als in Donaueschingen oder Darmstadt. Daher auch der Schwerpunkt, in Ästhetik, Inhalt und Herkunft möglichst unterschiedliche Werke zu zeigen, und zwar in optimalen Aufführungsbedingungen; wir engagieren also, entsprechend den Anforderungen des Werks, Künstler für jeweils einzelne Produktionen. O&T: Engagieren Sie dabei vornehmlich junge Künstler? Rochholl: Nein, oder: je nachdem. Wir engagieren Künstler, die das Werk braucht. Bei Aribert Reimanns „Gespenstersonate“ etwa waren es vornehmlich Ältere, weil es um alte Leute geht, und bei der chinesischen Oper gab es einen älteren chinesischen Sänger, weil es um einen alten Geschichtenerzähler geht. Es ist keine Nachwuchsoper, die wir hier betreiben, sondern es ist der Versuch, die Werke so ernst zu nehmen wie möglich. O&T: Wenn Sie rückgreifend das Repertoire der letzten 50 Jahre wiederbeleben möchten, ist dann auch Platz für Uraufführungen? Rochholl: Im Grundsatzprogramm hieß es, bei zehn Werken sollte eine Uraufführung dabei sein. Aber der Schwerpunkt sollte erst einmal sein, die Kenntnis über die letzten Jahre und Jahrzehnte zu vertiefen. 2004 werden wir eine Uraufführung mit dem chinesischen Komponisten Qu Xiao-song machen, eine Koproduktion mit der Münchener Biennale. O&T: Vor wenigen Wochen hatten Sie die Premiere von Salvatore Sciarrinos „Die tödliche Blume“. Am 17. Oktober war die Premiere, am 20. Oktober die letzte Aufführung. Warum nur vier Aufführungen? Rochholl: Wir würden gerne mehr machen, hätten wir die Möglichkeiten dazu, was die finanziellen und räumlichen Bedingungen anbelangt. Aber wir sind im Hebbel-Theater zu Gast, haben das Haus also für eine gewisse Zeit und nicht länger. Für eine Wiederaufnahme fehlen uns die finanziellen Mittel. O&T: Im Frühjahr stellte Ihnen der Berliner Senat noch über 500.000 Euro in Aussicht; die wurden nun nicht bewilligt. Rochholl: Ja, wir sind zurückgestuft worden in die Basisförderung mit 200.000 Euro und müssen neu versuchen, Partner zu finden, die unsere Produktionen kofinanzieren. Das war auch in der Vergangenheit so. Das sind private und öffentliche Förderer unterschiedlicher Größenordnungen. O&T: In dieser Situation haben Sie nur wenig Planungssicherheit? Rochholl: Wir hatten Angebote aus einigen Städten innerhalb und außerhalb Europas. Aber dafür können wir im Moment nicht langfristig genug planen. O&T: Die Auslastung liegt bei den Produktionen der Zeitgenössischen Oper Berlin zwischen 80 und 90 Prozent. Wer ist Ihr Publikum? Rochholl: Das ist eigentlich das Erfreulichste, dass man das nicht sagen kann. Es gibt alle Altersschichten und alle sozialen Schichten, und es kommen natürlich Fachleute, Komponisten und Musikstudenten. Aber es kommen auch Quereinsteiger, die nach etwas Neuem in Berlin suchen. Auf jeden Fall ist es kein Nischenpublikum. O&T: Wie kann sich die Zeitgenössische Oper Berlin im Markt neben anderen freien Opernbühnen und wie kann sie sich in Berlin zwischen den großen Opernhäusern behaupten? Rochholl: Wir haben von Anfang an ein sehr klares inhaltliches
Konzept vorgelegt. Unser Konzept ist angenommen worden von den Partnern
in Öffentlichkeit, Medien und Politik. Wir versuchen ja auch
die öffentliche Diskussion zu beleben. Deshalb auch diese Initiative
für ein Zentrum für zeitgenössische Oper und Musik
(ein Entwurf der Architekten Gewers, Kühn & Kühn).
Es geht eben nicht nur um einen Off-Bereich, sondern es geht um
das Wesen der Oper oder des Musiktheaters. Natürlich ist es
ganz klar, dass es um eine Wertefrage geht, dass man den Pluralismus
der Opernlandschaft in Berlin erhalten muss und dass das Zeitgenössische
enorm wichtig ist. Eine Kernaufgabe politischer Arbeit ist es, das
Zeitgenössische, die Arbeitsform der Gegenwart zu fördern.
|
||||||||||||||||||||||||||
|
|